Faule Tricks und reiner Tisch

Von Michael Brandt, Frank Überall und Dietrich Mohaupt · 19.02.2013
"Aufgriffe" von reichlich Bargeld an der Grenze, der plötzliche Boom von Selbstanzeigen und die dicken Fische von der Küste: Einige Beobachtungen zur Steuerhinterziehung und Steuerfahndung in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein.
Wann taucht die nächste Steuersünder-CD auf? Wird sie just in diesem Moment da oder dort gebrannt? Wir wissen es nicht, haben da aber so ein Gefühl … und werden aufhorchen, wieder aufhorchen, wenn sie den Steuerfahndern angeboten wird. Und die Stirn runzeln wird dann auch so mancher Bürger in diesem oder jenem Bundesland. Der Schwabe, der Rheinländer, der Schleswig-Holsteiner – jeder will als redlicher Stamm dastehen. Als rechtschaffender Stammesangehöriger. Und dann das.

Der Schwabe – er gilt als sparsam, aber nicht als geizig; er lobt das "Schaffe, schaffe …", aber nicht das "Schaffe, schaffe außer Landes". Und dennoch: Die meisten Steuerhinterzieher, die meisten reuigen Steuerhinterzieher sitzen in Baden-Württemberg. Und was sagt der Schwabe dazu?

Einsatzbesprechung von Beamten des Hauptzollamts Ulm kurz vor einer Straßenkontrolle in Lindau am Bodensee. Die baden-württembergischen Beamten werden gleich eine Durchgangsstraße von Österreich nach Deutschland sperren und sich unter anderem auf die Suche nach Bargeld machen, das aus der Schweiz über Österreich nach Deutschland kommt

"Aufgrund der geografischen Situation hier im Bereich Lindau, Österreich, Schweiz Liechtenstein ist es natürlich so, dass wir auch Feststellungen im Bargeldbereich haben, sprich, dass die Reisenden das Bargeld nicht anmelden, wozu sie aber normal verpflichtet wären."

… sagt Hagen Kohlbach, Sprecher des Hauptzollamts Ulm. Ab 10.000 Euro muss mitgeführtes Bargeld angemeldet werden und wenn der Betrag höher ist, steht zumindest der Verdacht im Raum, dass es sich um unversteuertes Geld handelt, sprich um Schwarzgeld.

"Wir können ganz grundsätzlich sagen, im Jahr haben wir etwa 50 bis 100 Aufgriffe im Bereich von nicht angemeldetem von Bargeld, Hinweise auf Auslandsvermögen noch mal etwa 150 bis 200 Aufgriffe im Jahr. Bei einer groß angelegten Aktion kann es gut sein, dass wir Aufgriffe feststellen."

Hinweise auf Auslandsvermögen sind zum Beispiel Kontoauszüge, Wertpapiere, Depotauszüge, Verträge oder andere schriftliche Aufzeichnungen.

Viel Arbeit also für den Zoll. Und ihr Job ist nur der erste Schritt, denn er leitet seine Hinweise an die Finanzverwaltung weiter und die muss feststellen, ob sich hinter zu viel Bargeld oder Auslandskonten Schwarzgeld und Steuerhinterziehung verbirgt.

Wenn der Zoll Hinweise auf Schwarzgeld findet, bedeutet das für die Steuerhinterzieher erstens in der Regel ein Strafverfahren, zweitens müssen sie die hinterzogenen Steuern nachzahlen.

Die Arbeit der Zöllner ist mühsam, etwa 100 Treffer pro Jahr gibt es bei Kontrollen wie diesen in Lindau. Einfacher und viel effizienter sind für die Finanzbehörden der Kauf von der sogenannten Steuer-CDs, mit denen die Behörden dann auf einen Schlag die Daten von tausenden potenziellen Steuerhinterziehern erhalten und gezielt nach ihnen fahnden können.

