Feindliche Kämpfer schwer von Zivilisten unterscheidbar

Andreas Zimmermann im Gespräch mit André Hatting · 31.05.2013
Laut Völkerrecht ist die Tötung feindlicher Kämpfer in bewaffneten Konflikten zulässig, stellt der Völkerrechtsexperte Andreas Zimmermann klar. Das Gleiche gelte für Zivilisten. Allerdings müsse in jedem einzelnen Fall sorgfältig abgewogen werden, was tatsächlich notwendig sei. Es würden dabei die gleichen Regeln für Drohnen wie für bemannte Waffensysteme gelten.
André Hatting: Sie heißen Predator oder Heron oder Hawk, und der martialische Name ist Programm. Killerdrohnen sind ferngesteuerte Flugzeuge ohne Besatzung, aber mit modernsten Waffen an Bord, und US-Präsident Obama ist ein großer Fan von ihnen. In seiner Amtszeit haben die USA so viele Drohnen wie nie zuvor eingesetzt. 3.000 Menschen starben dadurch allein in Pakistan, oft nicht nur Terroristen, sondern auch unbeteiligte Zivilisten. Obama hat zwar jetzt versprochen, sich in Zukunft etwas zu mäßigen, aber andere Länder sind auch auf den Geschmack gekommen. Der deutsche Verteidigungsminister zum Beispiel, der findet, Kampfdrohnen gehören in das Portfolio jeder modernen Armee – natürlich nur solche, die auch für den jeweiligen Luftraum zulässig sind, aber das ist jetzt ein anderes Thema. Unser Thema ist, sind Drohnen moralisch in Ordnung, was sagt das Völkerrecht dazu? Und: Macht sich Deutschland schon mitschuldig, wenn die Amerikaner ihre Drohneneinsätze in Afrika von hier aus steuern, wie wir jetzt erfahren haben? Andreas Zimmermann ist Professor für öffentliche Rechte an der Universität Potsdam, kennt sich also mit diesem Fragen aus. Guten Morgen, Herr Zimmermann!

Andreas Zimmermann: Guten Morgen, ich grüße Sie!

Hatting: Drohnen als Antiterroreinheit – mit dem Völkerrecht vereinbar oder nicht?

Zimmermann: Ja, Sie werden mich entschuldigen, dass ich Ihnen eine typische Juristenantwort gebe: Es kommt darauf an – es kommt nämlich vor allem drauf an, ob Sie solche Kampfsysteme einsetzen innerhalb eines bewaffneten Konflikts, also in einem Krieg, oder ob Sie sie einsetzen außerhalb eines bewaffneten Konflikts, wo es keine konkreten Kampfhandlungen gibt.

Hatting: Machen wir es konkret: Die USA setzen Drohnen sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan ein – korrekt oder nicht?

Zimmermann: In Afghanistan haben wir sicher einen Fall eines bewaffneten Konfliktes, wo der Einsatz gegen feindliche Kämpfer oder gegen solche Zivilisten, die sich unmittelbar an Kampfhandlungen beteiligen, zulässig ist. Ob wir auch in Pakistan, jedenfalls im Nordteil, einen bewaffneten Konflikt haben, ist nicht leicht zu beantworten. Etwa der deutschen Generalbundesanwalt, der wegen der Tötung von zwei deutschen Staatsangehörigen in Nordpakistan durch Amerikaner ermittelt, geht auch davon aus, dass der afghanische bewaffnete Konflikt sich sozusagen ausgeweitet hat auf Nordpakistan, aber etwa im Jemen oder auch in anderen Staaten können wir nicht sagen, dass wir einen bewaffneten Konflikt vorfinden – derzeit jedenfalls.

Hatting: Also da wäre es illegal?

Zimmermann: Da wäre jedenfalls die gezielte Tötung von Personen durch solche Kampfdrohnen unzulässig, ja.

Hatting: Verstehe ich Sie also richtig: Wenn ich eine Kampfdrohne einsetze und jemanden in einem bewaffneten Konflikt, in einem Krieg, gezielt töte, dann ist das legal, obwohl derjenige gar keinen Prozess hatte?

Zimmermann: In einem bewaffneten Konflikt ist die Tötung von feindlichen Kämpfern und von Personen, die sich unmittelbar an Kampfhandlungen beteiligen, zulässig. Denken Sie etwa an einen regulären Krieg zwischen Staat A und Staat B, natürlich können Sie dann gezielt feindliche Soldaten töten und bekämpfen. Und so ist es eben auch in einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt.

Hatting: Ist das eigentlich immer so genau zu unterscheiden, ob da nun ein Terrorist, ein Taliban-Kämpfer läuft, von oben oder ferngesteuert, wenn man das beobachtet mit der Drohne dann, oder ob das nur ein Zivilist ist? Kann man das so klar unterscheiden?

Zimmermann: Das ist in der Tat die Krux, das ist das eigentliche Problem, wie erwähnt ist nur die Tötung von gegnerischen Kämpfern oder von solchen Zivilisten zulässig, die sich direkt an Kampfhandlungen beteiligen. Hierfür bedarf es einer intensiven Aufklärung im Vorfeld, und es besteht auch eine Pflicht, dies hinreichend aufzuklären, und nur dann, wenn es eine ausreichende Sicherheit gibt, dass das Ziel der Kampfhandlungen eben feindliche Kämpfer sind, nur dann ist ein solcher Einsatz auch zulässig.

Hatting: Ist die Einschränkung, die US-Präsident Barack Obama jetzt gemacht hat, dass er sagt, also, wir konzentrieren uns jetzt darauf, dass möglichst wirklich keine Zivilisten getötet werden, ist diese Einschränkung damit eine Legitimation für den weiteren Einsatz von Drohnen, auch in Pakistan?

