FDJ - Freier Deutscher Jazz

Unterwegs zu Orten des Jazz in der DDR

Von Henryk Gericke und Robert Mießner · 16.09.2018
"Es war 'ne andere Musik. Es war nicht das, was übers Radio kam. Und da ist man halt hingefahren!" Die DDR hatte zahlreiche Orte, an denen Jazz auf Weltniveau gespielt wurde. Den Ost-Berliner Jazzkeller Treptow, den Jazzclub Tonne in Dresden, die Leipziger Jazztage. Szene-Größen erinnern sich.
Es ist Ende Juni. Die Hitze des Jahres 2018, die Berlin zu einem Vorort von New Orleans machen wird, hat bereits angeklopft.
Wir stehen vor dem Gebäude des ehemaligen Jazzkellers Treptow in Ostberlin. Einem wichtigen Ort des Jazz in der DDR. Wen wir gleich hören werden, das ist "Assi" Glöde, damals einer der Organisatoren, heute aktiv im Nachfolger, dem Jazzkeller 69. e.V. - die Zahl steht für das Gründungsjahr. Im nächsten Jahr feiert der Keller 50. Geburtstag. Ein halbes Jahrhundert!
Im Vorgarten sehen wir das alte Eingangsschild des Jazzkellers. Ein ehemals von innen beleuchteter Wegweiser, der Schriftzug mit Klebeband durchgestrichen, aber noch lesbar. Wir klopfen nicht, wir klingeln.
"Wollen wir in die ehemaligen heiligen Hallen? Das Treppenhaus gab es früher gar nicht, hier waren Abstellräume, hier war glaub' ich die Toilette, das erkenne ich schon eher. Also das war früher die S-Bahn, hier waren nämlich alte S-Bahn-Holzsitze drin, das war auch so ein bisschen separiert vom dem ganzen Veranstaltungsraum, hier konnten wir sitzen, quatschen, trinken und es hat die Veranstaltung nicht gestört."

Ein Séparée? Durchaus! Einer der jetzigen Bewohner des Hauses erzählt, wie vor einiger Zeit vor dem Haus ein Taxi hielt. Darin ein älteres Pärchen, das noch einmal den Ort sehen wollte, an dem es zwischen den beiden gefunkt hatte. Keine Eisdiele, keine Parkbank, sondern eine Treptower Villa, die ihre besten Zeiten damals hinter sich gehabt zu haben schien.

Konzerte in Eigenverwaltung

"Es waren in dem Kulturhaus auch nicht alle Räume nutzbar, weil es war ja in einem sehr desolaten Zustand. Und dann haben wir eigentlich ab 1975 die Konzerte in Eigenverwaltung organisiert."
Das ehemalige Kulturhaus mit dem Jazzkeller Treptow ist jetzt ein properes Gebäude mit Eigentumswohnungen.
"Die Tür, das war so quasi die Tür zur S-Bahn, die Wand musst du dir wegdenken. Und das war - bis zur anderen Seite vom Gebäude - der Veranstaltungsraum. Wir hatten die Bühne immer hier in dem Erker, das war aber schallmäßig nicht so gut, das hing dann in dem, in dem Erker dann drin. deswegen hatten wir das umgebaut, also die Bühne verlegt, war ja nichts Schwieriges. Und hier ging’s eigentlich in den Veranstaltungsraum rein, hier. Da so durch. Ist jetzt natürlich bisschen umgebaut worden. Sieht man ja noch. Also die Bühne war hier so!"
Die Band FEZ mit dem Titel "Walzer für John", 1978 auf LP in der legendären Jazz-Serie des Staatslabels AMIGA erschienen.
Eine Bitte hatte "Assi" Glöde, bevor wir uns mit ihm trafen: Spielt einen Titel mit Conny Bauer. FEZ war der originäre Startpunkt für unsere regelmäßigen Freitagskonzerte im Kulturhaus Treptow. FEZ, umgangssprachlich für "Spaß, Ulk, Irrsin". Sas waren auf dieser Aufnahme neben dem Posaunisten Conny Bauer der Pianist Hannes Zerbe, der Bassist Christoph Niemann und der Drummer Peter Gröning. Namen des DDR-Jazz, wie auch Günter "Baby" Sommer, Ernst-Luden Petrowsky, Manfred Schulze, Dietmar Diesner, Conny Bauers Brüder Johannes und Matthias, Uschi Brüning. Und der Pianist Ulrich Gumpert.
Der Jazz-Posaunist Konrad (Conny) Bauer
Der Jazz-Posaunist Konrad (Conny) Bauer© picture alliance / dpa
Wir treffen den heute 73-Jährigen in seinem Berliner Musikzimmer zwischen Platten- und Bücherregalen und - wie könnte es anders sein? - dem Piano. Vor dem geöffneten Fenster ist Sommer. Gumpert erinnert sich, dass der Jazz selbstverständlich von seinen Musiker-Legenden, aber auch von Legenden anderer Art, von den guten Geistern vor der Bühne und hinterm Tresen, lebte. So zum Beispiel der legendären Gitti aus dem Jazzkeller Treptow, nach der Gumpert 1984 sogar eine ganze Solo-LP auf AMIGA-Jazz benannte: "'N Tango für Gitti".
"Das war die gastronomische Chefin, die stand hinterm Tresen und hat gut für uns gesorgt. Man kriegte, weiß ich was, einen kleinen Happen zu essen und man kriegte ein Getränk. Also, was haben wir da Bier gekriegt oder was weiß ich. Und wenn irgendeiner rumgemosert hat, hat Gitti gesagt: Lass mir meinen Uli in Ruhe! Das war, man könnte fast sagen, 'ne Mutter. Gitti war einfach eine wunderbare ältere Dame, die das Ganze im Griff hatte."
Der DDR-Jazz spielte in einem Ordnungsstaat, doch kannte er zumindest in Treptow keine Sperrstunde:
"Gitti war aber auch das Herz des Jazzkellers. Also, da wurde um zwölf die Tür zugeschlossen und weitergetrunken. Gitti hat für die Musiker immer noch was zu essen gefunden. Ja, die war schon toll."
So Ulrich Gumpert und "Assi" Glöde. Zwei Berliner. Wir wollen erkunden, wo der Jazz im Süden der DDR spielte. Und fahren nach Leipzig.
"So hell sah es hier nie aus. Haupteingang für Publikum. Alle Türen waren offen."
Stephan Kämmerer, einer der Organisatoren der legendären Leipziger Jazztage. Eine Veranstaltungsreihe für zeitgenössischen Jazz mit internationaler Ausrichtung, 1976 ins Leben gerufen. Wir stehen im Eingangsbereich eines der ehemaligen Austragungsorte, der Kongresshalle Leipzig. Ein Haus vom Beginn des 20. Jahrhunderts, im Inneren hat das 21. Jahrhundert Einzug gehalten. Unmittelbar nebenan liegt der Leipziger Zoo. Seit unseren Besuchen bei "Assi" Glöde und Uli Gumpert sind die Temperaturen weiter gestiegen.

