Fernsehen als Kulturgut

Moderation: Frank Meyer · 31.05.2006
Nach jahrzehntelangen Vorbereitungen wird nun in Berlin am Potsdamer Platz das deutsche Fernsehmuseum eröffnet. In der Dauerausstellung werden Höhepunkte der TV-Geschichte gezeigt. Programmdirektor Peter Paul Kubitz sagte im Gespräch, er wolle das Haus auch für Themen wie Fernsehen und Internet öffnen.
König: Fast 20 Jahre dauerten die Vorarbeiten. Heute Abend ist es soweit: In Berlin im Filmhaus am Potsdamer Platz wird das deutsche Fernsehmuseum eröffnet. Festredner wird der 82-jährige Vicco von Bülow alias Loriot sein. Kulturstaatsminister Bernd Neumann wird sprechen ebenso ZDF-Intendant Markus Schächter und auch die Intendantin des RBB Dagmar Reim. Das Museum ist Teil der Stiftung Deutsche Kinemathek und komplettiert das Filmhaus am Potsdamer Platz mit seinem Filmmuseum. Ziel der Unternehmung soll sein, so hieß es, den historischen und kulturellen Wert des audiovisuellen Erbes im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Mein Kollege Frank Meyer hatte Gelegenheit, Peter Paul Kubitz zu sprechen, den Programmdirektor dieses deutschen Fernsehmuseums. Und seine erste Frage war, warum es denn so lange gedauert hätte, das Fernsehen ins Museum zu bringen.

Kubitz: Ich glaube, das hat damit zu tun, dass das Fernsehen selbst lange gebraucht hat, um zu sehen, dass es ein Kulturgut herstellt. Selbst, wenn es Alltagsware produziert, die man am nächsten Tag vergisst, so sammelt es doch mit der Zeit Geschichte an. Und es brauchte seine Zeit, bis in den Sendern selber die eigene Geschichte als eine aufbewahrenswerte und wiederzuzeigende und -zuhörende begriffen wurde.

Meyer: Wie haben Sie jetzt das Fernsehen ins Museum gebracht? Ich nehme mal an, ganz naiv, es gibt Duzende Bildschirme, und da laufen Ihre Schätze?

Kubitz: Ja, so ist das. Das ist das eine. Also wir sammeln aus den Sendern, was wir für aufbehaltenswert halten. Das sind häufig natürlich preisgekrönte Stücke. Wir suchen aber auch nach Dingen, in denen Zeitgeist steckt, also die eine bestimmte Epoche auf eine wunderbare Weise transportieren, und das stellen wir aus. Entweder indem wir es in einer Programmgalerie in ganzer Länge dem Publikum zugänglich machen, oder indem wir, was ja Tradition ist in der deutschen Kinemathek, über Ausstellungen, also Bilderausstellungen, Themenausstellungen, die etwas aber mit der Gegenwart zu tun haben, der Programmgegenwart, die reizen sollen, die politisch sein dürfen oder ästhetische Fragen stellen dürfen. Über diese Ausstellung machen wir das dem Publikum zugänglich.

Meyer: Das heißt, Sie haben zwei Teile, das eine zeigt die Höhepunkte der Fernsehgeschichte und das andere setzt sich auseinander auch mit der Problematik des Mediums?

Kubitz: Ja natürlich. Ich denke, ein Fernsehmuseum, das Wort ist ja in sich ein bisschen reibig, ein Fernsehmuseum funktioniert dann, wenn es nicht Schätze wie "Fort Knox" verschließt und zu Goldbarren erklärt und keiner darf sie mehr berühren, sondern wenn man so etwas anlegt wie ein subversives Archiv, also Stücke zeigt, die entweder in ihrer Ästhetik einmalig sind oder in ihrer Thematik noch nicht abgegolten sind, und das durchaus mit Themen der Gegenwart in Berührung bringt. Wir haben das Museum auch deshalb in zwei Teile ausgelegt. Es gibt sozusagen eine ständige Ausstellung, die besteht aus einem Spiegelsaal, einem Showroom, in dem eine halbe Stunde lang die Geschichte eines halben Jahrhunderts Fernsehunterhaltung in Ost und West gezeigt wird. Wir haben einen Zeittunnel, da werden Livebilder versammelt, also die Bilder, die uns alle noch mal, wie die Twintowers zum Beispiel, vor diesem Fernsehapparat versammeln und sozusagen gemeinsam aus unserer Isolation, unserer Verspartung, unserer Verkanalisierung herausholen und eben die Programmgalerie, wo jeder entweder seine sentimentale Reise in die Fernsehvergangenheit antreten kann oder aber sich verknüpft mit unserer Datenbank, richtig informieren kann. Und die andere Seite des Museums das ist Spielfläche, das ist Ausstellung, das ist Konferenz, das ist Disput, das sind Pressevorführungen, die gemacht werden et cetera et cetera.

