Felwine Sarr

"Koloniale Vorstellungen herrschen nach wie vor"

54:43 Minuten
Porträt von Felwine Sarr.
Felwine Sarr ist Sozialwissenschaftler, Musiker und Professor für Ökonomie in Saint-Louis in seinem Heimatland Senegal. © Laif / Opale/Leemage / Patrice Normand
Moderation: Susanne Burg · 16.02.2020
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In Europa ist Felwine Sarr bekannt durch den Bericht über die Restitution afrikanischer Kunst, den er mit Bénédicte Savoy verfasste. Außerdem hat er ein viel beachtetes Werk über die Dekolonisation Afrikas geschrieben: "Afrotopia".
Felwine Sarr ist auch Wirtschaftswissenschaftler und Musiker; vor einigen Wochen trat er beim Festival AfriCourage in Gambia auf, Senegals unmittelbarem Nachbarland. Dies ist ein Gespräch über die Kraft der Musik, über die Musikindustrie Gambias, über das komplexe Verhältnis von Gambia zu Senegal, über die Restitutionsdebatte und eine Währungsreform, die gerade heiß diskutiert wird in der Region, eine Umstellung vom westafrikanischen Franc CFA zum ECO.
Als Motiv bei allen Themen taucht immer wieder eine Frage auf − wie koloniale Fantasien bei Europäern weiter wirken und wie sich die Region, der Kontinent aus den noch immer bestehenden kolonialen Strukturen befreien kann.

Felwine Sarr über Misstrauen:

"Innerhalb der afrikanischen Jugend ist eine starke Strömung, doch sehr skeptisch zu sein, wenn die Europäer sich für etwas einsetzen. Man muss auf europäischer Seite diesen Stimmen zuhören, es muss neues Vertrauen aufgebaut werden, denn die Beziehungen zwischen Europa und Afrika sind seit Jahren sehr problematisch. Und dann stellt man sich in Afrika und innerhalb der Jugend die Frage: ‚Was ist die Absicht der Europäer? Welche Absichten verfolgen sie wirklich?‘"

... über kulturelle Zusammenarbeit:

"Die Frage, die man sich dabei immer stellen muss: Welchen Einfluss wollen die Europäer ausüben? Warum investieren sie in afrikanische Kultur? Was sind dabei ihre Absichten? Wenn es nur darum geht, die Afrikaner in Afrika zu behalten oder ihren Einfluss auf Afrika weiter zu sichern, dann verfolgen sie damit nur ihre eigenen Interessen. Und deswegen fragt man sich in Afrika: Warum greift ihr eigentlich ein? Man muss eher von einer Kooperation reden."

... über Restitution von Kunst:

"Ich war sehr schockiert. Die kolonialen Vorstellungen sind immer noch sehr stark. Man hört immer wieder dieselben Vorurteile, die als Argumente vorgetragen werden. Man traut den Afrikanern nicht zu, dass sie sich um ihr kulturelles Erbe kümmern können, man stellt sie als schwach dar, als jemanden, die keine Ahnung haben und nicht wissen, wie man mit einem kulturellen Erbe umgeht, wie man es pflegt."
Der Thron des Königs von Bamum und der Thronsessel des Papstes Pius VI. sind in Versailles ausgestellt.
"Man traut den Afrikanern nicht zu, dass sie sich um ihr kulturelles Erbe kümmern können," sagt Felwine Sarr.© Picture Alliance / akg-images / Marc Deville
"Diese Argumente oder Vorurteile kommen von Museen, von Journalisten, von Akademien. Man hinterfragt viel zu selten die historische Bedeutung der Rückerstattung, sondern es wird immer wieder damit argumentiert: ‚Bei uns sind die Kunstschätze sicherer. Ihr wisst ja gar nicht, wie ihr damit umzugehen habt. Euch fehlen ja auch die Fähigkeiten. Wir haben das Wissen.' Diese kolonialen Vorstellungen herrschen nach wie vor sehr stark vor."

... über koloniale Fantasien:

"Es ist auch bei ethnographischen Gegenständen so, die ursprünglich eine spirituelle Bedeutung hatten, denen man dann später in den Ländern, die die Artefakte gestohlen haben, eine ganz andere Bedeutung verpasst hat und diese spätere Bedeutung hält man dort für sehr viel wichtiger. Auch das ist ein Ausdruck dieser kolonialen Fantasie: Wir nehmen euch eure Kunst weg, wir geben ihnen einen neuen Sinn, eine neue Bedeutung. Und diese Bedeutung ist weit wichtiger als die ursprüngliche."

... über falsche Debatten:

"Dann stellt sich die Frage: Soll man das an Museen zurückgeben oder an die Gemeinde, der das wirklich einmal gehört hat. Wenn die der Meinung ist, sie müsste diesen Artefakt jetzt zerstören oder verbrennen, dann ist das ihr sehr gutes Recht. Aber die Debatte nahm eine andere Richtung ein. Es ging nicht mehr darum zu fragen, warum sind die Gegenstände, die jetzt als Kunstgegenstände bezeichnet werden, überhaupt geplündert worden. Sondern es findet ein neuer Diskurs statt und man will gar nicht mehr so genau erwähnen, wo er genau herkommt."

... über französische Taktik:

"Frankreich hält immer noch an dem kolonialen Pakt fest. Sie wollen nicht heraus. Das ist anachronistisch. Sie versuchen, in gewissen Aspekten nachzugeben, versuchen dann aber hinten herum die Kontrolle zu behalten. Wir lassen uns in Afrika nicht mehr hereinlegen."
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