"Manfred Krug war Kult irgendwie"

Manfred Krug, unser Audio-Guide. Er und die Sängerin Uschi Brüning mögen die prominentesten Stimmen des DDR-Jazz gewesen sein, doch die Meinungen der Experten gehen hier deutlich auseinander. Mittlerweile hat sich Stephan Kämmerers Kollege Gerhard Schulz zu uns gesellt. Er stellt klar:
"Für mich war das Popmusik. Ich war da auf Hardcore, absolut."
Manfred Krug war für mich einfach Schlager. Punkt.
Stephan Kämmerer hingegen:
"Ja, Manfred Krug war Kult irgendwie. Uschi Brüning hatte Bedeutung, war immer so: Sie stand kerzengerade auf der Bühne, hat sich kaum bewegt, aber hat ja mit Big Bands gespielt und hat gute Rockmusik oder, ja, Soulrock gemacht – das haben wir jetzt nicht so in den Jazz-Bereich gelegt, aber Uschi Brüning war ‘ne ganz Große."
Dass wir mit den beiden Leipzigern im Richard-Wagner-Saal der Kongresshalle sitzen, kann kein Zufall sein. "Assi" Glöde wiederum:
"Ich denke, Manfred Krug hat einen unheimlich riesigen Einfluss auch auf die DDR-Jazz-Szene gehabt, weil das, was er gemacht hat, vielleicht würden wir es heute eher unter Singer-Song-Writer einordnen, aber zusammen mit der Günther-Fischer-Band war das musikalisch und textlich was Besonderes und hat ganz, ganz viel Publikum auch für den Jazz begeistert, natürlich nicht für den Free Jazz, aber für Jazz als Gesamt-Musikerscheinung."

"1974 bin ich dann direkt zum Free Jazz übergelaufen"