Der Kauf der Steuer-CDs hat aber noch einen zweiten, aus Sicht der Finanzverwaltung positiven Effekt: Er führt zu massenhaft Selbstanzeigen beim Finanzamt. Das funktioniert so: Wenn Ermittlungsbehörden einen Steuerfahnder erwischen, muss er erstens seine Steuern nachzahlen, zweitens muss er mit einem Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung rechnen. Wenn der Steuersünder sich aber selbst anzeigt, muss er zwar nachzahlen, das Strafverfahren fällt aber in der Regel weg. Wer also befürchtet, dass sein Name auf einer der Steuer-CDs ist, wird sich schnellstmöglich selbst anzeigen, die Steuern nachzahlen und darauf setzen, dass es kein Strafverfahren gibt.

Womit wir wieder in Baden-Württemberg wären, denn hier liegt die Zahl dieser Selbstanzeigen am höchsten. Ausgerechnet bei den rechtschaffenen, sparsamen Schwaben, die man auf den ersten Blick mit vielem in Verbindung bringt, aber nicht mit Steuerhinterziehung.

Aber es ist nur der erste Blick. Dieser Herr, der gerade einen Spaziergang vor dem Stuttgarter Neuen Schloss, dem Sitz des baden-württembergische Finanzministeriums, macht, erklärt die hohe Zahl der Selbstanzeigen gerade mit der Rechtschaffenheit der Menschen im Südwesten:

[Bürger:] "Sind halt einfach anständige Menschen, die Schwaben."

Anständig genug also, um die Steuern zu zahlen, bevor die Entdeckung als Steuerhinterzieher droht, aber dann doch nicht anständig genug , um die Steuern sofort und freiwillig zu zahlen.

[Bürger:] "Die Leute behaupten ja immer, die Schwaben seien a bissle geizig und das ganze Geld dem Finanzamt zu geben, das ist nicht so erfreulich."

Und wenn das ganze Geld ans Finanzamt ginge, dann bliebe von dem Wohlstand in Südwesten am Ende ja kaum etwas übrig.

Andere Spaziergänger sehen das anders:

[Bürger:] "Ich find's unmöglich, ehrlich gesagt, weil also es sind Beamte und wir kriegen das Geld direkt abgezogen und alle ehrlichen Steuerzahler die müssen sich ja etwas seltsam vorkommen." / "Eine üble Geschichte diese Steuerhinterziehung, der kleine Mann muss ja auch bezahlen und da sagt man sich: Warum die Großen nicht?"

Aber davon abgesehen leuchtet es den Passanten ein, dass die Zahl der Selbstanzeigen und damit vermutlich auch die Zahl der Steuerhinterzieher in Baden-Württemberg besonders hoch ist.

[Bürger:] "Also ich bin zuerst mal sehr enttäuscht. Aber dass nun gerade Baden-Württemberg an der Spitze liegt, mag auch mit der Nähe der Schweiz zusammenhängen. Und die anderen bringen ihr Geld irgendwo anders hin, nicht in die Schweiz." / "Wir haben‘s ja nicht weit, die Schweiz ist unser Nachbar, sie ist auch Partner auf politischer Ebene, und Geschäftsleute können das nun eben nutzen zu allen möglichen Geschäften."

Aber natürlich spielt auch ein zweiter Aspekt eine Rolle. Den Menschen im Südwesten geht es wirtschaftlich besser als anderen im Lande, und wo Geld ist, fallen Steuern an.

[Bürger:] "Ja ich könnte es mir insofern vorstellen, weil unsere Wirtschaft ganz gut dasteht und sicher einige die da sin, die ganz gut verdienen eben gucken, wo sie ihre Schäfchen ins Trockene bringen und das ist dann immer noch die Schweiz."

Das bestätigt am Ende auch der Chef der baden-württembergischen Finanzverwaltung, Finanzminister Nils Schmid:

"Zum einen liegt das sicher an der Grenznähe, zum andern aber auch an unserer starken Wirtschaftsstruktur. Wir haben in Baden-Württemberg überdurchschnittliche Wohlhabende, die dann in der Vergangenheit Geld in der Schweiz angelegt haben."

