Felsenkirchen von Lalibela

Das achte Weltwunder

Im Hochland von Äthiopiens Norden gelegen, ruhen in Lalibela seit fast 800 Jahren elf Felsenkirchen im roten Tuffstein.
Im Hochland von Äthiopiens Norden gelegen, ruhen in Lalibela seit fast 800 Jahren elf Felsenkirchen im roten Tuffstein. Die Welterlöserkirche ist die größte aus einem Stück Fels geschlagene Kirche der Welt. © dpa / picture alliance / DB Frentzen
Von Linda Staude · 08.08.2016
Lalibela oder Neu-Jerusalem war im 12. und 13. Jahrhundert die Hauptstadt des Königreiches Äthiopien. Die elf Felsenkirchen der Stadt, die jeweils als Ganzes aus dem umgebenden Gestein herausgemeißelt wurden, gehören zu den größten Heiligtümern des Christentums.
Sonntagsgottesdienst in dem kleinen Örtchen Lalibela. Der monotone Gesang der Gläubigen ist meilenweit zu hören in der ausgedörrten, kargen, aber beeindruckenden Berglandschaft im Norden Äthiopiens.
Hunderte äthiopisch-orthodoxe Christen pilgern die steile, staubige Straße hinunter zu einem der größten Heiligtümer ihrer Kirche. Versteckt in der steinigen Einöde mitten im Nirgendwo.
Die meisten Leute und Gelehrten betrachten die Felsenkirchen von Lalibela als eines der Weltwunder, sagt Mugi Kawende stolz. Alle sind aus einem einzigen Stück Fels herausgemeißelt.
Der junge Mann führt Besucher durch die elf Kirchen und das verwirrende Labyrinth aus Tunneln, Höhlen, Treppen und Felsgräbern, das sie verbindet. Ohne einen Guide wie ihn wären Fremde schnell überfordert von der Kombination aus atemberaubender Architektur und ihrer religiösen Bedeutung:
"Die Kirchen sind einzigartig. Von Anfang an waren sie dem Neuen Testament geweiht, ein Zeugnis für die Bibel. Sie wird hier seit über 900 Jahren gepriesen. Und die Kirchen haben nie aufgehört, die Messe zu feiern."
Tausende Gläubige kommen jedes Jahr in das so genannte äthiopische Jerusalem – besonders zu hohen kirchlichen Feiertagen wie Weihnachten. Aber auch rund die Hälfte der etwa 600.000 Äthiopien-Touristen jedes Jahr besucht die Felsenkirchen, seit 1978 Unesco-Weltkulturerbe. Florian aus Stuttgart ist einer von ihnen
"Ich interessiere mich sehr für Kultur und auch für Geschichte. Und Äthiopien ist sehr geschichtsträchtig. Also ich denke, dass Äthiopien nach Ägypten die meiste Kultur hat in Afrika."
Der Duft von Weihrauch durchzieht das düstere Innere der Bete Medhane Alem, der Welterlöserkirche. Alte Teppiche bedecken den unebenen Felsboden. Eine Gruppe weißgewandeter Priester singt in Andacht versunken, die Augen hingebungsvoll geschlossen, unberührt von dem Gewimmel um sie herum.
Die Kirche ist gedrängt voll. Die Gläubigen – ebenfalls in weiße Baumwolltücher gehüllt und alle ohne ihre Schuhe – bestaunen die farbenfrohen Ikonen, die feinen Steinreliefs und die kreuzförmigen, schmalen Fenster im dicken Fels.
Äthiopisch-orthodoxe Christen beim Sonntagsgottesdienst in dem kleinen Örtchen Lalibela
Äthiopisch-orthodoxe Christen beim Sonntagsgottesdienst in dem kleinen Örtchen Lalibela© Deutschlandradio / Linda Staude