Die allererste Berührung "Assi" Glödes mit Jazz aber war eine andere. Er stürzte sich kopfüber in den Hexenkessel des Free Jazz.
"Das war dann erst später, wo ich mich besonders dran erinnern kann, aber – DOCH, DOCH, DOCH, also die Initialzündung war: Jazz in der Kammer, müsste ich jetzt nachgucken, Han Bennink, Fred Van Hove und Peter Brötzmann – da bin ich aus dem Konzert rausgetaumelt, obwohl ich keinen Alkohol getrunken hab', und hab' gedacht: Entweder hast du jetzt den größten Scheiß deines Lebens gehört oder 'ne Sternstunde der Menschheit miterlebt – auch das ist mir erst später klargeworden, dass es so 'ne Sternstunde war. Das war damals völlig neue Musik, also wir wussten schon, was Free Jazz ist, also Uli Gumpert – gab’s auch in der DDR Leute, die freien Umgang gepflegt haben, aber so radikal, das war wirklich ein Schock. 1974 bin ich dann direkt zum Free Jazz übergelaufen."
Vorher hatte ein Vertreter des traditionellen Jazz in Berlin für Furore gesorgt. Louis "Satchmo" Armstrong spielte 1965 ganze 17 Konzerte in der DDR. Schwerin, Leipzig, Magdeburg, Erfurt und in Berlin. Im alten Friedrichstadtpalast in Mitte. Ulrich Gumperts Nachbarschaft. Für ihn verbindet sich mit dem Namen Louis Armstrong eine andere Geschichte aus seiner Weimarer Studentenzeit in den 60er Jahren. Sie ist weniger beschwingt:
"Und dort gab’s dann die ersten Konflikte. Ich hatte mir von ja, von einem Kommilitonen zwei Singles geborgt. Ich hatte inzwischen schon ’nen Plattenspieler, mit dem man also Mikrorillen-Schallplatten abspielen konnte, und ich borgte mir also zwei Singles, Louis Armstrongs Hot Five und Hot Seven. Und ich war also die ersten zwei Jahre dort im Internat. Und da mussten wir morgens um sieben zum Fahnenappell antreten, danach in die Unterrichtsräume. Und während dieser ganzen Zeit am Vormittag wurden also die Zimmer untersucht, ne, von irgendwelchen Leuten, es wurde gefilzt praktisch. Und die fanden bei mir also diese beiden Singles. Und jedenfalls beim Mittagstisch irgendwann brummte dann der Lautsprecher 'Der Schüler Gumpert sofort in mein Dienstzimmer' – so und dann wurde ich abgekanzelt, ich sollte mich dazu äußern, mit diesen Worten: 'Sie haben imperialistisches Gedankengut in unser sozialistisches Internat gebracht' – ein strenger Verweis unter Androhung der Exmatrikulation. Ungefähr ein Dreiviertel-Jahr später gab’s in der DDR die erste Louis-Armstrong-LP."
Wir sind weiterhin im Süden der DDR unterwegs, dem sozialistischen Sachsen, auf Spurensuche des Jazz. Gerhard Schulz erzählt, wie die schrägen Sounds nach Leipzig kamen.
"Es ging früh los, wir haben immer versucht, möglich viele Schallplatten aus dem Westen zu kriegen, möglichst aktuell. Da hatten wir auch so 'ne Organisation, die haben das ganz gut gemacht und relativ schnell gut versorgt, und wir waren breit aufgelegt: Also wir waren nicht nur fokussiert auf Beatles und Stones, sondern es ging querbeet und irgendwann kriegten wir da so 'n paar Schallplatten aus dem Jazz-Bereich und das war so abstrus, das war so absurd, was da so gespielt, was da so klang, das tat so weh, das war spannend. Und ich hab dann später mal gesagt, du musst Free Jazz wenigstens mal drei Stunden lang laut hören, bis der Schmerz vorbei ist. Dann kapierst du, was dahinter passiert. Sonst kapierst du das nie, wenn du über diese Schmerzgrenze nicht drüber hinausgehst."

Conny Bauer - "Das war so 'ne Initialzündung für mich"

Muss Jazz, Free Jazz zumal, weh tun? Nicht unbedingt, meint Stephan Kämmerer. Er ist für uns ins Archiv gegangen und hat eine bis jetzt unveröffentlichte Rarität gehoben: das Andreas Altenfelder Quintett, live bei den Leipziger Jazztagen mit "Russisch Blues oder Walzer für Matthi".
"Sehr lustig und mit guter Publikumsatmosphäre", meint Kämmerer.
Eine gewisse Irritation scheint zur Initiation dazuzugehören, wenn es um Jazz geht. Steffen Wilde, Leiter des Jazzclubs Tonne in Dresden, erinnert sich:
"Das war ein Konzert in Halle, wo ich ja herkomm’, in der Lutherkirche dort, Conrad Bauer hat da solo gespielt, mit seiner Posaune, und das war tatsächlich das erste Jazz-Konzert, an das ich mich erinnere, was ich besucht habe. Ich glaube, es war auch wirklich das erste, in dem ich war und das erste Mal mit Jazz in Berührung kam. Wann ist das gewesen? 1982 oder sowas, 81?! In der Drehe ist das gewesen. Einerseits fand ich es als junger Mensch lustig, was da jemand mit so 'ner Solo-Posaune machte. Das war neu, so was vorher noch nie erlebt, was man mit diesem Instrument anfangen kann und was man überhaupt für Musik machen kann, die ich bis dahin noch gar nicht entdeckt hatte. Und ja, das war so 'ne Initialzündung für mich."
Steffen Wilde vom Jazzclub Tonne in Dresden.
Das Konzert übrigens, von dem er erzählt, findet in einem Monat, am 12. Oktober in der Hallenser Heilandskirche seine Fortsetzung, wenn Conny Bauer dort, wo sein Vater Gemeindepfarrer war, sein aktuelles Solo-Programm "Der gelbe Klang & neue Improvisationen" vorstellt. Und nebenbei, alle unsere Gesprächspartner sind nach wie vor aktiv. So werden die Leipziger Jazztage wieder diesen Herbst an verschiedenen Orten in der Messestadt ihr Publikum finden. Uli Gumpert wiederum ist in diesem Frühjahr mit einem Trio im Berliner Industriesalon Schöneweide aufgetreten, einem der Nachfolgestandorte des Jazzkellers Treptow.