Was die Sache natürlich nicht besser macht. Aber eine gewisse Logik hat es dann eben doch. Denn geizig sein funktioniert nur, wenn man etwas hat, und wenn man alles weggibt, hat man nix mehr.

[Bürger] "Ha ja eben: Wenn sie dem Finanzamt nix geben, na hen sie ebbes."


Gleich hinter Baden-Württemberg folgt Nordrhein-Westfalen. Erstaunlich auch deshalb, kaufte doch die Landesregierung Steuer-CD’s auf, hielt hartnäckig daran fest, obwohl die Bundesregierung und manch andere Landesregierung heftig davon abrieten, weil : so etwas mache man nicht – gar nicht gut – Steuerabkommen viel schöner - und überhaupt. Und der gemütliche Rheinländer? Wird er da ungemütlich ob der vielen Hinterzieher in seinem Distrikt?

Norbert Walter-Borjans kommt aus Köln. Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen wurde kürzlich im Karneval auf zweifelhafte Art geehrt: Auf einem jecken Festwagen war der SPD-Politiker zu sehen, wie er mit Steuer-CD`s jongliert. Die Düsseldorfer Landesregierung kauft diese Datenträger gerne und oft, und vor allem wenn viele Steuersünder an Rhein und Ruhr damit überführt werden können. Und das ist häufig der Fall. Warum eigentlich? Fragen wir mal nach in Köln, auf der Straße:

[Bürger:] "Ist es denn so, dass die anderen Bundesländer auch diese Steuer-CD`s gekauft haben?"

Eine unangenehme Frage mit einer Gegenfrage beantworten, das macht immer Sinn. Dass NRW im Vergleich zu anderen Bundesländern so schlecht dasteht, also mit überdurchschnittlich vielen Steuerhinterziehern, das hört man hier nicht gerne. Vielleicht gucken die anderen ja nur nicht so genau hin.

"Wahrscheinlich liegt`s auch daran. Dass man das gar nicht so richtig eruiert, über alle Länder gesehen."

Ja, vielleicht sind die anderen gar nicht so interessiert an den Daten derer, die ihr Geld illegal ins Ausland schaffen. Harald Elster vom Verband der Steuerberater könnte wissen, was an dieser These dran ist:

"Das ist definitiv, eindeutig der Fall. Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine Kultur, die im Kern unterstellt aufgrund der vielen Menschen, die hier wohnen und leben, dass eben viele Gelder ins Ausland geschafft worden sind und diese Gelder eben nicht der deutschen Besteuerung unterworfen worden sind."

Besonders strenge Beamte in den Amtsstuben der Finanzverwaltung an Rhein und Ruhr beobachtet auch Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter:

"Das ist ein offenes Geheimnis. Südliche Bundesländer machen sicherlich mindestens zwischen den Zeilen Werbung damit, bei Betriebsprüfungen entweder nicht so genau hinzugucken oder überhaupt insgesamt weniger durchzuführen. Nordrhein-Westfalen ist diesbezüglich sehr rührig, Gott sei Dank."

Und was sagen die Finanzbeamten selber? Manfred Lehmann weiß es, er ist NRW-Chef der Deutschen Steuergewerkschaft:

"Ja, die Unterschiede sind da. Und wir in Nordrhein-Westfalen sind da besonders konsequent, das ist richtig und das ist gut so."

Doch das kann nicht alleine der Grund sein für die vielen Steuersünder. Denn um Abgaben hinterziehen zu können, muss man das Geld erst mal haben. Einer aktuellen Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zufolge gibt es gerade im Ruhrgebiet besonders viele Menschen, die arm sind. Also, fragen wir noch mal auf der Straße nach:

[Bürger:] "Moment: Haben wir viele Millionäre hier? Haben wir viele Firmen hier, wo Leute also dann als Direktoren, als Personen, die viel Geld verdienen, ihr Geld dann ins Ausland bringen?"

