Festival für jüdische Musik

"Wir wissen, dass Bildung nicht vor Judenhass schützt"

09:27 Minuten
Jascha Nemtsov spricht im Sitzen und gestikuliert dabei.
"Den intellektuellen Antisemitismus gab es ja schon immer", sagt Jascha Nemtsov. © imago/Bild13
Jascha Nemtsov im Gespräch mit Carsten Beyer · 16.11.2020
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Europas Musik sei wesentlich von jüdischen Migrationsbewegungen beeinflusst, sagt der Pianist Jascha Nemtsov. Wie jede andere Musik profitiere jüdische Tonkunst von Kritik, doch dürfe die nicht von Antisemitismus vergiftet sein.
Gleich an mehreren Standorten beginnen die Internationalen Tage der Jüdischen Musik. Zum dritten Mal findet das Festival in diesem Jahr statt, und diesmal bietet es vom 16. bis zum 22. November Konzerte, Liederabende und Musikaufführungen "in allen Himmelsrichtungen, von Nord nach Süd, von Ost nach West", wie es in der Ankündigung der Organisatoren heißt: Spielorte sind Stavenhagen, Berlin, Köln und Würzburg.
Aufgrund der Coronapandemie ist dabei für Veranstalter und Teilnehmende aber natürlich klar: Publikum ist nicht zugelassen, die Konzerte und Veranstaltungen werden gestreamt und landen bei YouTube und auf der Website des Festivals.

Gemeinsamer Aufbruch: Hoffnung und Wunschdenken

Für Jascha Nemtsov, Pianist und Musikwissenschaftler und einer der Stars des diesjährigen Festivals, steckt im Motto des Festivals "Gemeinsamer Aufbruch" vor allem "eine Hoffnung und ein gewisses Wunschdenken". In den letzten Jahrzehnten habe sich für solch einen Aufbruch ja viel entwickelt im jüdischen Leben:
"Wir hatten eine sehr starke Zuwanderung von Juden aus Osteuropa, auch ich bin selbst im Rahmen dieser Zuwanderung nach Deutschland gekommen Anfang der 90er Jahre."
Allerdings gehöre zu dieser Entwicklung, die in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt erfuhr, dass jetzt nach knapp 30 Jahren diese Zuwanderung sowie der Einfluss und die Beeinflussung hier auch wieder zurückgehe oder zumindest stagniere.

Unterschwellige Feindseligkeit gegen jüdisches Leben

Nemtsov nimmt die Einschätzung des Beauftragten der Bundesregierung für das jüdische Leben in Deutschland, Felix Klein, auf, indem er sagt, dass eben für die jüdische Gemeinde nicht nur das Coronavirus, sondern auch das "Virus Antisemitismus" für Probleme, Einschränkungen und Gefahren sorge.
"Es ist kein neues Virus, es ist ein Phänomen, das die jüdische Geschichte seit über 2000 Jahren begleitet", sagt Nemtsov. Es sei klar zu merken, dass sich hier "gewisse Stimmungen und gewisse Strömungen verstärkt haben". Doch diese Haltungen selbst seien schwierig zu messen und darum oft schwer klar zu benennen und auszusprechen: "Es gibt nicht so viel offenen Antisemitismus, es ist sehr oft unterschwellig."

Genau unterscheiden zwischen Kritik und Antisemitismus

Mit Blick auf eine Polemik gegen den Pianisten Igor Levit, die kürzlich in der Süddeutschen Zeitung erschien und in Feuilletons und sozialen Netzwerken einen heftigen Schlagabtausch auslöste, weil viele Debattanten Levit, dem der SZ-Autor unter anderem eine "Opferanspruchsideologie" vorgeworfen hatte, persönlich und antisemitisch herabgewürdigt sahen, sagte Nemtsov:
"Den intellektuellen Antisemitismus gab es ja schon immer, was auch daran deutlich wird, dass der Begriff 'Antisemitismus' ja selbst aus dem Intellektuellenmilieu kommt und dass eben Bildung nicht vor Judenhass schützt".
Doch plädiert Nemtsov auch dafür, hier klar zu unterscheiden zwischen Antisemitismus und Kritik, die eben auch möglich sein müsse gegenüber jüdischen Musikern oder Künstlern, denn eine pauschale Befreiung jüdischen Schaffens von jeder Kritik würde nur Antisemiten in die Hände spielen.
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