Meyer: Wenn Sie jetzt von subversiven Fernsehbildern, Fernsehgeschichten reden, was haben Sie da vor Augen? Was meinen Sie damit?

Kubitz: Ich mache es mal konkret. Ich habe mich immer wieder gefragt, warum ist eine so wunderbare satirische Reihe wie "Kir Royal" nicht fortgesetzt worden, oder schauen Sie sich, um ein ganzes Gegenstück zu machen, Charles Wilps Afri-Cola-Werbung an, fast ungeschlagen bis heute, obwohl sich die Werbung sehr verbessert hat. Und ein großes Thema Sport, also auch wenn man eigentlich den Fußball nicht mehr hören kann, aber schauen Sie in die Archive und schauen Sie, was Sportjournalismus einmal war, dann können Sie sich fragen, wo ist der Sportjournalismus heute angekommen.

Meyer: Das heißt, Sie zeigen Fernsehgeschichte auch, um der Fernsehgegenwart einen kritischen Spiegel vorzuhalten?

Kubitz: Ja, aber nicht im Sinne von Beckmesserei, nicht im Sinne von Kulturpessimismus "alles war früher besser", dafür taugt die Vergangenheit nicht, sie so auszuplündern. Das wäre zu simpel. Wir wollen einfach mitspielen, in den Themen, die jetzt da sind, und sagen, man muss nicht alle Räder neu erfinden, man kann manche neu rollen lassen, man kann zeigen, was es gab, und das als Ausgangspunkt nehmen, um stärkere Qualitäten zu bekommen.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Peter Paul Kubitz, dem Programmdirektor des ersten deutschen Fernsehmuseums, das in Berlin eröffnet wird. Wir haben vorhin schon etwas über die schwierige Vorgeschichte dieses Fernsehmuseums, das ja mal geplant war als deutsche Mediathek. Die Mediathek sollte Fernseh- und Radiogeschichte darstellen. Neun Millionen Euro waren dafür mal eingeplant, Sie haben jetzt noch knapp vier Millionen. Das ist weniger als die Hälfte. Kann man mit dem Geld eine seriöse Ausstellung machen?

Kubitz: Ja, natürlich. Es geht uns ja so wie vielen. Man muss schon mit einem eigenen Startkapital kommen, aber dann sucht man sich, sage ich auf dem Markt die Leute, die das Thema toll finden und das unterstützen. Man muss auch nicht immer ins Teuerste greifen, um gut zu sein. Also wir haben eine Betriebssicherheit erst einmal bis 2012. Das hätte uns vor drei, vier Jahren, als die Kirch-Pleite kam und die Privaten zusammenzuckten und sagten, wir finanzieren so eine kulturpolitische Einrichtung nicht mit, keiner prophezeit. Wir haben einen guten Start, wir haben eine gute Strecke, die wir übersehen können, die Mittel sind da, was will ich mehr.

Meyer: Sie sprechen die Privaten an. Ich habe verschiedenes gelesen, sie seien gar nicht oder kaum vertreten. Wie ist es, wie sehr sind die Privaten mit im Boot?

Kubitz: Legende, Legende. Natürlich sind die Privaten bei uns vertreten und sie sind es wirklich im Anteil, den sie an der Fernsehgeschichte haben. Nun ist es aber auch nicht verwunderlich, die Privaten sind 1985 auf den Markt gekommen. Natürlich ist die Geschichte der Öffentlich-rechtlichen eine wesentlich längere. Aber die Kriterien, die wir ansetzen, bei den Privaten wie bei den Öffentlich-rechtlichen: was sammeln wir, was stellen wir vor – das sind die gleichen. Also es gibt keine Diskriminierung der Privaten, im Gegenteil, wo immer wir eine Produktion finden, die wir aufregend finden, schnappen wir sie uns und stellen sie in die Programmgalerie.