Volkes Mund tut Wahrheit kund – bestätigt der Vorsitzende der gewerkschaftlich organisierten Finanzbeamten in NRW, Manfred Lehmann:

"Wir sind das bevölkerungsreichste Bundesland mit einer der stärksten Wirtschaftszonen. Wir haben einfach so viele Dax-Unternehmen wie kein anderes Land. Und das zieht natürlich auch Geld an und damit auch ein wenig die Steuergestaltung."

Aber was verführt dazu, Geld ins Ausland zu bringen, ganz gleich ob legal oder illegal? Steuerberater Harald Elster meint es zu wissen:

"Das hat im Regelfall etwas zu tun mit der Angst um das eigene Vermögen, um das eigene Geld. Die Deutschen haben im Kopf, dass in der Schweiz einfach das Geld sicherer ist. Jetzt nehme ich bewusst die Schweiz – sicherer ist als in der Bundesrepublik Deutschland. Luxemburg, Liechtenstein eher nicht, weil ist vergleichbar mit uns. Aber in der Schweiz: Die arbeiten anders mit dem Geld, dort werde ich auch im Alter noch mein Geld also antreffen und sicher sein, dass ich damit also arbeiten kann. Das verführt eher dazu."

Verführung zur Mauschelei – passiert das wohl vielen Menschen in NRW, die ein bisschen Geld auf der hohen Kante haben? Sind wir hier besonders unehrlich, wenn es um die Steuer geht?

[Bürger:] "Keine Ahnung. Will ich nicht hoffen! (lacht) Will man nit hoffen, ne?"

Aber bei der eigenen Steuererklärung, da mogelt doch so mancher mal, zumindest ein wenig, oder?

[Bürger:] "Ja… Das nehme ich doch an. Das finde ich auch nicht übel. Ein bisschen…"
Und das klappt immer besser, weiß Manfred Lehmann von der Steuergewerkschaft. In den vergangenen Jahren wurden in NRW nach seinen Angaben 3.000 Stellen in der Finanzverwaltung abgebaut – rund zehn Prozent.

"Die fehlenden Personalzahlen führen schon dazu, dass die Kleinigkeiten nicht mehr aufgegriffen werden können und auch nicht mehr aufgegriffen werden sollen. Das heißt, die Mogeleien im Alltag, die gehen durch."

Lernt man also im Kleinen, dass Betrügereien nicht auffallen? Und treiben es die großen Steuersünder deshalb besonders bunt, im bevölkerungsreichsten Bundesland? Sebastian Fiedler von der Kripo-Gewerkschaft durfte sich schon von einigen Steuer-Straftätern deren Erklärungsversuche anhören:

"Die Standard-Neutralisierungstechnik, so sagt man in der Kriminologie, das heißt die Ausreden auch sich selbst gegenüber, der Täter, sind standardmäßig eigentlich die, dass nicht eingesehen wird, dass Steuern verschwendet werden in Deutschland und dass Deutschland ja selber schuld sei, weil das Steuersystem zu komplex ist."

Und was sagen die Menschen dazu, in NRW? Eine Zufallsauswahl:

[Bürger:] "Gut, wenn Sie im Kleinen sagen, ich bin statt 25 Kilometer 35 gefahren und betrüge dann das Finanzamt, ist es auch nicht ehrlich. Aber so ein bisschen ist es schon ein Unterschied, ob ich sage, ich schiebe da nach Liechtenstein ein paar Millionen rüber. Oder ich bekomme mal 200 oder 300 Euro mehr von der Steuer zurück als mir gestattet ist, meine ich.

Uns Kleinen bleibt da kaum eine Chance. Uns kriegen sie alle. Ich denke mal, reiche Leute, die haben auch eine andere Connection ins Ausland und sind anders verbunden, und die haben die Möglichkeit halt eben, dort auch ihr Geld zu parken. Und ich bin der Meinung, alle Länder drumherum, wo die bisher eine Steueroase gefunden haben, die sollten endlich mal mit uns zusammen arbeiten und die alle offen legen. Das wäre gerecht."