Zimmermann: Also jedenfalls in den südlichen Landesteilen von Pakistan gehe ich nicht davon aus, dass hier die Situation eines bewaffneten Konfliktes vorliegt, sodass die gezielte Tötung von Personen meines Erachtens eh unzulässig ist.

Hatting: Herr Zimmermann, macht das Völkerrecht eigentlich einen Unterschied, ob ich jetzt mit einer bewaffneten Drohne jemanden sozusagen ferngesteuert töte, oder ob ich auf einen Knopf drücke, dann fliegt eine Rakete los und tötet womöglich Tausende oder mehrere Menschen in einem anderen Land? Wird da unterschieden?

Zimmermann: Na ja, jeder Waffeneinsatz muss sich an die Regeln des sogenannten humanitären Völkerrechts, an das Kriegsrecht, halten, also gelten die gleichen Regelungen: Ziel kann immer nur sein, gegnerische Kombattanten oder feindliche Kämpfer zu töten oder auszuschalten, es dürfen keine unverhältnismäßigen Nebenschäden an zivilen Objekten und Zivilisten entstehen, und es muss hinreichend aufgeklärt werden. Insoweit greifen die gleichen Regeln sowohl für unbemannte Waffensysteme als auch auch für solche, die in vollem Umfang manngesteuert sind.

Hatting: Jetzt haben Sie gerade gesagt, es darf keine unverhältnismäßig hohe Zahl an Zivilisten getötet werden. Das klingt fast so, als ob das Völkerrecht sehr wohl Kollateralschäden erlaubt.

Zimmermann: In der Tat. Es ist so, dass in jedem bewaffneten Konflikt es sich nicht ausschließen lässt, dass bei einem gezielten Angriff auf militärische Ziele oder auf feindliche Kombattanten es auch zu Nebenschäden an Zivilisten kommen kann. Das ist systeminhärent und wird auch vom humanitären Völkerrecht in einem begrenzten Umfang so hingenommen.

Hatting: Und ab wann ist es dann unverhältnismäßig?

Zimmermann: Das ist eine extrem schwierige Frage. Es gilt eben abzuwägen der militärische Vorteil, der durch den Angriff erzielt werden kann auf der einen Seite, und das Maß und der Umfang der zivilen Nebenschäden auf der anderen Seite. Das lässt sich nicht in harten Zahlen immer festlegen, das hängt immer auch von den konkreten Umständen ab. Nehmen Sie etwa eine Situation, wo sich eine Panzerkolonne auf eine Brücke hin zubewegt, und die Brücke ist von strategischer Bedeutung, auf der Brücke befinden sich Zivilisten. Dann kann die Zerstörung der Brücke, selbst wenn sich dort Zivilisten befinden, zulässig sein. Aber nur dann, wenn es wirklich nötig ist, und wenn man nicht warten kann, bis die Zivilisten die Brücke verlassen haben. Das ist eine ganz komplexe Abwägung im Einzelfall, die von dem jeweiligen Kommandeur dann vorzunehmen ist, und so ist es auch beim Einsatz unbemannter Systeme wie etwa von Kampfdrohnen.

Hatting: Das klingt jetzt nach sehr philosophischen Fragestellungen, die möglicherweise der eine oder andere General dann im Einzelfall gar nicht klären kann. Genau so stelle ich mir die Frage, ob man Krieg nicht heutzutage auch völlig neu definieren müsste.

Zimmermann: Na ja, zum einen ist es so, dass alle zivilisierten Armeen, so auch die Bundeswehr, immer Rechtsberater im Einsatz mit dabei haben – Rechtsberater, die eben die Anwendung und Durchsetzung des humanitären Völkerrechts im konkreten Einsatz dann auch sicherzustellen haben. Und ob man Krieg neu definieren muss - in der Tat sogenannte asymmetrische Konflikte stellen neue Herausforderungen dar für das humanitäre Völkerrecht, nicht zuletzt eben darin, weil der feindliche Kämpfer aufgeht in der Bevölkerung, in der Zivilbevölkerung, er nicht mehr unterscheidbar ist, er tagsüber Kämpfer ist, nachts sozusagen wieder Teil der "normalen" in Anführungszeichen Zivilbevölkerung ist. Das sind die besonderen Herausforderungen, und da gilt es, eine besondere Aufmerksamkeit und eine hinreichende Aufklärung im Vorfeld eben sicherzustellen, bevor Angriffe dann durchgeführt werden.

Hatting: Hätten Sie einen Vorschlag für eine neue Definition von Krieg heute, 2013?

Zimmermann: Na, die Definitionen, die reichen ja aus, wir haben es ja in Afghanistan gesehen, wie schwer sich die Bundesrepublik Deutschland getan hat mit der Anerkennung, dass wir uns in Anführungszeichen "im Krieg befinden", dass wir Partei eines nicht internationalen bewaffneten Konflikts sind. Das humanitäre Völkerrecht hat in den letzten Jahren immer wieder neue Form von bewaffneter Gewalt akzeptiert, als in den Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts fallend, etwa Kriege in Anführungszeichen "zwischen" nicht-staatlichen, bewaffneten Gruppen, wo nicht mehr ein Staat gegen Aufständische gekämpft hat, sondern wo bewaffnete Gruppen untereinander gekämpft haben. Auch dass bezeichnen wir heute bei einer hinreichenden Schwelle der Auseinandersetzung als nicht-internationale bewaffnete Konflikte. Also das humanitäre Völkerrecht bewegt sich mit der Zeit fort und versucht, den modernen Herausforderungen des aktuellen Kriegsbegriffs Herr zu werden.

Hatting: Andreas Zimmermann, Professor für Völkerrecht an der Universität Potsdam. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Zimmermann!

Zimmermann: Ich danke Ihnen, Wiederhören!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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