Wir hingegen stehen jetzt in der frühen Nachmittagssonne auf der Brühlschen Terrassen in Dresden. Zu unseren Füßen fließt die Elbe stadtauswärts, wir gehen abwärts. Der Weg zum Dresdner Jazz führt durch die Holztür eines feingliedrigen Rokoko-Gebäudes über eine lange Treppe in ein angenehm kühles Gemäuer. In das Kurländer Palais nahe der Frauenkirche, wo der Jazzclub Tonne seit 1981 residierte und nach einigen Unterbrechungen auch jetzt wieder zuhause ist.
Ruine des Jazzclubs Tonne vor dem Polizeipräsidium in Dresden; Aufnahme vom September 2005
Die Ruine des Jazzclubs Tonne, aufgenommen im Jahr 2005© imago/Rüttimann

Berliner Jazz im "Keller" - Dresdner Jazz in der "Tonne"

Schritte. Das ist jetzt der alte Zugang? Das ist der alte Zugang
"Ja, hier ging’s auch früher schon rein, das ist alles generalüberholt hier, obendrauf war's mal 'ne Ruine. Also dass da Leves jetzt da drauf steht, das gab’s nach dem Krieg erstmal ein ganzes Weilchen nicht, bis 2006."
Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes in einer Tonne angelangt. Wer den Namen als Metapher verstehen will – der Berliner Jazz fand im Keller statt, der Dresdner Jazz in der Tonne! Der Jazz lebt von der freien Assoziation. Ableiten lässt sich der Name Tonne freilich vom Club-Logo, das wiederum einem polnischen Jazzmagazin nachempfunden wurde. Oder aber von dem Gewölbe, in dem wir jetzt stehen? Es gibt noch eine dritte mögliche Erklärung.
"Dass ja hier das Stadtschloss des Grafen Wackerbarth, der ja sein eigentliches Schloss vor den Toren von Dresden hatte – und der hat sich hier eben sein Stadtpalais irgendwann eingerichtet und dann die Gesellschaft wider die Nüchternheit gegründet. Und die war eben richtig zum Saufen vorgesehen. Der traf sich dann mit seinen Freunden, unter anderem August der Starke saß hier auch schon in der Tonne und es gab diesen großen, 3,20 Meter Durchmesser runden Tisch, und da haben sie sich zu mehreren getroffen, und einfach nur Saufgelage gefeiert. Tonne, der Name, kommt zwar durch die Gewölbeform, aber man kann das auch gern in Richtung Weinfass deuten."
Wein spielte im DDR-Jazz eine nicht zu unterschätzende Rolle. Thomas Krüger, damals Bürgerbewegter und Jazzfan, heute Politiker und Jazz-Fan, erzählt in seiner Laudatio für die Ausstellung "Free Jazz in der DDR – Weltniveau im Überwachungsstaat", welche Ausmaße das annehmen konnte: Eintausend Flaschen "Erlauer Stierblut" haben die Begründer der "Jazzwerkstatt Peitz" Uli Blobel und Peter "Jimi" Metag ein Jahr lang gehortet, um für den Ansturm des Open Air-Publikums gewappnet zu sein. Was für eine Leistung.

"Der Free Jazz kam gerade in der Provinz ganz zu sich"