Und wo finden wir die dicksten Fische? Nicht am Starnberger See, sondern, siehe Fische, an der Küste, in Schleswig-Holstein. Die dicksten Fische sind dort die größten Steuerhinterzieher … bundesweit.

Da kommt tatsächlich ganz schön was zusammen – und zwar wahrlich nicht nur Kleingeld. Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold hat noch einmal ganz genau in die Bücher geschaut – Ende 2012 stellte sich die Lage im nördlichsten Bundesland wie folgt dar:

"Es hat über 780 Selbstanzeigen gegeben, cirka 300 Millionen Euro an Einkommen und Vermögen wurden im Nachhinein angezeigt, und wir rechnen damit, dass wir cirka 130 Millionen Euro zusätzlich an Einnahmen haben."

Wer es genau wissen will, der greift schnell mal zur Rechenmaschine – 130 Millionen Mehreinnahmen bei 780 Selbstanzeigen – ja, das sind im Durchschnitt gut 167.000 Euro. Nachzuzahlende Steuern aufgrund einer Selbstanzeige im Zusammenhang mit den Steuer-CDs aus der Schweiz wohlgemerkt. Rein rechnerisch lässt das doch nur einen Schluss zu: Im Land zwischen den Meeren leben die richtig Reichen. Ausgerechnet Schleswig-Holstein – Volkes Stimme in der Fußgängerzone der Landeshauptstadt Kiel reagiert einigermaßen überrascht auf diese Erkenntnis:

"Warum soll ausgerechnet Schleswig-Holstein … hmm… erstmal glaube ich nicht, dass wir allzu viele ‚Reiche‘ haben, also, habe ich nicht den Eindruck, und zweitens auch nicht, dass die betrügerischer sind – also das glaube ich auch nicht." / "Das überrascht mich – ich dachte, dass da andere reichere Länder wie Bayern, Baden Württemberg mehr Leute haben, die viel Geld in die Schweiz bringen." / "Das hätte ich nicht gedacht – denn eigentlich spricht man immer vom Nord-Süd-Gefälle, das eigentlich immer im Süden die reichen Leute sitzen – das hätte ich eher vermutet."

Schön und gut – aber die Zahlen der Finanzministerin sagen etwas anderes, nämlich: Die größten Steuerbetrüger sitzen in Schleswig-Holstein. Knapp 170.000 Euro an fälligen Nachzahlungen nach Selbstanzeigen sind nun mal Spitzenwert in Deutschland, da beißt die Maus keinen Faden ab. Irgendwie komisch, meint dazu auch Reiner Kersten vom Verband der Steuerzahler in Schleswig-Holstein:

"Wenn man das Land Schleswig-Holstein kennt, dann ist es ja nun nicht als Wohnsitz von Superreichen bekannt. Zum anderen ist ja auch aus anderen Statistiken her hinreichend deutlich, dass eigentlich das Steueraufkommen pro Kopf in Schleswig-Holstein weit unterdurchschnittlich ist im westdeutschen Landesvergleich. Also insofern verwundert es schon, dass jetzt gerade bei den Selbstanzeigen so besonders hohe Beträge herauskommen."

Genau – es verwundert, gelinde gesagt. Und es stellt sich natürlich sofort die bohrende Frage: Wer sind die bisher unbekannten Reichen, die es ja rein statistisch offensichtlich gibt – und wo leben sie?

[Bürger:] "Das sind die reichen Dithmarscher Bauern bestimmt – ich vermute da sitzen sie alle." / "Es kann natürlich auch sein, dass im Hamburger Speckgürtel so ein paar Leute sitzen, die viel Geld haben." / "Ich wüsste nicht, wo man hier soviel Geld verdienen soll, da bin ich ganz ehrlich, also – keine Ahnung."

Dithmarschen – die berühmte Kohlanbauregion an der Schleswig-Holsteinischen Nordseeküste, Bauernland seit Urzeiten. So manch einem Hof in Dithmarschen sieht man es an, dass sich mit Landwirtschaft gutes Geld verdienen lässt.

