Festival im Berliner "Hebbel am Ufer"

Subkultur in Pakistan

Pakistan: Das tägliche Leben in Abbottabad
Pakistan: Das tägliche Leben in Abbottabad © picture alliance / dpa / EPA / Rahat Dar
Von Gerd Brendel · 15.05.2016
Pakistan taucht in den Medien fast nur als Schauplatz von Terroranschlägen und Drohnenangriffen auf. In Berlin erinnert das Festival "From inside to way out" an pakistanische Aktivisten, Musiker und Künstler, die nicht in das Bild einer streng islamischen Gesellschaft passen.
Ortsnamen wie Beschwörungen, Orte, von denen Menschen vertrieben wurden. Orte, an denen Menschen ermordet wurden, Orte, an denen die Überlebenden ein neues Leben begannen. Der Audiowalk "Stories of displacement" ist Teil einer Veranstaltungsreihe im Berliner HAU, die Künstler und Musiker aus Pakistan präsentiert.
Sonya Schönberger und Shahana Rajani schicken die Teilnehmer in eine Parkanlage. Dort hören sie über Kopfhörer Geschichten von Holocaust-Überlebenden und Geschichten von Muslimen und Hindus, die nach der Teilung von Britisch-Indien in Pakistan und Indien ihre Heimat verlassen mussten und im Nachbarland Obdach fanden, wenn sie die Flucht überlebten. Bis heute prägt das Trauma der Teilung die nationale Psyche der beiden Nachbarländer Indien und Pakistan.
"Wenn man am Nationalfeiertag fragt, von wem Pakistan denn 1947 unabhängig wurde, werden viele Leute antworten: von Indien."
Die Video-Künstlerin Bani Abidi:
"Statt um die Emanzipation von England ging es immer um die Emanzipation von Indien und um die Frage wie wie wir ein rein-islamisches Land werden können. Das bedeutet, dass man die kulturellen Verbindungen zu Indien kappt, weil das ja den Hindus gehört."

Wie soll man dieses absurde Land erklären?

Abidi ist in Karachi aufgewachsen, hat in Dehli und den USA gelebt. Mit ihren Arbeiten war Abidi auf der letzten Documenta vertreten und der Berlin Biennale. Jetzt sitzt die Künstlerin auf einen Podium zu kulturellen Freiräumen in der pakistanischen Millionenmetropole.
"Shall we explain Pakistan?"
... fragt der Moderator. Aber wie soll man dieses absurde Land erklären, dessen Gründungsmythos schon auf einer Fiktion beruht. Auf der einen Seite eine mehr demokratisch gewählte Regierung, kritische Medien, auf der anderen Seite Korruption, Terroranschläge alle paar Wochen. Zu deren Opfer gehören immer wieder Menschenrechtsaktivisten wie Sabeen Mahmud vor einem Jahr. Ihre Mutter sitzt mit auf dem Podium. Neben ihr erzählt Daniel Arthur Panjwaneey von seinem Alltag als Musiker und Song-Schreiber. Was er nicht erzählen kann?
"Auf keinen Fall irgendetwas kritisches über Religion, über den Islam, zumal ich auch noch Christ bin. Es gibt religiöse Empfindlichkeiten."
Eine diplomatische Umschreibung für die Situation der Christen. Immer wieder werden Kirchenmitglieder vor allem der Unterschicht der Blasphemie beschuldigt, verfolgt, vom Mob ermordert.

"Ganz andere rhythmische Elemente"

Am Abend steht Daniel Panjwaneey mit einem Dutzend Musikern auf der Bühne. Sie alle sind Teil der "Karachi Files", einem grenzüberschreitenden Projekt mit elektronischer Musik. Initiiert haben es die Berliner Elektro-Musiker Hannes und Dani Teichmann zusammen mit dem Goethe-Institut. Bei seinen Reisen nach Karachi sind Hannes Teichmann bei seinen pakistanischen Kollegen und Kolleginnen vor allem zwei Dinge aufgefallen:
"... geprägt sind sie durch ganz andere rhythmische Elemente. Nicht so wie bei uns so geradeaus - die Marschmusik. Und das andere ist, dass die Eltern der meisten unserer Musiker in so Jazz- und Soulbands gespielt haben."
Die bestimmten die Musikszene der Millionenstadt bevor der Militärdiktator Mohammed Zia-ul-Haq dem Land nicht nur einen orthodox-arabischen Islam verordnete, sondern auch das Blasphemie-Gesetz in seiner jetztigen Fassung erließ. Der Streit darüber, was islamisch ist und was nicht, beherrscht bis heute die pakistanische Gesellschaft.
Fundamentalistischen Predigern sind zum Beispiel die Sufis, islamische Mystiker, ein Dorn im Auge. Der Filmemacher Till Passow hat ihr Leben dokumentiert. Ein anderer Film auf dem Festival porträtiert den Alltag der Hijras zwischen Diskriminierung und kleinen Freiräumen.
Hijras sind Transvestiten und auch sie sind Teil der traditionellen Kultur. Früher lebten sie als anerkannte Musiker und Tänzerinnen am Hof der Moghulkaiser und heute? Im widersprüchlichen Pakistan hat eine von ihnen als Fernsehstar Karriere gemacht.

Eine Stadt im Wartezustand

Acht Jahre lang bis 2013 gehörte Lady Begum Nawazish Alis Talkshow zu den beliebtesten Fernsehsendungen des Landes. Ein Mann im Sari, der Politiker und Showstars interviewt. Das gab es vorher noch nie. Natürlich gab es Morddrohungen, aber ..
"Mir ist es auch passiert, dass mich orthodoxe Muslime, er langer Bart, sie komplett verschleiert, auf der Straße voller Begeisterung angesprochen haben. Sie würden jeden Tag zu Allah für meine Sendung beten."
In Pakistan hat Ali mittlerweile wieder seine eigene Show. Seine, ihre Fans gehören dort zum Alltag wie die islamischen Fundamentalisten. In einem ihrer Videos zeigt die Künstlerin Bani Abidid eine Stadt im Wartezustand: Schulkinder mit Wimpeln, abgesperrte Straßen, aufgeregte Honoratioren vor einer verschlossenen Tür. Alle wartet auf einen VIP, der nicht kommt.
An diesem Wochenende in Berlin konnte man Musiker, Filmemacher und Künstler aus Pakistan treffen, die es satt haben ab zu warten, die sich nicht einschüchtern lassen vom Terror, und die Hoffnung auf ihr Land nicht aufgeben wollen.
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