Felix Huby/Hartwin Gromes: "Die Kerners"

Bruddelig und knorzig, aber urliberal

Justinus Kerner in einer historischen Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert
Justinus Kerner in einer historischen Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert © Billd: Imago/Imagebroker, Cover: Klöpfer & Meyer
Von Helmut Böttiger · 02.07.2018
Den schwäbischen Dichter Justinus Kerner kennt man heute vor allem wegen eines süffisanten Gedichts. Das Autoren-Duo Huby und Gromes hat nun dessen Familiengeschichte recherchiert: Eine schmissig konstruierte, lustvolle Geschichtsstunde.
"Kerner", da denken die meisten an eine vor einiger Zeit aus Riesling und Silvaner gezüchtete Weintraubensorte, die widerstandsfähig und geschmacksrobust ist, "kernig" eben. Eher weniger haben dabei gleich den schwäbischen Dichter Justinus Kerner (1786-1862) im Blick, nach dem sie benannt worden ist – nicht zuletzt wegen seines berühmten Poems "Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein".

Zahlreiche Quellenstudien

Der erfolgreiche Krimi- und Drehbuchautor Felix Huby, der den schwäbischen Kriminalkommissar Bienzle erfunden hat, ist nun bei der Suche nach regional einprägsamen Gestalten bei ebendiesem Kerner fündig geworden. Denn auch ihn kann man in bewährter Weise zeichnen: leicht ist ihm das ein bisschen Bruddelige und Knorzige, dabei aber Urliberale des württembergischen Charaktertypus zuzuschreiben. Der Autor hat Quellenstudien betrieben und viele historische Belege dafür gefunden.
Zusammen mit seinem Mitautor Hartwin Gromes erweitert Huby noch das Feld. Justinus hatte nämlich auch zwei Brüder, deren Biografien ebenfalls äußerst einprägsam sind. Da wäre zum einen der Revolutionär Georg, der sich in Frankreich auf die Seite der Jakobiner schlug, seinen Idealen auch in napoleonischen Diensten treu blieb und schließlich als idealistischer Armenarzt in Hamburg früh starb. Zum anderen der württembergische General Karl, der eine große Karriere machte und dem von seiner Majestät letzten Endes auch genehmigt wurde, umsichtig Landwirtschaftsreformen einzuleiten.

Schmissig kontruiert

Das Ganze ist schmissig konstruiert. Wir erleben zunächst Justinus, wie er als bereits älterer Mann mit seinem Kutscher unterwegs ist, um auf den Hohenasperg zu fahren. Dort sitzt sein aufrührerischer Sohn Theobald ein, aber Justinus hat es nicht zuletzt durch die Möglichkeiten seiner schmeichelnden Dichtkunst geschafft, ein vorzeitiges Ende dieser Festungshaft zu erreichen. Müde langt der Dichter später wieder in seinem Haus in Weinsberg an. Dort wartet seine Frau Friederike auf ihn, das "Rickele", das ihn treu umsorgt.
Ab jetzt werden immer wieder Rückblenden eingeschaltet: Jedes Mal, wenn Justinus gedankenverloren vor sich hin sinniert, fallen ihm die alten Familiengeschichten ein. Da geht das Autorenduo Huby-Gromes handwerklich manchmal recht großschlächtig vor, wie es dem schwäbischen Urcharakter aber durchaus entspricht. Man hat die Schnitte in einer möglichen Verfilmung oft unmittelbar vor Augen.

Unterhaltsamer, inspirierender Geschichtsunterricht

Auf sympathische Weise indes wird in diesem Roman einer aufklärerischen, toleranten Bürgerlichkeit gehuldigt, für die die Familie Kerner sinnbildlich steht. Manchmal gelingen ebenso humorvolle wie nachdenkliche Miniaturen, so bei den Szenen der 48er-Revolution. Gewisse Schwächen und Abgründe der menschlichen Spezies schwingen immer mit.
Manchmal wird die Grenze zum Trivialen und Kitschigen lustvoll gestreift, manchmal aber auch nicht. Und der Geschichtsunterricht, der hier auf unterhaltsame Weise erteilt wird, ist durchaus inspirierend.

Felix Huby/Hartwin Gromes: "Die Kerners. Eine Familiengeschichte"
Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 2018
270 Seiten, 24 Euro