Der König hat angeblich selbst gemeißelt

Die Welterlöserkirche ist die größte aus einem Stück Fels geschlagene Kirche der Welt – 33 Meter lang, elf Meter hoch. Heute geschützt durch ein wenig attraktives Dach auf dicken Aluminiumstützen. Der Legende nach hat König Lalibela, der Namenspatron der Stadt, sie persönlich in nur 23 Jahren aus dem roten Tuffstein gemeißelt.
"Wissenschaftler sagen, dass mindestens 40.000 Arbeiter gebraucht wurden, um sie in 23 Jahren fertigzustellen. Nach der religiösen Überzeugung haben viele Engel König Lalibela geholfen. Wenn er einen oder zwei Meter am Tag geschafft hat, haben die Engel den Rest in der Nacht beendet."
Erklärt Mugi Kawende. Mit den Werkzeugen des 12. Jahrhunderts hat der Bau der Kirchen viel von einem Wunder. Die Architektur, der Schmuck, die Entwässerung – jedes Detail musste vor dem ersten Schlag mit dem Meißel genau geplant werden. Und heute tun die elf einzigartigen Kirchen Wunder für die Entwicklung der Stadt:
"In den letzten 20 oder 22 Jahren hat sich hier alles verändert. Heute leben 30.000 Menschen in Lalibela. Früher kannte hier jeder jeden. Das ist vorbei. Für die jungen Leute ist hier das zweite New York. Sie kommen, um Geschäfte zu machen."
Erinnert sich Abush Rasta. Die äthiopische Regierungen und private Investoren setzen voll auf den Tourismus als Devisenbringer.
Überall in der geschäftigen Kleinstadt wird gebaut. Zwischen traditionellen Lokalen, Souvenirläden und modernen Bars entstehen neue Hotels und neue Wohnhäuser
Vor der Stadt teeren Arbeiter die gewundene Zugangsstraße zu dem Bergstädtchen, das im 12. Jahrhundert mal die Hauptstadt des äthiopischen Reiches war. Der lokale Flughafen ist bereits fertig und bringt derzeit noch meist Besucher aus anderen Teilen Äthiopiens:
"Die Zahl von einheimischen Touristen steigt ständig. Wir haben den Krieg hinter uns, die große Hungersnot. Heute entwickelt sich eine Mittelschicht. Und wenn die Leute Geld haben, können sie reisen. Wir haben hier Studenten, Leute aus verschiedenen Regionen, und der einheimische Tourismus nimmt zu."
Fesaha managt das Seven Olives, das älteste Hotel in Lalibela. Neben den Einheimischen übernachten hier oft Rucksacktouristen und Wanderer. Äthiopien ist immer noch kein Reiseland für die Massen.
Aber die Zahl der Besucher aus Übersee wächst, die nicht nur wegen der Tierwelt nach Afrika kommen, sondern für Geschichte und Kultur.

Die Arche hatte drei Stockwerke

Am Fuß des langen Hanges tut sich plötzlich ein riesiges, zwölf Meter tiefes Loch auf. Darin verbirgt sich die Bet Gyorgis, die Kirche des heiligen Georg. Geformt wie ein griechisches Kreuz mit schnurgeraden Wänden, drei Stockwerke hoch:
"Sie ist die symbolische Darstellung der Arche Noah. Denn Noah hat alle Tiere mit der Arche vor der Sintflut gerettet – mit einer Arche, die ebenfalls drei Stockwerke hatte."
So Mugi Kawende. Die jüngste Felsenkirche gilt auch als die perfekteste – ohne jeden Stützpfeiler für das Dach mit dem berühmten gemeißelten Kreuz, das gleichzeitig als Regenrinne dient. Am Eingang reicht Abebe ein letztes Mal die zurückgelassenen Schuhe. Der junge Schuhwächter ist die ganze Zeit mit durch das Gelände gezogen. In der Hoffnung auf ein bescheidenes Trinkgeld und ein gutes Einkommen im Tourismus später.
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