Festival Présences von Radio France

Carte Blanche für Pascal Dusapin

Der Komponist Pascal Dusapin, hier in der Staatsoper Berlin im Jahr 2006
Der Komponist Pascal Dusapin, hier in der Staatsoper Berlin im Jahr 2006 © IMAGO/DRAMA-Berlin.de
Moderation: Volker Michael · 09.03.2021
Beim Pariser Eröffnungskonzert des "Présences" Festivals stand der zeitgenössische Komponist Pascal Dusapin im Mittelpunkt. Seine Werke wurden, ungewöhnlich für ein Festival für Neue Musik, mit Historischem gemischt, mit Werken von Schubert und Buxtehude.
Wie es fast überall derzeit üblich ist, musste auch das Festival Présences in Paris ohne Publikum auskommen. Im vergangenen Februar hat es stattgefunden und war, wie schon der Titel sagt, der gegenwärtigen Musik gewidmet.
Blick vom Eiffelturm in Paris auf das Rundfunkhaus (Maison de la Radio)
Blick vom Eiffelturm in Paris auf das Rundfunkhaus (Maison de la Radio) © picture alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch
Beim Eröffnungskonzert am 2. Februar spielten und sangen im Maison de la Radio in Paris Solistinnen und Solisten und Mitglieder der Ensembles Accroche Note und 2e2m. Das gesamte Festival widmete sich dem französischen Komponisten Pascal Dusapin. Er gehört zu den etablierten Größen unseres Nachbarlandes.
Das Programm dieses Radiokonzerts umfasste – durchaus ungewöhnlich für ein Neue-Musik-Festival – aber nicht nur Musik aus unserer Zeit, sondern auch alte und ältere Musik. In diesem Fall treffen zwei Orgelstücke Dietrich Buxtehudes und drei Lieder aus der Winterreise von Franz Schubert auf Werke von Pascal Dusapin, Paul Méfano und Amy Crankshaw.
Der Dirigent in schwarzem Shirt beim Dirigieren von einem blau-grün beleuchteten Raum.
Der Dirigent Franck Ollu© Astrid Ackermann/DSO
Der Abend beginnt ganz klassisch mit einer Art Fanfare für zwei Trompeten und Pauken. Attaca heißt das Stück, das Pascal Dusapin für einen besonderen Anlass vor dreißig Jahren komponiert hat.
Sein Freund Bernard Foccroulle wurde damals als Direktor des Brüsseler Operntheaters La Monnaie eingeführt. In "Attaca" spielen alle drei Instrumente girlandenartige Tonfiguren, die einander umwickeln wie die verschiedenen Triebe einer Rankpflanze. Sie sind durchaus melodiös und gehen pausenlos ineinander über, wie es ja der Titel attaca für den musikalischen Bereich aussagt.

Buxtehude und Schubert als Moderne Musik

Dietrich Buxtehudes sei immer modern, sagte Pascal Dusapin in der Sendung von Radio France. Buxtehude habe ihn schon seit seiner Jugend begleitet. Er selbst war auch Organist, das verbindet ihn mit seinem Freund Bernard Foccroulle, der in diesem Konzert auch als Interpret auf der Grenzing-Orgel des Maison de la Radio tätig war.
Neben der F-Dur-Toccata Buxtehudes spielt Bernard Foccroulle die Passacaglia d-Moll, 28 Erscheinungen eines Themas - angelehnt an die Tage eines Monats im Mondenlauf.

In der Dämmerung beleben sich Objekte

Die in London lebende Komponistin Amy Crankshaw hat ein neues Werk zum Konzertprogramm beigesteuert. Sie stammt aus Südafrika und hat von Radio France den Auftrag bekommen, ein Klavierstück zu schreiben. Dafür hat sie sich von visuellen Effekten inspirieren lassen, die während der Dämmerung auftreten. Auf Englisch heißt ein dämmerungsaktives Wesen "crepuscular" - so auch der Titel des neuen Stückes.
Es seien visuellen Mehrdeutigkeiten, die in der Dämmerung auftreten, meint die Komponistin. Die Umgebung scheine sich zu verzerren - bestimmte Farben leuchten auf, und große Objekte tauchen aus der Ferne auf, um bald im Schatten zu verschwinden; sie wirken wir unbelebte Körper, denen Leben eingehaucht wird.

Schubert - eine musikalische Wurzel

Wer könne nicht von Franz Schubert inspiriert werden als Komponist, meinte Pascal Dusapin in der Sendung von Radio France. Deshalb standen drei Lieder aus der "Winterreise" ebenfalls auf dem Programm. Nicht zuletzt auch deshalb, weil vokale Kompositionen einen wichtigen Teil in Dusapins Schaffen ausmachen. Der Bariton Paul Gay singt Auf dem Fluss, die Krähe und der Wegweiser – es spielt dazu Vanessa Wagner.

Melancholie mit Kontrabassklarinette

Ein neues Stück von Dusapin selbst gab es ebenfalls – "La Vita Sognata", drei Gedichte von Antonia Pozzi für Sopran und Ensemble. Diese Mailänderin schied bereits mit 26 Jahren eigenhändig aus dem Leben. Pascal Dusapin liebt die Poesie Pozzis außerordentlich, vor allem deren Melancholie. Bald war ihm klar, er müsse die Verse Pozzis vertonen.
Um den Inhalt adäquat auszudrücken, hat Dusapin ein besonderes Ensemble ausgewählt, zur weiblichen Stimme kommen Flöte, Bassetthorn, Bass- und Kontrabassklarinette, Schlagzeug, Harfe, Klavier Bratsche und Cello. Die dunkle Farbe dieses Ensembles schien ihm besonders angemessen für Klang und Inhalt der Verse Antonia Pozzis.

