Fettnäpfchen mit Ampel

Von Udo Pollmer · 10.07.2011
Die Lebensmittelampel ist erneut in der EU gescheitert. Die Verbraucherverbände sind empört. Statt einer Kennzeichnung mit bunten Farben muss der Verbraucher nun selbst die Zahlenangaben zu den einzelnen Nährstoffen bewerten. Das erschwere eine gesunde Ernährung.
Die umstrittene Entscheidung der EU, bei der Nährwertkennzeichnung auf die Ampelfarben zu verzichten, war vielleicht klüger, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn fast zeitgleich erschien dazu eine Studie, die kaum Widerhall in unseren Medien fand. Die Psychologieprofessorin Susan Swithers von der Purdue Universität hatte Kartoffelchips an Ratten verfüttert und die Tiere von Zeit zu Zeit gewogen. Die Chips unterschieden sich nur durch ihren Fettgehalt.

Ergebnis: Am schlanksten blieben die Ratten, die die fettigen, handelsüblichen Chips aus dem Supermarkt zu fressen bekamen. Das Futtern von fettarmen Chips ließ die Tiere dicker werden. Würde man hier die Ampel anwenden, erhielten gerade die Chips, die dick machen, grünes Licht!

Aber es gab in der Studie noch eine böse Überraschung: Das Extra-Gewicht, das die Versuchstiere durch fettarmes Zeugs vier Wochen später auf den Rippen hatten, ließ sich danach auch nicht mit Kaloriensparen senken.

Mit dem Geschmack hatte das Ergebnis nichts zu tun. Er war identisch. Denn die fettarmen Chips enthielten Olestra, ein Fettersatzstoff, der unverdaulich ist. Schmeckt wie Fett, liefert aber keine Kalorien. Irgendwie erinnert das an die Erfahrungen beim Menschen: Wer durch bewusste Ernährung abnehmen will, wird meist korpulenter.

Aber woran liegt das? Schließlich gelten die Gesetze der Physik nach wie vor. Einen Hinweis gibt ein fast identischer Versuch mit Diätjoghurt. Dabei war der Zucker durch Süßstoff ersetzt worden. Innerhalb weniger Wochen nahmen auch hier die Ratten mit süßstoffhaltigem Diätjoghurt schneller zu als solche mit gezuckerter Ware – und zwar ohne dass sie entsprechend mehr gefressen hatten.

Um das zu verstehen, helfen zwei Beobachtungen weiter. Erstens: Das Unterhautfettgewebe der Tiere wurde massiver. Und zweitens sank die Körperinnentemperatur um ein paar Zehntel Grad ab. Die Wärmeproduktion, die Heizung der inneren Organe verschlingt am meisten Energie, nicht die Bewegung. Säugetiere brauchen stets eine Körperinnentemperatur von etwa 37 Grad Celsius. Sinkt diese nur wenige Grad ab, dann stirbt das Lebewesen. Tieren, die wechselwarm sind, die sich also von der Sonne wärmen lassen, denen reicht eine einzige Mahlzeit oftmals Wochen oder gar Monate.

Eine minimale Absenkung der Innentemperatur um wenige zehntel Grad spart einiges an Energie. Und genau das taten die Ratten. Die Ersparnis nutzte ihr Körper zur Verstärkung der Isolation. Daher das dickere Unterhautfettgewebe. Wir sehen: Fett bildet sich vor allem im Sparmodus.

Und woher weiß unser Körper das? Das vermitteln ihm seine metabolischen Sinne. Wir haben nicht nur Sinnesorgane, die uns Informationen über die Umwelt liefern, wie Augen, Ohren und Nase – sondern auch un-zählige Sinne, die den Status unseres Innenlebens messen und nachjustieren. Nur merken wir nichts davon. Ja, wir sollten froh drum sein, denn wir haben schließlich was Besseres tun. Um das Innenleben kümmert sich unser Körper, ohne dass er uns davon aufgeregt erzählt.

Aber mal ehrlich: Genügen ein, zwei Studien an Ratten, um die Ampelidee über den Haufen zu werfen? Kein Problem, es gibt zahlreiche Untersuchungen mit gleichsinnigen Ergebnissen – doch sie werden in der öffentlichen Diskussion konsequent unterschlagen. Hier herrscht der Zeitgeist! Wenn also wieder einmal der Ampel das Wort geredet wird, dürfen Sie ruhig rot sehen. Lassen Sie sich doch nicht zum Narren halten, Ihr Körper lässt sich das ja auch nicht gefallen. Mahlzeit!


Literatur
Swithers SE et al: Fat substitutes promote weigth gain in rats consuming high-fat diets. Behavioral Neurosci-ence 2011; epub ahead of print
Swithers SE et al: General and persistent effects of high-intensity sweeteners on body weight gain and ca-loric compensation in rats. Behavioral Neuroscience 2009; 123: 772-780
Trends in Food Science and Technology 2010; 21: 558-568
Polmer U: Sauber durch Plasma. Mahlzeit! Deutschlandradio Kultur vom 6.2.2011 http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/mahlzeit/1380687/