[Bürger:] "Ja – möglich, ich kenne sehr viele tüchtige Landwirte, die aber ihr Geld sicher nicht ins Ausland bringen, das glaube ich nicht."

Also – wenn es nicht die Bauern sind, dann eben der Hamburger Speckgürtel. Na klar, die Hamburger Pfeffersäcke, die reichen Kaufleute – Geld verdienen in der Hansestadt und im schönen Schleswig-Holstein leben, das kennt auch Reiner Kersten vom Steuerzahlerbund:

"Selbstverständlich gibt es im Umland von Hamburg Bereiche, die einfach von dem Wirtschaftsboom in Hamburg profitieren. Hamburg hat das höchste Pro-Kopf-Steueraufkommen in Deutschland, von daher ist also durchaus denkbar, dass der eine oder andere seinen Wohnsitz in Schleswig-Holstein angemeldet hat. Es gibt auch einige andere Wohnsitze in Schleswig-Holstein, die durchaus beliebt sind bei guten Einkommensbeziehern."

Stimmt – Sylt zum Beispiel, die Insel der Schönen und Reichen. Da hätte man ja auch gleich drauf kommen können.

[Bürger:] "Das dachte ich auch gerade."

Also Sylt – klar, schon der Name der Nordseeinsel klingt nach Kampen, Kaviar und Champagner Partys, nach Reichtum und der Glitzerwelt der Promis. Da muss doch irgendwie ein Zusammenhang zu den hohen Einnahmen aus den Selbstanzeigen existieren. Und der existiert auch, bestätigt uns Wolfgang Kubicki. Der Chef der FDP-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag ist, wenn er gerade mal nicht in einem Fernsehstudio bei einer Talkshow-Aufzeichnung sitzt, Anwalt, und als solcher auch mit vielen Steuerverfahren beschäftigt. Der Mann sollte also wissen, wovon er spricht:

"Bei den Selbstanzeigen ist das so, dass diejenigen die Vermögenswerte angehäuft haben und dann umgezogen sind – beispielsweise jetzt in Sylt wohnen – und zum Schluss ihres Lebens noch mal reinen Tisch machen wollen oder jedenfalls die nervliche Belastung nicht mehr wollen, dann auch über zehn Jahre hinweg nach versteuert werden. Das ist ein erheblicher Betrag und da, kann man sagen, liegt Schleswig-Holstein im Durchschnitt der Nacherklärungen an der Spitze. Aber das liegt nicht daran, dass bei uns relativ viele Leute hinterziehen, sondern dass eben vermögende Menschen ab einem gewissen Alter sich auch in Schleswig-Holstein niedergelassen haben und deshalb hier dann veranlagt werden."

Klingt eigentlich ganz logisch und als Erklärungsversuch geradezu verlockend, passt aber leider so gar nicht zu den Zahlen, die das Finanzministerium in Kiel veröffentlicht hat. Die belegen ganz klar: Der Geldsegen aus Selbstanzeigen von Steuerbetrügern stammt nicht von Sylt, die Spur des Geldes lässt sich auch nicht an irgendeinen anderen Ort in Schleswig-Holstein verfolgen, betont Ministerin Heinold:

"In Schleswig-Holstein gibt es keine Datenlage, die konzentriert auf einen Ort hinweist – es gibt auch keinen Sylt-Effekt, sondern im ganzen Land verteilt gibt es diese Selbstanzeigen."

Eben nicht ganz so viele wie in anderen Bundesländern, dafür aber wesentlich einträglichere. Und das, so die Ministerin weiter, sei wieder einmal ein Hinweis auf eine ganz besondere Charaktereigenschaft der Norddeutschen:

"Ja, wir scheinen ein ehrlicher Menschenschlag im Norden zu sein. Es gibt weniger Steuerhinterziehungen scheinbar, aber wenn die Menschen sich anzeigen, dann machen sie reinen Tisch."
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