Cello im Kreisverkehr

Einem einzigen Instrument gehört ein weiteres Set im Eröffnungskonzert. Die Cellistin Sonia Wieder-Atherton spielte eine eigene Paraphrase über ein ägyptisches Lied und gleich im Anschluss ein weiteres Stück von Pascal Dusapin. Das trägt den deutschen Titel "Immer" und entstand vor 25 Jahren für den Cellisten Walter Grimmer. Es hat drei unterschiedliche Sätze, in denen allerdings immer die gleiche Frage gestellt werde.
Wie in einem Kreisverkehr kann man verschiedentlich abbiegen und wird immer etwas Anderes erleben, selbst wenn man sich zweimal für die gleiche Abfahrt entscheidet. Und nie weiß man, welches Ende man erreicht, denn es hängt von der eigenen Entscheidung ab. Was nicht heißt, dass die Cellistin hier ziellos durch die klangliche Welt irren würde. Es gibt nur keine Kausalitäten, die einfach erkennbar wären. Die Solistin in den folgenden beiden Stücken, die ineinander übergehen, ist die in Paris lebende Sonia Wieder-Atherton, die vielfältig tätig als Grenzgängerin zwischen den musikalischen Welten.

Erinnerungen an den Sommergarten

Im Présences-Eröffnungskonzert gab es auch ein Werk von Paul Méfano. Der geschätzte Kollege Dusapins ist im vergangenen Jahr gestorben. Méfano war Schüler von Darius Milhaud und Olivier Messiaen. Im Jahr 2003 schrieb Méfano für das von ihm gegründete Ensemble 2e2m das Stück "Jades". Über die Arbeit mit 2e2m haben sich auch Dusapin und Méfano kennen und schätzen gelernt.
Seine Energie und jugendliche Leidenschaft habe ihm immer imponiert, erinnerte sich Dusapin an den Kollegen. Für sein Stück "Jades" für Flöte, Klarinette, Gitarre und zwei Celli ließ sich Méfano von Malerei inspirieren. Vorlage war in diesem Fall ein Werk namens "Sommergarten" des zeitgenössischen Malers Chu Teh Chun. Der exil-chinesische Künstler lebte in Paris.

Nietzsche rein zufällig

Dusapin verton gern deutsche Texte - er ist ein wahrer Europäer, vor allem in der Wahl der Textsprachen seiner Vokalwerke. "Oh Mensch" heißt ein Zyklus von Stücken für Bariton und Klavier auf Texte von Friedrich Nietzsche. Es sei eine "zufällige musikalische Bestandsaufnahme einiger Leidenschaften" des anhaltinischen Philosophen. Pascal Dusapin beschreibt es als einen Spaziergang entlang unterschiedlicher Themen wie Menschlichkeit, Höhen und Tiefen, Nacht, Tod, Verzweiflung, Liebe, Geheimnis, Richard Wagner, Natur, Erkenntnisfreude, das Fass des Diogenes, Ruhm, Mond".
Nicht alles werden Sie finden in den Auszügen aus Dusapins Zyklus: Oh Mensch, gib acht! Ein Spiegel ist das Leben, Ehrgeiz, Der Wanderer müssen dabei genügen.
Das Konzert endet mit einem weiteren Stück von Pascal Dusapin – Anacoluthe für Sopran, Kontrabassklarinette und Kontrabass. Anakoluth ist ein Begriff der Grammatik und heißt Satzbruch. Das Werk entstand Ende der 1980er Jahre im Vorlauf zu Dusapins erster Oper "Romeo et Juliette".
Es verbindet Erzählung und Theater miteinander. Entsprechend viel Text muss die Sängerin Françoise Kubler darstellen – wie es oft üblich ist in dialoggetränkten französischen Filmen. Und entsprechend weit ist das Reservoir an Ausdrucksformen, nervös ironisch bis sentimental getragen, in jedem erdenklichen Tempo.
Maison de la Radio, Paris
Aufzeichnung vom 2. Februar 2021
Pascal Dusapin
"Attacca" für 2 Trompeten und Pauken
Dietrich Buxtehude
Toccata für Orgel F-Dur BuxWV 156
Amy Crankshaw
"Crepuscular" für Klavier solo (Uraufführung)
Franz Schubert
Aus "Die Winterreise" op. 89, D 911:
Nr. 7. Auf dem Flusse
Nr. 15. Die Krähe
Nr. 20. Der Wegweiser
Pascal Dusapin
La vita sognata (Uraufführung)
Sonia Wieder-Atherton
"Avant le son - d’après un chant égyptien" für Violoncello solo
Pascal Dusapin
"Immer" für Violoncello solo
Paul Méfano
Jades
Pascal Dusapin
"O Mensch!" für Bariton und Klavier
O Mensch ! Gib acht !
Ein Spiegel ist das Leben
Ehrgeiz
Der Wanderer
Dietrich Buxtehude
Passacaglia für Orgel d-Moll BuxWV 161
Pascal Dusapin
"Anacoluthe" für Stimme, Klarinette und Kontrabass

Françoise Kubler, Sopran
Paul Gay, Bassbariton
Sonia Wieder-Atherton, Violoncello
Vanessa Wagner, Klavier
Bernard Foccrouelle, Orgel
Armand Angster, Klarinette
Javier Rosetto, Célestin Guérin, Trompete
Rodolphe Théry, Pauken
Florence Darel, Schauspielerin
Ensemble Accroce Note
Leitung: Franck Ollu

Ensemble 2e2m
Leitung: Léo Margue

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