Fasten für die Zukunft

Von Kerstin Zilm |
Kirchen in den USA wenden sich gegen den strikten Kurs, den die US-Administration gegenüber illegalen Einwanderern eingeschlagen hat. Damit die Reform der Einwanderungsgesetzgebung angesichts anderer Probleme nicht vergessen wird, haben in Los Angeles Christen mit einer Fastenaktion auf die Probleme hingewiesen.
Im Schatten einiger Bäume auf der "Placita de Dolores" – dem "Platz der Schmerzen", mitten zwischen den Hochhäusern von Downtown Los Angeles, sind bunte Zelte aufgebaut. Davor sitzen auf Decken und Campingstühlen Männer und Frauen unterschiedlichsten Alters und Hautfarbe. Sie erzählen zur Musik eines Gitarrenspielers Geschichten von Razzien in Fabriken, auf Erdbeerfeldern und an Bushaltestellen, Geschichten von Verhaftungen, Abschiebungen und Trennungen. Marianna wohnt rund 40 Kilometer nördlich von Los Angeles neben einem Krankenhaus. Jeden Morgen sieht sie auf einem Hügel Busse der Immigrationsbehörde stehen.

"Sie warten auf Einwanderer, Menschen mit brauner Haut. Sie nehmen sie mit. Manche müssen ihre Kinder in Kinderwagen stehen lassen. Ab halb fünf morgens stehen sie da, halten auch in der U-Bahn Ausschau."

Marianna hat gehört, dass illegale Einwanderer in der Haft misshandelt werden. Die 56-Jährige ist mit einem Amerikaner verheiratet. Trotzdem hat sie Angst. "Sie werden mir etwas unterschieben und mich zurück nach Mexiko schicken!” sagt sie mit Tränen in den Augen:

"Ich habe Angst, sie werfen mich raus und ich kann meinen Sohn und meine vier Enkel nie mehr sehen. Ich habe ihnen gesagt: eines Tages werden sie mich von euch trennen."

Auf einer kleinen Bühne vor dem improvisierten Zeltlager haben sich Leiter mehrerer Kirchengemeinden aus Los Angeles an einem Mikrophon versammelt. Sie beten auf spanisch und englisch für die Fastenden, die eine umfassende Reform der US-Einwanderungspolitik fordern und eine Ende der Razzien. Pastor Abel Lara von der Methodisten Kirche direkt neben dem Platz zitiert aus dem dritten Buch Mose, Levitikus Kapiel 19, Vers 33 und 34:

"Wenn ein Fremder in Eurem Land als Fremder wohnt, sollt Ihr ihn nicht unterdrücken. Wie ein Einheimischer unter Euch soll der Fremde sein. Ihr sollt ihn lieben wie Euch selbst. Denn auch Ihr seid Fremde im Land Ägypten gewesen."

Die USA haben in den vergangenen zwei Jahren Grenzkontrollen zwischen Mexiko und den USA verschärft – sie arbeiten am Ausbau eines über 1000 Kilometer langen Grenzzauns mit Fahrzeugsperren, Mauern, Stacheldraht, Infrarotkameras, Radarstationen und modernster Sensorentechnologie. Pater Richard Estrada von "La Placita – Our Lady Queen of Angels Church" - der ältesten katholischen Kirche in Los Angeles ist erbost:

"Wir halten nichts von diesen Razzien, wir lehnen sie rigoros ab. Sie trennen Familien, terrorisieren Menschen, kommen zu ihnen morgens um halb fünf, halten sie auf der Straße an."

In "La Placita" fanden schon in den 80er-Jahren Flüchtlinge aus El Salvador und Guatemala Zuflucht.
Jetzt kommen obdachlose Einwanderer und Familien ohne Einkommen zu der kleinen Kirche mit ihrem schattigen Innenhof und einem Mini-Wasserfall, an dem zu Füssen einer Marienstatue mehrere Dutzend Kerzen brennen. Sie suchen Trost und Hilfe, viele bitten darum, ihre Kinder zu taufen, andere wollen getraut werden. Keiner fragt nach ihren Papieren. Pater Richard Estrada:

"Es herrscht mehr Angst, mehr Vorsicht. Wir wissen, dass die Immigrationsbehörden mit ihren Fahrzeugen in der Nähe sind. Trotzdem kommen sie. Sie fühlen sich hier sicher."

Als die US-Regierung vor zwei Jahren begann, härter gegen illegale Einwanderung vorzugehen, als Politiker mehr von Grenzkontrollen als von menschenwürdiger Reform der Einwanderungspolitik sprachen, schlossen sich Religionsgemeinden in mehr als 50 Städten der USA zu einer neuen Kirchenasyl-Bewegung zusammen. Auch "La Placita" in Los Angeles nimmt seither Immigranten auf, die von der Abschiebung bedroht sind. Wie die 29-jährige Liliana. An einem Morgen im Mai klopften an ihre Tür Offiziere der Einwanderungsbehörde. Sie wollten ihr Handschellen anlagen, sie festnehmen, in ein Abschiebezentrum transportieren und dann ausweisen. Liliana, die 1998 illegal in die USA kam, hatte mehrere Aufforderungen, sich den Behörden zu stellen ignoriert. Sie bat die Offiziere um Mitleid mit sich, ihrem vier Monate alten Baby und ihrer vierjährigen Tochter.