Bis jetzt haben wir den DDR-Jazz in den Metropolen spielen lassen. Thomas Krüger hingegen, der heute die Bundeszentrale für politische Bildung leitet, meint: "Der Free Jazz kam gerade in der Provinz ganz zu sich." Wie sah das aus Sicht der Leipziger aus?
"Das große, riesengroße Peitz war eigentlich wichtiger als Leipzig. Die haben über mehrere Tage und freilich, die hatten sehr gute Connections zu den westdeutschen Musikern, da haben wir uns sehr viel drangehangen, was die hatten, haben wir dann auch mitgekriegt. Also Peitz war außerordentlich wichtig. Und dann gab es so 'n paar Nachversuche. Karl-Marx-Stadt, also Chemnitz heute, die sind aber alle mehr oder weniger gescheitert, weil die dortige Administration das nicht gefördert, wenn nicht sogar verhindert hat.
Also die hatten Riesenschwierigkeiten, der Jazz-Club in Karl-Marx-Stadt hat sich bei mir beklagt, da gibt's noch n Brief, dass die es nicht verstehen, wieso es bei uns geht und bei denen nicht. Also es war wirklich abhängig von den örtlichen Gegebenheiten. Gut, ich habe nicht im Club oben gesessen. Ich weiß also nicht, worüber die diskutiert haben, aber ich vermute mal stark, dass es auch 'ne Form der Kommunikation, weil überhaupt die Festivals – Peitz war ja größer als Leipzig – da fuhr man halt hin, und das war vielleicht so 'n kleines Äquivalent, Woodstock ging nicht und ähnliches. Oder was es da alles gab, was man aus den Nachrichten mitkriegte, und das war halt nicht die staatlich verordnete Musik.
Es war 'ne andere Musik. Es war nicht das, was übers Radio kam. Und da ist man halt hingefahren! Man wollte hin, man musste hin. Wir haben das Festival aus purem Egoismus organisiert. Wir wollten die Leute hören, die wir da eingekauft haben. Dass das noch andere mitgehört haben, war schön, aber nicht zwingend erforderlich.
Aber es war natürlich Kommunikation und es gab natürlich gerade hier im Nebenraum die Gastronomie, und viele Leute haben natürlich das auch genutzt, um Gespräche zu führen, und man sah ja auch die Leute immer wieder und hat sich gefreut, die kamen ja von überall angereist."
Peitz – heute wie damals – eine idyllische Kleinstadt am Rande des Spreewalds. Nichts deutet auf Woodstock hin, der "Karpfenteich" – das sind heute insgesamt 33 Teiche rund um die 4400-Einwohner kleine Stadt. Immer schon für Viehzucht genutzt. Im Kino, später dann auf der Freilichtbühne wurde Jazz gespielt. Organisiert von Peter "Jimi" Metag und Uli Blobel. Ein Mekka für die Fans. Aber nicht nur für die.
"Also es war einfach so, dass etliche Leute, die vielleicht gar nicht so viel mit Jazz am Hut hatten, die auch später gesagt haben, ja, war ganz schön, aber eigentlich höre ich ja sonst was anderes, aber die einfach gesehen haben: Hier ist 'ne Atmosphäre."
"Assi" Glöde weiter dazu, wie der DDR-Jazz fast immer auf Achse war:
"Es war dann klar, dass man natürlich dahin geht, wo man Leute kennt. Jazztage Leipzig war ein fester Termin im Kalender, da traf sich die Jazzgemeinde der DDR, dann natürlich nachher zur Jazz-Bühne der DDR, und solange wie es noch geht, man hat immer wieder versucht, zum Jazz-Jamboree nach Warschau zu fahren, das war also so 'n Highlight. Oder aber auch zu Jazztagen nach Prag. In Warschau war ich in den 80er Jahren nicht mehr so oft, dann sind wir nach Prag gefahren, oder aber auch Jazz nad Odrą, das war meistens im Frühjahr in Wrocław."

"Für Free Jazzer aus dem Westen war das ein Eldorado"

Wie sah, wie sieht das in Ulrich Gumperts Erinnerung aus?
"Ich weiß nicht, ob das nicht schon etwas früher war. Denn wir haben, glaub ich, so mit SOK schon mal dort …, oder vielleicht hieß es damals auch nicht so, aber das war eine ziemliche kontinuierliche Angelegenheit. Und dann kam natürlich auch 'ne ganze Menge aus dem Westen, für Free Jazzer aus dem Westen war das ein Eldorado. Mein Gott, die haben vor Hunderten von Leuten spielen können, im Westen vor 30 vielleicht, und haben einen Haufen Geld gekriegt, das sie aber nicht mitnehmen durften. Das durften sie nicht umtauschen, das mussten sie hier ausgeben, weil es eben Ostmark waren. Und die sich eingedeckt mit Instrumenten und was weiß ich was alles, Kunstbänden, Schallplatten. Weiß noch, dass viele von denen dann noch 'n Abstecher gemacht haben zum Beispiel nach Mark Neukirchen oder Klingental, dort wo die Instrumentenbauer sind und haben Instrumente in Auftrag gegeben. Und man hat natürlich Leute kennengelernt, oder zusammengespielt, die man vorher noch nie zusammengespielt hat. Ich weiß nicht, wer da alles so war, im Woodstock am Karpfenteich, ne."
Steffen Wilde vom Jazzclub Tonne in Dresden: "Also, es gab die Leipziger Jazztage, die also wirklich ganz enorme tolle Konzerte organisiert haben. Und es gab die Jazz-Werkstatt in Peitz, das große Festival für Free Jazz. Und da war das ähnlich, also da fuhr man eben hin, das war das kleine Woodstock der Jazz-Fans.
"Grashalme" heißt das Stück des Orchesters Klaus Lenz, das wir gerade hörten, arrangiert und auf dem Klavier begleitet von Ulrich Gumpert. 1970, AMIGA, drei Jahre, bevor die staatlich unabhängige Jazzwerkstatt Peitz das erste Mal stattfand. Ob "Grashalme" eine Anspielung auf einen Titel des US-amerikanischen Dichters Walt Whitman ist, muss offen bleiben. Sicher dagegen ist, dass Peitz, das "Woodstock am Karpfenteich", welches Weltgeltung beanspruchen konnte und auch erlangte, 1982 verboten wurde.
Ulrich Gumpert meint: "Also die SED-isten – wir nannten sie immer so, die hatten nun wirklich keine Ahnung von dieser Musik, die hatten also wirklich vor einem Rätsel gestanden: Was machen die da?"

