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Gulag-Museum in Russland
Aus für Perm 36

Die Bürgerinitiative Perm 36 in Russland steht vor dem Aus - und damit auch das Gulag-Museum. Es war das einzige, das tatsächlich auf dem Gelände eines Straflagers errichtet wurde. Dabei gab es Hunderte. Die Bürgerinitiative trug Dokumente und Exponate zusammen, forschte und organisierte Schulungen.

Von Sabine Adler | 13.03.2015
    Das Verwaltungsgebäude des ehemaligen Straflagers Perm 36, das bis 1989 von der Sowjetunion als Gefängnis für Dissidenten und andere Häftlinge benutzt wurde, aufgenommen am 24.07.2009. Heute befindet sich darin eine psychiatrische Anstalt. Andere Teile des GULAG werden als Museum genutzt.
    Das Verwaltungsgebäude des ehemaligen Straflagers Perm 36, das bis 1989 von der Sowjetunion als Gefängnis für Dissidenten benutzt wurde. (dpa / Matthias Tödt)
    Die Meldung stand unter einem Foto: Stacheldraht vor blauem Himmel. Sie war so knapp wie dramatisch. Die Bürgerinitiative Perm 36 erklärte ihr Aus. Das ist zugleich das Ende für das Gulag-Museum, das einzige, das tatsächlich auf dem Gelände eines Straflagers errichtet wurde. Dabei gab es Hunderte. Die gleichnamige Bürgerinitiative Perm 36 trug vor über 20 Jahren Dokumente und Exponate zusammen, um die Unterdrückung zu Sowjetzeiten anschaulich zu erzählen. Die Historikerin und nun Ex-Museumsdirektorin Tatjana Kursina war von Anfang an dabei.
    "Wir haben eine Original-Türschwelle, wenn ich die sehe, bekomme ich Gänsehaut, denn dieses dicke Holz ist derart ausgetreten, dass man sich vorstellen kann, wie viele tausend Füße darüber geschlurft sind. Im ganzen Permer Gebiet und entlang der Kolyma-Straße, die länger als 2.500 Kilometer ist, dort wo die größten Lager waren, haben wir archäologische Expeditionen unternommen und Exponate zusammengetragen. Kleidung zum Beispiel, Jacken und Mützen, bei denen immer der Hals frei blieb, und das wo es bei uns locker minus 30, 40, 50 Grad geben kann."
    "Überflüssige" Forschung?
    Historiker wie Tatjana Kursina bauten dieses einzige authentische Gulag-Museum in Russland auf, sie erklärten den Besuchern das System der sowjetischen Repression, erforschten es und schulten russlandweit Museumsmitarbeiter und Lehrer im Umgang mit Geschichte. All das findet jetzt nicht mehr statt.
    "Die Gebietsleitung Perm hat mehrfach zu verstehen gegeben, dass sie unsere Tätigkeit überflüssig findet. Das Lager als Denkmal ist in Ordnung, aber das Museum mit seiner wissenschaftlichen Arbeit und seinem Bildungsauftrag wollen sie nicht. Den Bürgern wird erklärt, dass sich lediglich die Führung und der Stab des Museums geändert haben, tatsächlich aber sind sämtliche Wissenschaftsprojekte und die internationale Kooperation abgesagt."
    Diejenigen, die die Ausstellung zusammengetragen haben, werden nun nicht einmal mehr auf das Lagergelände gelassen. Begründung. Die Gebäude gehörten dem russischen Staat. Für den spricht der neue Gouverneur. Einfach war es mit den russischen Beamten, ihrem permanenten Misstrauen, nie.
    Schwierige Zeiten absehbar
    Das jährliche Festival "Pilorama" war der Obrigkeit suspekt, die tagelangen Diskussionen mit den Schriftstellern, Wissenschaftlern, Künstlern, Musikern, wie "Maschina Wremeni", "Zeitmaschine", eine der bekanntesten Bands Russlands. Sie trat mehrmals im Gulag-Museum auf, jetzt sagen etliche Veranstalter Konzerte mit "Maschina Wremeni" ab.
