Festival d'Avignon

Solidarität nach Nizza-Anschlag

Dem Anschlag von Nizza zum Trotz - das Festival geht weiter: Straßenkünstler vor dem Rathaus in Avignon.
Straßenkünstler vor dem Rathaus in Avignon am Tag nach dem Schlag © Deutschlandradio / Eberhard Spreng
Von Eberhard Spreng · 17.07.2016
Nicht etwa mit Schweigen, sondern mit einer Minute Applaus hat man auf dem Festival d'Avignon auf die Anschläge in Nizza reagiert. Die Festivalleitung setzt auf trotzigen Aktivismus statt auf passive Trauer.
Nicht mit Schweigeminuten, sondern mit der Aufforderung, vor den Aufführungen "den Kräften des Lebens" trotzig eine Minute Applaus zu spenden, reagierte die Festivalleitung in Avignon auf den Anschlag von Nizza. Aber es ist merkwürdig, mit den Händen zu klatschen, während man an über 80 Opfer denkt und vielleicht deshalb wird diese Gedenkempfehlung nicht konsequent befolgt. Nicht zumindest bei der Premiere des "Floß der Medusa" von Georg Kaiser, das Thomas Jolly mit Straßburger Schauspielschülern eingerichtet hat.
Der seit seinem 18-stündigen Shakespeare-Marathon vor zwei Jahren als französisches Theaterwunderkind gehandelte Jolly hat die pessimistische Gesellschaftsmetapher von 13 auf hoher See in einem Rettungsboot treibenden Kindern als finsteren Alptraum inszeniert. Ein langsam kreisendes Rettungsboot vor graublauem Wolkenprospekt – Dunkelmalerei mit Anklängen an Géricaults romantisches Gemälde.

Theater spiegelt Narrativ der Massenmedien

Jollys Arbeit reiht sich ein in eine ganze Reihe gelungener Inszenierungen in diesem starken Festivaljahr. Es will gegen das verkommene Geschehen in der professionellen Politik eine selbstbestimmte, hoffnungsvolle Politik von unten etablieren. Aber manche seiner Aufführungen wurden schnell von der Tragödie des 14. Juli eingeholt: Der psychisch labile Einzeltäter und die traumatisierte Gesellschaft, das war vom Schlussbild in van Hovens "Verdammten" bis zu Lars Norens "20. November" eine gerne bemühte Chiffre. Schade, dass das Theater hier nichts weiter tut, als ein Narrativ der Massenmedien auf die Bühne zu spiegeln.
Weniger spektakulär, dafür aber intelligenter sind Ansätze, die die Krise der Politik nicht im Einzelereignis, sondern in der schleichenden Zersetzung der Gesellschaft erkennen, wie beispielhaft in Anne-Cécile Vandalems "Tristesses": Das kriselnde Europa im Gewand einer dänischen Insel, der die politischen Machenschaften einer rechten populistischen Partei die ökonomische Grundlage entzogen und deren verbliebene Bevölkerung in namenlose Traurigkeit gestürzt haben. Oder José Saramagos Parabel von einer Wahl voller ungültiger Stimmzettel, abgegeben von überdrüssigen Wählern, die Politkomödie "Ceux qui errent ne se trompent pas". Die Demokratie ist kaputt gegangen, der Reparaturbetrieb in Avignon läuft auf Hochtouren, aber nicht immer wird an den richtigen Schrauben gedreht.
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