Gerhard Schulz erinnert sich: "Ulbricht soll gesagt haben: Jazz brauchen wir nicht, das ist Affenmusik. Panzergeneral Patton soll gesagt haben: Wenn wir die Russen nicht mit unseren Panzern besiegen, machen wir es mit unserem Jazz – auch wenn er nicht stimmt, ein herrlicher Spruch, hat ja funktioniert."

"Na ja, es wurde immer so untergejubelt"

Anders als der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht sah Manfred Krug im Jazz eine der schönsten Kulturerfindungen des amerikanischen Brudervolkes. Wie kam die Kultur des Jazz in der DDR unter das Volk?
Ulrich Gumpert: "Wir spielten so oft auf den Dörfern oder in Kleinstädten hier in Brandenburg, und viel Jazz gab's da auch nicht, wir haben's immer probiert, klar, natürlich, – na ja, es wurde immer so untergejubelt."
Und "Assi" Glöde ergänzt: "Das Publikum war ja eigentlich zum Tanzen gekommen, muss man dazu sagen, es gab ja keine Diskotheken, es gab nur Live-Musik."
Eigentlich waren das Tanzkapellen und dann wollten die ihre eigene Musik machen, und haben dann plötzlich Jazz auf dem Tanzboden gespielt.
Eins fällt auf: "Assi" Glöde, Ulrich Gumpert und Steffen Wilde sprechen mehrmals von "Jatz" anstelle von Jazz. Woher die Eindeutschung?
"Es ist einfach eine kleine Schnoddrigkeit", vermutet Ulrich Gumpert.
Stephan Kämmerer: "Die Leipziger Jazztage waren ja jetzt kein reines Free Jazz – wir waren immer breit aufgestellt. Aber was wir nicht gemacht haben, ist jetzt Dixieland, vielleicht mal beim Frühschoppen. Im Grunde genommen gab es hier Modern Jazz, und da gab es auch eine klare Abgrenzung. Jazz hat unser Gefühl damals besser getroffen."
Wie auch immer, Ulrich Gumpert meint: "Und so ging das immer weiter mit dem Jatz."

In den Gesprächen wird deutlich: Wer einmal vom Jazz gekostet hat, kommt davon nicht mehr los. "Assi" Glöde nicht, Stephan Kämmerer und Gerhard Schulz ebenso wenig wie Ulrich Gumpert und die Jazz-Liebhaber in der DDR.
"Diese ganze Fangemeinde hat sich so aus dieser SOK-Geschichte ein bisschen entwickelt. Wir spielten dort so 'n ziemlichen, ziemlich jatzigen Rock oder Jatzrock oder Rockjatz oder wie auch immer. Und die Leute tanzten nicht mehr, sondern standen im Saal rum und hörten zu."
Junge Paare tanzen in den 60er Jahren in einem Musikkeller in Ost-Berlin in der DDR zu Jazz-Musik.
Jazz in einem Musikkeller in Ost-Berlin in der DDR in den 60er-Jahren© picture-alliance / dpa

"Kein kulturpolitischer Bedarf", wie es hieß

SOK, eine von Gumpert in den frühen Siebzigerjahren ins Leben gerufene Band, deren bereits eingespielte LP von den Behörden auf Eis gelegt wurde. "Kein kulturpolitischer Bedarf", wie es hieß. Die Fans sahen das anders, auch, als die Musiker begannen, anders zu spielen.
"Und dann sind sie uns immer hinterher gereist, als wir denn nicht mehr so was spielten sondern Free Jazz. Der größte Teil von denen ist uns hinterher gereist immer, also hier im Lande natürlich. Ich nehme an, das war so eine Art Geruch von Freiheit - durch die Musik."
Assi Glöde: "Die Musiker waren auch ständig auf der Suche und waren auch sehr kreativ."
Wie stand es um die Freiheit der Veranstalter? Kam es zu Einschränkungen, Restriktionen?
"Nein, nein. Nicht eine. Also verhindert gar nichts. Wir haben alles machen können, was wir machen wollten. - Problem: Amerikaner Engländer kriegen – schwierig aber machbar. Russische kriegen - so gut wie unmöglich. An den Kulturbund, ans Kulturministerium an die Botschaft an die Russen und so weiter. Dann sollen die noch wissen, welche Band wir wollen. Gute Musiker aus Kamtschatka, auf der Bühne schwarzer Kragen, rote Samtjacke. Spielten Standards, hatten Aufpasser mit, Saal stöhnte. In der Nacht zur Jamsession legten sie los."
Meint Gerhard Schulz. "Assi" Glöde weist auf einen besonderen musikalischen Umstand hin:
"Also, die hatten ja schon Schwierigkeiten, die Texte zu verstehen, also das was zwischen den Zeilen stand, bei einigen Rockbands. Jazz, hatten die ja auch gar keine Beziehung zu. Da haben die uns machen lassen, denk ich."
Mehr noch, wenn auch mit einer Einschränkung:
"Also kulturpolitisch war das ja hochangesehen und hochangebunden, denn viele Jazzmusiker durften ja in den Westen fahren und haben Jazz aus der DDR exportiert und haben das als Kulturgut in Westeuropa breitgetragen – das war natürlich 'ne überschaubare Zahl von Musikern."
Das ändert nichts daran, dass die Musiker selber unheimlich viele Schwierigkeiten hatten, die richtigen Instrumente zu kriegen, die richtigen Verstärker zu kriegen, ein Auto zu kriegen, mit dem man das Zeug transportiert und auch mal die 250 Kilometer nach Norden und nach Süden fahren kann, ohne dass das Auto kaputtgeht, also die Kultur hatte einen sehr hohen Stellenwert in der DDR, aber die Kulturschaffenden haben einen Großteil ihres Verdienstes letztendlich rausgegeben, um überhaupt arbeiten zu können.

