Feldherr mit Weitblick

06.06.2012
Geoff Mortimer charakterisiert Wallenstein als einen Menschen mit außergewöhnlicher Intelligenz und zukunftsweisenden Ideen. Doch der Landadelige hatte viele Neider, was schließlich zu seiner Ermordung führte. Ein spannendes und leicht zu lesendes Porträt.
Der kometenhafte Aufstieg des kleinen böhmischen Landadeligen Wallenstein (1563-1634) zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges rief viele Neider auf den Plan. Ihnen und anderen Zeitgenossen wurde der geniale Stratege und Organisator immer unheimlicher. Konnte es mit rechten Dingen zugehen, dass ein solcher Niemand letztendlich so hoch aufstieg, dass der Kaiser auf Gedeih und Verderb auf seine Finanzkraft und sein militärisches Genie angewiesen war, dass er durch kaiserliche Vollmacht autorisiert war, ohne Rücksprache mit Ferdinand Verhandlungen mit den Kriegsgegnern zu führen?

Wallenstein war loyal, und der Kaiser wollte es auch sein, ließ ihn dann aber fallen, als ihn Wallensteins Neider in panische Angst um sein eigenes Überleben versetzten durch die nie bewiesenen - und auch unbeweisbaren -Unterstellungen, Wallenstein konspiriere gegen den römisch-katholischen Habsburger. Praktisch an dem Komplott gegen Wallenstein war, dass mit seiner vom Kaiser persönlich angeordneten Ermordung die gigantischen Schulden bei Wallenstein getilgt waren durch die widergesetzliche Konfiskation seines riesigen Grundbesitzes.

Der britische Historiker Geoff Mortimer interessiert sich schon seit seiner Oxforder Dissertation über den Dreißigjährigen Krieg für Wallenstein. Nach gründlicher Sichtung und Auswertung des sehr umfangreichen Quellenmaterials kommt er in seiner neuen Wallenstein-Biografie zu dem sarkastischen Schluss, dass bei den allermeisten historisch Interessierten der Spruch gilt, dass unwahre Behauptungen durch ihre mantrahafte Wiederholung als Wahrheit wahrgenommen und auch von Historikern über die Jahrhunderte hin kritiklos weiter verbreitet werden.

Am Beispiel von Wallensteins angeblicher Abhängigkeit von astrologischer Quacksalberei zeigt Mortimer nach gründlicher Auswertung der relevanten Quellentexte, dass an der (auch von Golo Mann) als Fakt postulierten Behauptung, Wallenstein sei Horoskop-abhängig gewesen, nichts dran ist. Nicht nur Johannes Kepler - auch noch Newton - unterschieden nicht streng zwischen Astrologie und Astronomie. Wer aber Keplers Wallenstein-Horoskope liest, und auch Wallensteins überlieferte Reaktionen darauf, erkennt klar, dass die Skepsis gegenüber der Möglichkeit, die Zukunft aus den Sternkonstellationen herauszufiltern, sowohl bei Kepler als auch bei Wallenstein elementar war.

Geoff Mortimer arbeitet in seiner auf die wesentlichen Handlungsstränge fokussierten Biografie klar heraus, warum Wallenstein vielen seiner Zeitgenossen so unheimlich schien. In Vielem war er seiner Zeit weit voraus. Im Gegensatz zu seinem Kaiser war er kein verbohrter Fundamentalist, sondern dachte logisch und handelte als effizienter Macher. Er hielt nichts von den damals endemischen Hexenprozessen, der Verfolgung Andersgläubiger, der Ausbeutung der Bauern und Gewerbetreibenden.

Seine großen Ländereien verwaltete er vorbildlich, kümmerte sich um seine Soldaten und zur Halbzeit des Dreißigjährigen Krieges war er als des Kaisers Generalissimo zu der Überzeugung gelangt, dass das sinnlose Morden und das Verwüsten von blühenden Landschaften so schnell als möglich beendet werde müsse. Dabei strebte er keinen Sieg über die protestantischen Gegner an, sondern einen für beide Seiten tragbaren Frieden - beide Seiten sollten ihr Gesicht bewahren können. Diese Friedensstrategie passte weder Ferdinand, der letztendlich die totale Rekatholisierung seiner protestantischen Untertanen anstrebte, noch der spanischen, der bayerischen und der päpstlichen Fraktion ins Konzept, und so kam es zur Inszenierung von Wallensteins Absturz.

Seine Ermordung sprach den Grundsätzen des damals allgemein anerkannten Rechts Hohn. Geoff Mortimer weist nach, dass Wallenstein rein physisch - er war todkrank - gar nicht in der Lage gewesen wäre, die ihm angedichteten Verbrechen zu begehen. Da Wallenstein durch seine Loyalität und Verlässlichkeit bei der breiten Mehrheit derjenigen, die unmittelbar mit ihm zu tun hatten, hoch angesehen war, war das Entsetzen über den Mord von Staats wegen groß.

"Mir will kein Exempel einfallen", zitiert Mortimer - stellvertretend für viele andere -Wallensteins Vertrauten Arnim, "dass bei eines christlichen Kaisers Regierung dergleichen jemals geschehen ist." Und diese Empörung im Keim zu ersticken, ließ der Kaiser grauenerregende Gerüchte über Wallenstein verbreiten, Gerüchte, die bis heute den Blick auf ihn und seine Leistungen verdunkeln. Wer Mortimers sehr gut lesbares Buch liest, begegnet einem Menschen, der weder ein Teufel noch ein Heiliger war, sondern ein Mensch mit außergewöhnlicher Intelligenz und zukunftsweisenden Ideen.

Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr

Geoff Mortimer, "Wallenstein. Rätselhaftes Genie des Dreißigjährigen Krieges"
Primus Verlag, Darmstadt 2012
336 Seiten, 29,90 Euro
Geoff Mortimer: "Wallenstein"
Geoff Mortimer: "Wallenstein"© Primus Verlag