"Sie hat gefragt: Mama, nehmen sie dich mit? Ich hab nein gesagt. Der Offizier sagte: Wir nehmen deine Mama mit. Da sagte sie: Meine Mama ist gut. Sie kocht für mich. Bringt mich zur Schule. Nehmt sie nicht mit."

Auch Liliana redete unter Tränen auf die Vertreter der Behörde ein:

"Bitte legt mir keine Handschellen an, hab ich gesagt. Ich bin keine Verbrecherin. Ich sage meinen Kindern immer, dass sie nichts Böses tun, im Laden nichts nehmen sollen, weil sonst die Polizei mit Handschellen kommt."

Die Offiziere zeigten Erbarmen und gaben Liliana fünf Tage Zeit, sich bei den Behörden zu melden. Sie flüchtete noch am selben Tag mit ihrem Baby in die Kirche. Die Tochter blieb beim Vater. Nach mehreren Monaten ohne Möglichkeit die Kirche zu verlassen und vergeblichen Versuchen, legal eine US-Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, tauchten Liliana und ihre Familie wieder ab. Das Asyl-Zimmer in "La Placita" ist derzeit leer. Pater Estrada versichert: Seine Kirche wird ihrer Tradition als Zufluchtsort für Arme und von der Gesellschaft Ausgestoßene treu bleiben, auch wenn es für alle Beteiligten oft nicht einfach ist:

"Man tut, was man kann, so gut man kann. Bietet seine Dienste an. Es ist nicht perfekt, nicht ordentlich. Es ist chaotisch, dynamisch. Zwischendurch lässt jemand all seinen Frust raus sein Trauma und man weiß nicht, was man tun soll, es wird ungemütlich."

Die Leitung der katholischen Kirche unterstützt den Protest gegen Razzien. Sie forderte, Kirchen, Krankenhäuser, Schulen und Sozialeinrichtungen von Durchsuchungen zu verschonen und Eltern nicht von ihren Kindern zu trennen. "Die menschlichen Kosten der Razzien an Arbeitsplätzen sind unschätzbar und inakzeptabel für eine zivilisierte Gesellschaft”, schrieb der Vorsitzende der Einwanderungs-Kommission Bischof John Wester. Alle Hoffungen der Kirchen und Organisationen, die mehr Rechte für Einwanderer fordern, liegen nun auf dem am vierten November gewählten US-Präsidenten, Barack Obama. Pater Richard Estrada von ‘La Placita’ im Herzen von Los Angeles:

"Wir sind glücklich, dass er Erfahrung in Gemeindearbeit hat. Organisation von unten nach oben kennt. Er wird uns respektieren. Die Kirche ist ein perfekter Ort, Veränderungen zu organisieren."

Barack Obama hat angekündigt, die US-Einwanderungspolitik zu reformieren. Sein Drei-Punkte-Plan Plan sieht vor, erstens sichere Grenzen zu garantieren, zweitens die Zahl legaler Immigranten erhöhen, um die Nachfrage nach Arbeitskräften zu befriedigen und drittens einen Weg zur Staatsbürgerschaft für die Einwanderer ohne legale Aufenthaltserlaubnis zu eröffnen, die einen Arbeitsplatz haben und nicht gegen Gesetze verstießen. Seine Kritik an den Arbeitsplatz-Razzien der Einwanderungsbehörden machte Obama im Wahlkampf deutlich:

"Ich bin nicht besonders beeindruckt von diesen Aktionen, bei denen eine Handvoll Arbeiter ohne Papiere aufgegriffen und nach Hause geschickt wird, mit der Folge, dass das Unternehmen lediglich die nächste Truppe einstellt."

Immigrationspolitik ist aus der tagespolitischen Diskussion in den USA verdrängt worden. Die weltweite Finanzkrise mit ihren Folgen für Immobilienmarkt, Arbeitsmarkt und Wirtschaftswachstum ist die größte Priorität von Barack Obama. Platz zwei belegen die Kriege in Irak und Afghanistan. Pater Richard Estrada weiß, dass nicht nur deshalb seine Kirche auch in Zukunft eine wichtige Rolle für die Einwanderer in den USA übernehmen wird:

"Wir sind in erster Linie Missionare. Tun die Arbeit Jesu Christi. Das tun wir mit großer Liebe und großem Einsatz. Wir haben eine wichtige Aufgabe in der Gesellschaft. Nicht die, dich zum Christen, Protestanten oder so etwas zu machen. Sondern jeden Menschen wirklich als Kind Gottes zu sehen, das Würde und Respekt verdient. Und wirklich versuchen, das zu leben."