Joachim-Kühn-Trio im Deutschen Theater

Ein Ort spielte eine große Rolle bei der Etablierung des Jazz in der DDR: Das Deutsche Theater, kurz DT. Heute ein Gebäude in Pastelltönen zwischen gelb und grün, in der Mitte Berlins, damals auch hell, auf jeden Fall nicht dunkel. Und: Es liegt auch in unmittelbarer Nachbarschaft von Ulrich Gumpert, der sich an eine berühmte Veranstaltungsreihe dort erinnert. Ihr Name ist bereits gefallen:
"Ja, das ging so '65 los, Jazz in der Kammer, mit dem Joachim-Kühn-Trio. Die Leute saßen in der Reihe, in den Reihen, und das war natürlich 'n bisschen was anderes als so 'n Studentenclub oder Jatzclub oder sonst was."
Ulrich Gumpert trat etliche Male bei Jazz in der Kammer auf. Die Kammer steht für die Kammerspiele des Theaters. Gumpert begleitete dort als Pianist zum Beispiel die Sängerin Etta Cameron. Eine der unglaublichsten Geschichten des DDR-Jazz: Die von den Bahamas stammende Cameron blieb 1967 nach einem für wenige Tage gedachten Gastspiel fünf Jahre lang in Ost-Berlin, wirkte in Filmen mit und trat an der Seite von Manfred Krug auf.
Wir hören Etta Cameron mit einem Beitrag aus dem DEFA-Liebesfilm "He, Du!" aus dem Jahr 1970. Der Film verknüpft Probleme der DDR-Gesellschaft mit dem Vietnamkrieg und den Rassenunruhen in den USA.
Knapp zwanzig Jahre später, 1988, veranstalteten die Leipziger Jazztage ein Konzert, an das sich alle Beteiligten immer noch erinnern: die Vertonung von Heiner Müllers "Der Mann im Fahrstuhl" durch den westdeutschen Komponisten Heiner Goebbels, mit den Musikern Johannes Bauer, Dietmar Diesner, Fred Frith und Holger Hiller. Ein west-östliches Gipfeltreffen, kurz vor dem Infarkt der DDR. Bemerkenswert aus mehreren Gründen. Denn beinahe hätten die Jazztage keine Bühne mehr gehabt, wie sich Stephan Kämmerer entsinnt:
"Im Nachbarsaal, der auch zur Kongresshalle mit dazu gehört, war damals die Spielstätte vom Theater der Jungen Welt. Und dort gab es einen Brand, ich glaube, Ende 87 oder Anfang 88, und das hat dann dazu geführt, dass dann sehr schnell die ganze Kongresshalle gesperrt wurde, weil wir eigentlich die Kongresshalle schon für das Festival 88 fest gebucht hatten. Und ich glaube so ein, zwei Monate vorher kam die Sperrung der Kongresshalle - wir hatten also fest mit der Kongresshalle geplant, und dann ging es darum, ganz schnell irgendwo eine Alternative zu finden.
Und die Alternative war dann tatsächlich Zirkus Busch, hat Gerhard Schulz damals wahnsinnig organisiert. Er ist einfach zu den Zirkusleuten gegangen und hat gesagt: Wie sieht’s denn aus? Können wir jetzt drei Abende zu euch in das Zirkuszelt? Und dann haben die gesagt: Ja wenn wir den Eintritt kriegen, den wir dafür normalerweise gekriegt hätten, dann machen wir das. Und die haben sich gefreut, dass sie quasi volles Haus hatten, ohne dass sie auftreten mussten, waren mal drei freie Tage – die waren so lieb, das war also faszinierend, hat viel Spaß gemacht in dem Zirkuszelt – natürlich die Akustik war schon etwas schwierig. Das musste ja sehr schnell alles organisiert werden, Bühnenaufbau, es war ja nix da. Und ist für viele eigentlich so das legendärste Festival, weil in einer so ganz anderen Atmosphäre mal Jazz zu machen – das war toll, es war einfach so, die waren in der Stadt, das war Zufall, haben hier gastiert, drei bis vier Wochen lang, und da haben wir gesagt, das passt rein, und sie haben mitgespielt bei der ganzen Sache."