    "Kapitän Stalin führt uns von Sieg zu Sieg" steht auf einem Plakat, das im ehemaligen Straflager Perm 36, das bis 1989 von der Sowjetunion als Gefängnis für Dissidenten und andere Häftlinge benutzt wurde, ausgestellt ist.
    "Kapitän Stalin führt uns von Sieg zu Sieg" steht auf einem Plakat, das im ehemaligen Straflager Perm 36, das bis 1989 von der Sowjetunion als Gefängnis für Dissidenten und andere Häftlinge benutzt wurde, ausgestellt ist. (picture alliance / dpa / Matthias Tödt)
    Für "Memorial Perm 36" wurde es seit 2012 immer enger, mussten sich die Memorial-Aktivisten als sogenannte ausländische Agenten, sprich Spione, registrieren lassen. Die Bürokratie erklärte ihr den Krieg: mit Kontrollen, dem Entzug der Finanzen, der Beschlagnahmung der Gebäude. Die Exponate, das Archiv und die Bibliothek gehören der Nichtregierungsorganisation, doch die Aktivisten können sie nicht holen und in neue Räume bringen, denn sie haben keinen Zutritt mehr zu der Stätte, die es ohne sie gar nicht gäbe. Solidarität erweist den Permer Kollegen das Sacharow-Zentrum Moskau, wo vergangene Woche zehntausende Menschen Abschied von dem erschossenen Oppositionspolitiker Boris Nemzow nahmen. Sergej Lukaschewski hatte sein Haus zur Verfügung gestellt, von staatlichem Druck kann er ein Lied singen.
    "Die Probleme, die das Perm-Museum und unser Sacharow-Zentrum haben, rühren aus dem Misstrauen, das jetzt allen entgegenschlägt, die eigene, von der Regierung unabhängige Kontakte ins Ausland pflegen und von dort finanzielle Unterstützung bekommen. Wegen des Konfliktes mit der Ukraine, dem Westen und der EU sind solche Kontakte nicht erwünscht. Auf uns wird Druck ausgeübt, weil wir die Geschichte der Sowjetunion als totalitären Staat zeigen, des Widerstands gegen das Regime und der Dissidentenbewegung und weil wir unser Zentrum als Veranstaltungsort zur Verfügung stellen, wo überhaupt noch freie Diskussionen stattfinden können."
    Politische Lippenbekenntnisse
    Weder der russische Präsident Putin noch Premier Medwedjew haben sich gegen das Gulag-Museum Perm 36 ausgesprochen. Es sei sogar notwendig, betonten sie noch voriges Jahr. Doch schon auf einer Geschichtslehrerkonferenz 2007 hat Putin die künftige Ausrichtung vorgegeben. Russland habe düstere Kapitel in seiner Geschichte. Doch solle man nicht bei den Verbrechen Stalins verweilen, sondern seine Erfolge beim Aufbau einer ruhmreichen sowjetischen Vergangenheit zeigen.
    Sowohl in das Gulag- als auch in das Sacharow-Museum kommen weit weniger Besucher als früher. Aber selbst wenn es nur 5 oder 10 Prozent sind, sagen die Aktivisten, dann sei das doch schon eine Basis. Nach dem Zerfall der Sowjetunion habe so gut wie niemand Details über die schreckliche Vergangenheit hören wollen.
    40 Organisationen stehen inzwischen auf der Liste der sogenannten ausländischen Agenten, sie wird immer länger, beobachtet Sergej Lukaschewskij vom Sacharow-Zentrum.
    "Wir werden behandelt wie in einem Getto, wo jeden Tag eine andere Schikane kommen kann, die Regierung kann uns Kontakte verbieten, mit Steuern belegen oder noch mehr bürokratische Hürden aufstellen. Das ist ein Frontalangriff auf Organisationen, die bislang unabhängig waren."