Fernsehkritik

Die Dummheit der Bilder

Kamera-Leuchtreklame.
Die reine Desinformation in Beiträgen, die vorgeben, dokumentarisch zu sein, bemängelt Martin Ahrends. © imago
Von Martin Ahrends · 05.10.2017
Das Fernsehen tut so, als sei es überall dabei und könne uns mitnehmen zu allen möglichen exotischen Orten und in denkbare Vergangenheiten. Dabei wimmelt es beim Infotainment von Fehlern gestresster Location-Scouts, kritisiert der Publizist Martin Ahrends.
In einer Fernseh-Dokumentation wird von einer Oppositionellen erzählt, die von den Zersetzungsmaßnahmen der Stasi in die Psychose getrieben wurde, in einen Verfolgungswahn. Zeitzeugen berichten sehr glaubwürdig davon, wie sie sich immer mehr zurückgezogen und zuletzt jeden verdächtigt haben. Spannend anzusehen, wie sie sich beim Erzählen der eigenen Ohnmacht, auch ihrer Schuld bewusst werden an dem zersetzten Vertrauen.

Das Medium verlangt nach Requisiten

Das Medium aber scheut talking heads, es verlangt nach anderen Bildern: Während die Zeitzeugen sprechen, sehe ich eine Wohnung, die man mir, ohne es ausdrücklich zu sagen, als die des Opfers ausgibt, und ich sehe da Dinge, die nicht in diese Wohnung passen: russische Holzmatrjoschkas. Da hat irgendein Requisiteur recherchiert, was in so einer ostzonalen Wohnung wohl herumgestanden haben könnte und was davon im nächstgelegenen Requisitenverleih zu haben ist.
Während die Zeitzeugen aus dem Off von Widerstand sprechen, sehen wir etwas, das wir mit Einfalt, Spießigkeit, Anpassung assoziieren, wir sehen etwas durch Beliebigkeit Unwahres, unterschwellig, unkommentiert, in nachgestellten, quasi authentischen Bildern. Das ist kein Spielfilm, der sich einer bestimmten historischen Deutung zu stellen hat: das läuft unter dem Label der Dokumentation.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir Politiker aus Limousinen steigen und hinter Hoteltüren verschwinden sehen, während wir die Nachrichten des Tages hören. An Zwischenschnitte der immergleichen Art, die nur von der Unbeholfenheit des Bildmediums erzählen, wenn es Texte, aber keine dazu gehörigen Bilder gibt. Das Fernsehen tut so, als sei es immer und überall dabei und könne uns mitnehmen zu allen möglichen exotischen Orten, auch in alle denkbaren Vergangenheiten.

Falsche Bebilderung ist die reine Desinformation

Richtig ins Geld geht der Aufwand, der betrieben wird, einen Napoleon-Statisten vor einem rauchenden Schlachtfeld durch ein Fernrohr sehen zu lassen, damit drei Historikersätze aus dem Off nicht unbebildert bleiben. Kostümierte Laiendarsteller paddeln als Hemingway über den angeblichen Neckar, schuckeln als Madame de Staël in einer Pferdekutsche durch den angeblich deutschen Wald oder beugen sich als Goethe im Gartenhaus über einen Bergbauplan.
Das ist nicht nur redundant, sondern die reine Desinformation in Beiträgen, die vorgeben, dokumentarisch zu sein. Seitdem ein befreundeter Filmemacher mich darauf aufmerksam machte, sehe ich überall die Fehlleistungen gestresster Location-Scouts, Szenenbildner und Requisiteure. Ausblenden kann ich weder die Redundanzen noch die Fehler, die beim Infotainment unterlaufen.
Das ist ja selten böse Absicht. Es ist der mit hohen Kosten verbundene Versuch, einem Medium gerecht zu werden, dessen ungeschriebene Gesetze nach einer Zwangsbebilderung verlangen. Nach Illustration von Sätzen, denen die menschliche Vorstellungskraft der deutlich bessere Illustrator wäre.

Martin Ahrends, Autor und Publizist, geboren 1951 in Berlin. Studium der Musik, Philosophie und Theaterregie. Anfang der 80er Jahre politisch motiviertes Arbeitsverbot in der DDR. 1984 Ausreise aus der DDR. Redakteur bei der Wochenzeitung Die Zeit und seit 1996 freier Autor und Publizist.

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