Der Sommer 1989 begann ungewöhnlich früh

Der DDR-Dramatiker Heiner Müller, internationale Jazzmusiker, sie alle unter der Kuppel eines Leipziger Zirkuszelts – das ist ein Bild für sich. Steffen Wilde, unserer Mann in Dresden, erinnert sich noch heute daran:
"Das war schon so als Kulisse dann natürlich was Besonderes – auf mehreren Etagen saßen die Musiker und da wurde ’ne Bühne gebaut , die über zwei oder drei Etagen ging. Und die Musiker saßen dort, und ja, das war ein denkwürdiges Konzert, weil es eben gegen die Obrigkeit ging so, von der ganzen theatralischen Darstellung und wie es aufgeführt wurde, und das blieb glaub' ich allen im Gedächtnis, die dabei gewesen sind."
Der Jazzpianist Fred van Hove, der für "Assi" Glödes erste Jazz-Begeisterung sorgte, beschrieb die DDR als ein Paradies für improvisierte Musik. War sie das tatsächlich, wie sehen das heute die Beteiligten von damals?
Steffen Wilde: "Improvisierte Musik konnte sich hier ja wirklich dann ab 'nem bestimmten Zeitpunkt sehr, sehr gut entwickeln und wurde ja dann auch in irgendeiner Art und Weise gefördert eben, indem Musiker aus diesem Bereich auch ins Ausland zu diesen Festivals fahren durften, dort auftreten durften. Und so haben das die Musiker in gewisser Weise wahrscheinlich durchaus auch schon genießen können, dass sie hier in der DDR ihre Musik machten, verbunden mit all dem, was man als Künstler eben so in der DDR an Repressalien erleben musste und wodurch man wieder gebremst wurde. Aber insgesamt glaub’ ich war es schon nicht das allerschlechteste Leben. Wenn man Musik macht, ist man halt generell ein freierer Mensch.

Assi Glöde, Ulrich Gumpert und Gerhard Schulz:
"Was nicht so schwierig war zu DDR-Zeiten, denn die Anzahl der Musiker war überschaubar."
"Ein Jazzparadies für die Westmusiker war es das, ja, eine Art Eldorado."

"Die Bands kamen ja ohne alles im Prinzip, mit ’nem kleinen Verstärker, waren gar nicht vorbereitet, so 'nen Saal zu befüllen, das musste also alles von uns organisiert werden, dass die Technik da ist."

Beim Erinnern kommt bei Gerhard Schulz die eine oder andere Geschichte hoch:
"Wenn Sie am Montag per Anruf erfahren, am Mittwoch ist in Rostock in der Kirche das American-Folk-Festival – he? Wieso denn das? Ja, die spielen da. Oh. Ja. Gut. Also: ich Dienstagmittag zum Chef gesagt: Chef tschüss. Ich muss nach Rostock, hab' mich in meinen Wartburg gesetzt, nach Rostock gedonnert, dachte so, haste Karten? Kriegste Karten, was da ist so. Rein, Karte, die Kirche war halbvoll. Hat keinen Menschen interessiert, dass sie da rumgetobt haben. American-Folk-Festival war ja ne Adresse, ja?!! Angehört, gut. Macht noch 'ne zweite Vorstellung. Auch noch mitangehört. Dann bin ich irgendwann um eins mit dem Wartburg bin nach Hause, und war dann um halb sieben wieder auf Arbeit. Also man musste ja meistens dann irgendwo jemanden haben, jemanden kennen, also sozusagen: kann ich bei dir schlafen? Oder so was, es war ja nicht üblich, dass man ob man irgendwo 'nen Platz, und Geld war auch nicht so dicke, also da einfach zu sagen, ich gehe jetzt hier in ’nen Hotel, das war eh die Ausnahme. Meistens hat man dann irgendwo gesehen, dass man da 'nen Tipp hatte, hier ist was, hier ist was Tolles los, 'n Konzert, und dann ging es eben hauptsächlich gar nicht um die Location, sondern um den Musiker, der dort aufgetreten ist."
Das klingt nach einer erträglichen Leichtigkeit. Beinahe. Der Sommer des Jahres 1989 begann ungewöhnlich früh, auch vom Politbarometer her, bereits im März. Im September 1989, dem Monat, da die Volksrepublik Ungarn den Eisernen Vorhang endgültig lüftete, nahmen etliche DDR-Jazzmusiker und Schauspieler vier Kurzopern mit dem Titel "Die Engel" des DDR-Schriftstellers Jochen Berg auf – unter ihnen die in dieser Jazz-Deutschlandrundfahrt genannten Dietmar Diesner, Günter Sommer und Johannes Bauer. Es geht um den Untergang eines versteinerten Gesellschaftssystems – die Musik dazu: von Ulrich Gumpert.
Er erinnert sich: "Wir hatten unseren Probenraum gegenüber vom Deutschen Theater. Dieter Mann. Wir haben ihn einfach überrollt. Den ganzen Herbst über saßen wir im Rundfunk."
Dass die Musiker einen Schwanengesang auf die DDR einspielen, das können sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen:

"Als alles fertig war, gab’s die DDR nicht mehr."
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