Fern von Demokratie und Menschenrechten

Von Jutta Schwengsbier und Günther Keiffenheim · 12.01.2008
Viele radikale Vertreter des politischen Islam in Afrika und Asien lehnen die westliche Welt und ihre Werte grundsätzlich ab. Sie fordern eine Staatsordnung, die auf dem Islam basiert und den Gesetzen der im Koran festgeschriebenen Scharia folgt. In wörtlicher Auslegung. Doch nicht nur die westliche Welt, auch gemäßigte Musliminnen und Muslime lehnen diese Interpretation und ihre Praxis ab.
Wenn die Muezzine in Lahore, Islamabad oder anderen Orten in Pakistan zum Abendgebet rufen, preisen sie die Scharia, die im Koran beschriebenen Pflichten und Rechte im Islam. Wörtlich heißt Scharia, "den Weg weisen". Viele Muslime berufen sich auf die Scharia, wenn sie den Koran in seiner Gesamtheit ethisch interpretieren wollen. Einige sehen darin ein religiös legitimiertes, unabänderliches Gesetz für alle Lebensbereiche. Andere versuchen die Scharia und ihre Wertmaßstäbe im jeweiligen historischen Zusammenhang zu sehen und ihre Lehren entsprechend anzupassen. Ahmad Shabar Shakir ist Schriftgelehrter und Professor an der Faisal Universität in Islamabad:

"Fünf Rechte sind existentiell für die eine wahre Scharia. Die Religion, das Leben, der Besitz und die Meinungsfreiheit dürfen verteidigt werden. Zudem sollen und dürfen Muslime ihre Religion verbreiten."

Die Scharia regelt nicht nur religiöse Fragen, sondern auch das Erb- und Familienrecht, die Wirtschaft oder das Strafgesetz. Neben den fünfmaligen täglichen Gebeten gehört der Dschihad zu den obersten gemeinschaftlichen Pflichten im Islam. Dschihad: Das heißt wörtlich übersetzt: für etwas eintreten oder um etwas ringen. Die einen sehen darin den Auftrag des Islam, friedlich für ihre Religion zu werben. Andere nehmen den Dschihad als Rechtfertigung, ihre Vorstellung von islamischer Regierung auch mit Gewalt durchzusetzen. Geistliche wie Mufti Muhammad Naeem lehnen es ab, Dschihad als Recht zum "heiligen Krieg" zu interpretieren.

"Der Islam erlaubt es nicht, Unschuldige zu töten, Menschen ohne Grund zu töten. Wir verurteilen jeden, der so handelt."

Die häufigste nicht-natürliche Todesursache von Frauen in Pakistan ist der sogenannte Ehrenmord. Die Scharia sieht als Strafe für Unzucht von Frauen Auspeitschen und Steinigung vor. In Pakistan töten Väter ihre Töchter, Söhne die Mutter. Es vergeht fast kein Tag, an dem nicht über so einen Mord in den Zeitungen berichtet wird. Verbrechen im Namen der Ehre, sagt die Schriftstellerin Attiya Dawood, die meist völlig ungestraft bleiben. Sie hat in zahlreichen Büchern die Praxis des Ehrenmordes in Pakistan beschrieben.

"Von Ehrenmorden betroffen sind Mädchen im Alter von vier Jahren bis zur 80-jährigen Großmutter. Per Gesetz sind Ehrenmorde natürlich nicht erlaubt, aber die Richter urteilen oft zugunsten der Männer. Meist machen sie mildernde Umstände geltend, weil die Männer vor gekränkter Ehre kurzfristig nicht zurechnungsfähig waren, oder sie verwenden den Paragraphen zur Selbstverteidigung zur Urteilsbegründung."

Manche islamische Geistliche akzeptieren nur eine wörtliche Auslegung der Scharia in ihrer Jahrhunderte alten Form, als unabänderliches göttliches Gesetz. Sie rechtfertigen damit Selbstmordattentate, Steinigung von Frauen bei Unzucht oder Amputation von Hand und Fuß bei Diebstahl. Andere fordern, auch den Koran nach seiner historischen Intention zu interpretieren und ihm eine moderne, zeitgemäße Auslegung zu geben. So war zum Beispiel die Steinigung auch bei den Hebräern des Altertums oder im Neuen Testament der Bibel eine häufig erwähnte Hinrichtungsform. Doch nur in einigen islamischen Ländern wird sie mit Berufung auf den Koran auch heute noch praktiziert.

"Ich bin jetzt 84 Jahre alt. Seit meiner Kindheit beobachte ich, was die Händler, Industrielle, Feudalherren und andere Reiche tun. Sie sind Steuerdiebe. Und sie beuten die Menschen aus. Sie verursachen Armut und spalten die Menschen im Namen der Religion, im Namen ihrer Sekten, im Namen des Glaubens und der Klasse. So regieren sie Pakistan auf Basis der Ausbeutung. Ich bin gegen sie seit meiner Kindheit und beobachte sie seit 65 Jahren."

Abdul Sattar Edhi ist kein Islamgelehrter. Aber viele verehren ihn wie einen Heiligen. Er ist eine der am meisten geschätzten und bekanntesten Persönlichkeiten Pakistans. Sein Wort ist unanfechtbar und er selbst unangreifbar. Im Gegensatz zu vielen anderen kann er es sich leisten, offen über Probleme zu sprechen.

"Die religiösen Parteien haben keine Basis, keine Wurzeln in der Bevölkerung. Sie bekommen Geld von den Millionären und Milliardären. Ihre einzige Politik ist es, die Menschen auf religiöser Basis zu spalten. Aber sie haben keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Alle Weltreligionen sind für das Gute. Sie entstanden, um die Menschheit voran zu bringen. Aber diese Mullahs und religiösen Parteien haben die Schrift verfälscht. Religion ist für die Wohlfahrt der Menschheit."

Abdul Sattar Edhi hat mit reinen Spenden, dem im Islam gebotenen Zakat, in Pakistan ein gut funktionierendes Gesundheitswesen aufgebaut. Mit Medizinstationen und Krankenwagen, mit Häusern für Heimatlose und für Frauen, die von Gewalt bedroht sind. Im Islam sollen 2,5 Prozent des eigenen Einkommens für Wohltätigkeiten gegeben werden. Abdul Sattar Edhi hat sich an Straßen gestellt und überwiegend von den Armen Spenden erhalten. Doch durch die Vielzahl der Opfergaben konnte er ein großes Hilfswerk für die Armen aufbauen. Als Hilfe der Armen für die Ärmsten.

"Wenn sie Frieden wollen, dann muss die Armut in der Welt verschwinden. Solange es Ausbeutung gibt, wird es Krieg geben. Solange die Menschen gespalten sind, können wir keinen Frieden schaffen. Das ist der einzige Weg zum Frieden in der Welt. Die Armut zu beseitigen und den Armen zu helfen."