Faulenbach: Stasi-Unterlagen-Behörde muss reformiert werden

Moderation: Christopher Ricke · 15.08.2007
Der stellvertretende Vorsitzende der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Bernd Faulenbach, hat eine Reform und spätere Schließung der Stasi-Unterlagen-Behörde gefordert. Es spreche alles dafür, die Akten der Birthler-Behörde an das Bundesarchiv zu geben, sagte Faulenbach.
Christopher Ricke: Der Fund eines Schießbefehls in der Magdeburger Außenstelle der Stasi-Unterlagen-Behörde. Die mediale Aufregung über das Papier und dann der Hinweis, dass ein nahezu gleich lautendes Dokument schon vor zehn Jahren veröffentlicht wurde. Das alles hat erneut eine Diskussion über die Stasi-Unterlagen-Behörde und auch über deren Chefin Marianne Birthler aufkommen lassen. Die Stasi-Unterlagen-Behörde, ein Kind der deutschen Revolution 1989, damals wurden die Hinterlassenschaften der Stasi nach der Wende erst von einem Bürgerkomitee, später von einem Sonderbeauftragten verwaltet. Seit 1991 ist es der bzw. die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR.

Ich spreche jetzt mit Bernd Faulenbach. Er ist der stellvertretende Vorsitzende der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Herr Faulenbach, Akteneinsicht ist eine wichtige Aufgabe der Behörde, wissenschaftliche Erschließung und Aufarbeitung und Bewertung die andere. Ist denn die Stasi-Unterlagen-Behörde diesen Aufgaben noch gewachsen oder sollten die Akten zügig auf das Bundesarchiv und die Archive der Länder verteilt werden?

Bernd Faulenbach: Also, ich denke, dass man in überschaubarer Zeit um eine Neuordnung nicht herumkommt. Es spricht Vieles dafür, die Akten an das Bundesarchiv zu geben, ob man das insgesamt macht oder auch die Landesarchive beteiligt, darüber kann man diskutieren, aber in überschaubarer Zeit scheint mir dies sinnvoll. Das Bundesarchiv in Lichterfelde ist durchaus bereit und auch in der Lage, mit derartigen Akten umzugehen, und wenn sie das Archivgesetz entsprechend anpassen, würde auch weiterhin für jedermann die Benutzung möglich sein. Zugleich würde ich mir ein Mehr an Professionalität im Umgang mit den Akten von einer derartigen Verlagerung versprechen.

Ricke: Sie sprechen sehr geschickt von überschaubaren Zeiträumen, von mittleren Fristen. Der Kulturstaatsminister Bernd Neumann will die Behörde mittelfristig auflösen, die Bundesbeauftragte sagt, frühestens 2019 und argumentiert damit, dass die Akten zu sensibel seien, als dass man sie nach allgemeinem Archivrecht verwalten dürfte. Sie haben eine Reform des Archivrechts bereits angesprochen – was muss denn geschehen, und wann könnte der Zeitpunkt sein?

Faulenbach: Ja, ob man da 2019 erst den Endpunkt setzen soll, das ist meines Erachtens doch zu erörtern. Vielleicht wäre das der absolute Endpunkt, aber man müsste schon früher mit dieser Reform, meines Erachtens, beginnen und mir schien, es ist auch sinnvoll.

Ricke: Wann denn?

Faulenbach: Ja, also, es käme jetzt vor allem darauf an, jetzt einen Zeitpunkt festzulegen.

Ricke: Und wo könnte der liegen?

Faulenbach: Tja, also, ich könnte mir ihn auch schon in zehn Jahren oder ähnlich vorstellen, also, es muss nicht so weit gehen, bis 19. Also, legen Sie mich da auf so eine Jahreszahl nicht fest, aber diese scheint mir ein Zeitraum zu sein, der doch fast so aussieht, als ob man nicht da rangehen will, diese Neuordnung vorzunehmen, und daran kommt man, meines Erachtens, nicht vorbei. Auch der Gesetzgeber ist ja ursprünglich von einer Befristung ausgegangen und es kommt jetzt darauf an, das, was nötig ist, zu tun und dazu gehört eindeutig, dass weiterhin eine individuelle Benutzung sein muss, aber zugleich also doch ein Mehr an Professionalität, auch, wie soll ich sagen, ein stärkeres Zusammenführen mit anderen Aktenbeständen dann erforderlich und möglich wird. Wir können auch die gesamte DDR-Geschichte nicht ausschließlich von der Stasi-Problematik hier sehen, wir müssen viel stärker die Zusammenhänge, Wechselwirkungen, auch Fragen der Bindekräfte und ähnliche Dinge mit in diesem Zusammenhang sehen.

Ricke: Könnte man in einer Bündelung aller zeitgeschichtlichen DDR-Akten, auch der Stasi-Akten, erreichen, dass diese falsche, öffentliche Wahrnehmung korrigiert wird, in der die Stasi zum eigenen Apparat geworden ist, sozusagen zum Sündenbock der DDR, der SED, der Blockparteien, was dann auch die Ostalgie begründet, weil man die ganze Schuld auf die Stasi werfen kann?

Faulenbach: Ja. Ich denke, dass es auf der einen Seite es natürlich nötig ist, dass man von Zeit zu Zeit auch die Öffentlichkeit mit der Realität der Stasi konfrontiert, etwa mit einem derartigen Dokument wie das jetzt vorgelegte, das nun doch klar zeigt, dass dieses System eben nicht harmlos war und es keinen Grund gibt, es zu verniedlichen. Aber auf der anderen Seite ist es in der Tat nötig, von dieser Fixierung wegzukommen, und ich würde hoffen, dass diese Fixierungen, die tatsächlich ihre Schattenseiten haben – zum Beispiel dann ja doch auch indirekt eine (…) Funktion für die SED und andere Organisationen enthält –, dass diese Fixierung dann aufgebrochen wird, und dies könnte erleichtert werden. Wir haben ja schon in Lichterfelde (…) dieses Archiv, das zugänglich ist für die Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR im Bundesarchiv, also, dies in der Nachbarschaft dann zu haben, das macht doch Sinn.

Ricke: Wenn man all diese unterschiedlichen Akten zusammenführt, warum tut man das nicht in der Birthler-Behörde?

Faulenbach: Ja, die Birthler-Behörde ist natürlich von ihrer Zwecksetzung her eher eine Einrichtung, die in dieses revolutionäre und nachrevolutionäre Geschehen hineingehört, und es ging vor allem darum, für die Betroffenen die Akten zunächst einmal dort zugänglich zu machen. Und hier spielte sicher noch diese revolutionäre Bewegung eine Rolle, die selbst über die Akten verfügen wollte, deshalb diese Konstruktion eines Sonderbeauftragten zunächst der Volkskammer und dann eben der Bundesrepublik. Dieses aber (…). Nach so langer Zeit sollte es möglich sein, die Verknüpfung herbeizuführen mit den übrigen Archiven und, wie gesagt, ein Mehr an Professionalität damit auch zu ermöglichen.