Meyer: Jetzt tut es mir als Radiomann natürlich weh, dass das Radio keine Rolle mehr spielt in Ihrem Museum.

Kubitz: Mir auch.

Meyer: Was kann man tun?

Kubitz: Wir müssen einen Sponsor finden. Das Radio, das ist furchtbar, das Radio fällt dann immer am Ende vom Tisch, wir müssen einen Sponsor finden, weil geplant ist und fest installiert, zu sagen, technisch auch schon als Voraussetzung eine Audiolounge. Wir haben eine relativ bescheidene Fläche im Filmhaus am Potsdamer Platz. Das Filmmuseum hat 1.500 Quadratmeter. Wir haben rund 1.200 Quadratmeter. Das Publikum wird hier beide Museen der deutschen Kinemathek als eine Besuchsmöglichkeit begreifen, und das soll es auch. Wir spielen Fernsehen und Film nicht gegeneinander aus und auf dieser relativ kleinen Fläche ist natürlich auch nicht sehr viel Platz für das Radio. Aber wir wollen eine Audiolounge und wir werden das, denke ich, innerhalb des nächsten Jahres schaffen, in der man auch noch mal mitbekommt, dass in den 1950er und 1960er Jahren eben nicht das Fernsehen sondern das Radio das Leitmedium war. Und schauen Sie mal, als das Fernsehen startete zu Beginn der 50er Jahre, da gab es im Westen Deutschlands, wenn ich das richtig im Kopf habe, circa 2.000 angemeldete Fernsehgeräte, aber fünf Millionen angemeldete Rundfunkgeräte. Und der Umbruchpunkt ist erst Ende der 1960er Jahre. Also man kann nicht vom Fernsehen reden historisch und vom Radio schweigen. Das geht nicht.

Meyer: In Ihrem Konzept steht auch, Sie wollen nicht nur die Geschichte des Fernsehens zeigen, sondern auch einen Blick in die Zukunft werfen, was schwer vorstellbar ist. Wie wollen Sie das anstellen?

Kubitz: Es läuft ja zurzeit wie beim Kino die Debatte mit der DVD, so läuft zurzeit beim Fernsehen die Frage, was passiert eigentlich mit dem Fernsehen und dem Internet. Und ein Museum, das sich dieser Frage nicht stellt, das handelt sozusagen selbst ahistorisch. Nun glaube ich nicht, es hat ja bei jedem Medienwechsel, bei jedem Paradigmenwechsel hat es Prophezeiungen gegeben, "das Buch geht unter", oder "das Radio geht unter", oder "jetzt wird das Fernsehen vom Internet geschluckt". Das glaube ich alles nicht. Aber es gibt spannende, neue Möglichkeiten, und die würden wir gerne ausprobieren. Nur stoßen wir da an erhebliche, urheberrechtliche Probleme. Also stellen Sie sich vor, Sie nehmen eine Schulklasse in Berlin und sagen, hier ist unser Archiv, hier ist unsere Programmgalerie, sortiert diese nur nach euren Interessen, also nicht nach der Handschrift dieses Museums, was ich ganz wunderbar fände, und dann nehmen wir diese Sendung und stellen die als Auszüge ins Netz, in ein sozusagen, einen virtuellen Ausstellungsraum. Wir bauen das Museum ins Netz weiter und wer immer seine Lieblingsbilder auch noch aufs Handy herunterladen möchte, kann das tun. Wir fangen sozusagen einen Diskurs über das Netz an. Wem gehören die Bilder? Welche Leute wählen welche Bilder aus? Was heißt das? Welche Botschaften sind damit verbunden? Ich glaube schon, die Sender würden etwas Gänsehaut bekommen bei der Vorstellung, und was die Urheberrechte anbelangt, ist das urheberrechtlich hochproblematisch und eine Aufgabe des Museums muss es auch sein, diese urheberrechtlichen Fragen offensiv anzugehen. Es kann nicht sein, dass die Bilder, die für das Publikum produziert wurden und die eigentlich den Zuschauern gehören, - ich meine jetzt nicht im materiellen Sinne, aber im kulturellen Sinne, im ideellen Sinne - dass die nicht bewegt werden können durch die Gesellschaft, weil irgendwelche Leute mit Rechten darauf sitzen und sagen, gebt Geld, sonst geben wir nichts.
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