"Faschisierung der Provinz"

Toralf Staud im Gespräch mit Ulrike Timm · 24.09.2009
Der Umgang mit der NPD sei kurz vor der Bundestagswahl mancherorts von Lethargie und Ignoranz geprägt, sagt der Rechtsextremismus-Experte Toralf Staud, mit anderen Worten: Man lässt sie widerstandslos wahlkämpfen.
Ulrike Timm: Almuth Knigge über die Wahlwerbung der NPD in den ländlichen Gebieten von Mecklenburg-Vorpommern. Und im Studio ist jetzt Toralf Staud, Rechtsextremismusexperte, sein letztes Buch heißt schlicht und auf den Punkt "Das Buch gegen Nazis – Was man wissen muss und wie man sich wehren kann". Schönen guten Morgen!

Toralf Staud: Guten Morgen!

Timm: Herr Staud, wenn ich meiner Kollegin zugehört habe, habe ich den Eindruck, die anderen Parteien haben dort längst aufgegeben. Ist das so?

Staud: Den Eindruck kann man in der Tat haben. Das Problem ist, dass in solchen Regionen wie Vorpommern die NPD längst stärker ist als die sogenannten Volksparteien. Wenn Sie sich anschauen, wer dort überhaupt noch in CDU, SPD oder Linkspartei Mitglied ist, dann ist das eine Handvoll von Leuten. Mal zum Vergleich eine Zahl: Der ganze Landesverband der SPD in Mecklenburg-Vorpommern hat weniger Mitglieder als der Ortsverband Dortmund, also, schon von der Personenzahl können dort die demokratischen Parteien mit der NPD und ihrem Umfeld kaum mithalten. Und wie Ihre Kollegin eben sagte: Dort gibt es Neonazikameradschaften, die ziehen als Plakatiertrupps los, die müssen gar nicht mal bezahlt werden, die machen das aus Überzeugung und stellen sich, wie sie es nennen, in den Dienst der nationalen Sache. Da wird dann vor so einer Wahl alles gegeben.

Timm: An der polnischen Grenze hat man sich aber gegen die Sprüche gewehrt. Könnte man nicht als Bürger fremdenfeindliche Slogans und Plakate einfach abreißen?

Staud: Das sollte man nicht tun, denn juristisch ist das sicherlich Sachbeschädigung. Aber es gibt ja andere Möglichkeiten, sich zu wehren. Ich habe neulich von einem Gärtner gelesen, der einfach große Bäume vor die Laternen gestellt hat, weil er das nicht gut fand, oder andere Bürger, die Plakate angehängt haben, die dann hinterher, nach dem Anhängen, weil sie nicht gut festgemacht waren, runtergerutscht sind. Aber es gibt auch Leute, die diese Plakate abreißen – kann gut sein, dass die dann von Rechtsextremisten auch noch aufgestöbert werden, denn die Kameradschaften, so hört man, fahren nachts Streife, sind unterwegs, bewachen quasi diese Plakate oder – wie auch Ihre Kollegin sagte – kleben sie am nächsten Morgen einfach nach.

Timm: Hat denn die Angst sich auf die anderen Parteien schon übertragen? Denn dass sie dort im Hintertreffen sind, ist ja kein Grund, unbedingt aufzugeben.

Staud: Ich glaube, es ist eher eine Lethargie oder eine Ignoranz. Mancherorts gibt es immer auch noch Bürgermeister, die sagen, ach, man soll die nicht hochschreiben, man soll die nicht aufwerten, die Nazis, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt. In solchen Orten, wo sie die Plakatierhoheit hat, ist das schon durch die Realität ad absurdum geführt. Man kommt dann öfter hin und sieht, dass ein grünes Plakat, ein CDU-Plakat, ein SPD-Plakat hängt. So manchmal hat man den Eindruck, dass die etablierten Parteien die Wahl auch schon für gewonnen halten im Landtagswahlkampf, die CDU dann denkt, wir gewinnen das Mandat ja sowieso, warum sollen wir überhaupt noch plakatieren? Das ist natürlich für die demokratischen Verhältnisse verheerend, wenn der Eindruck entsteht, dass die NPD dort ein Heimspiel hat und die Straßen beherrschen kann.

Timm: Aber die NPD hat das Heimspiel auf kommunaler Ebene ja durch die Jugendclubs, durch Hausaufgabenhilfe, durch Kletterkurse, durch all die Dinge, die andere Parteien auch machen könnten.

Staud: Na ja, sie versucht es. Es sind einzelne Orte, einzelne Inseln. Es kommt immer darauf an, ob die NPD irgendwo einen Kader hat, der kampagnenfähig ist, der überhaupt auch konzentriert arbeiten kann, der längerfristig denken und planen kann. Das ist ja nicht an vielen Orten der Fall. Aber wo es der Fall ist, da sieht man dann, was für eine Partei wie die NPD möglich ist bei konzentrierter Arbeit, da kommt sie dann in einzelnen Wahlkreisen auf 20, 30 Prozent und in der Tat, da macht sie dann Freizeitangebote, sitzt in den Elternvertretungen oder lassen sich Leute als Schöffen an Gerichte wählen. Das ist dann so quasi eine Faschisierung der Provinz, eine Graswurzelrevolution von unten. Da kann man dann mit NPD-Verboten oder so von oben überhaupt nichts gegen machen, das ist völlig absurd.

Timm: Es sind ja nicht nur die Plakate vor der Wahl, die NPD beschäftigt gerade mal wieder die Staatsanwaltschaft. Grund ist der unsägliche Brief eines angeblichen Ausländerrückführungsbeauftragten an mehrere Bundestagsabgeordnete, die er doch glatt zur Heimreise aufforderte. Damit hat sich die NPD einmal mehr auf kriminelles Terrain begeben und damit die Diskussion um ein Verbot auch neu belebt. Sie sagten eben, Sie würden das nicht befürworten. Warum ist das keine Lösung?

Staud: Weil es das wirkliche Problem, für das die NPD ja nur ein Indiz ist, nicht löst, dass es in der Bevölkerung einen Bedarf gibt für eine völkische, rassistische, antisemitische, nationalistische Propaganda. Die NPD wird ja nicht gewählt, weil sie besonders schöne Plakate hat, sondern weil die Leute das, was auf den Plakaten steht, für eine vernünftige Aussage halten oder zumindest für eine glaubwürdige Schuldzuweisung. Was die NPD mit diesen Briefen jetzt an migrantische Bundestagskandidaten bezweckt, ist natürlich eine kalkulierte Provokation. Sie will in die Medien kommen, sie möchte Aufmerksamkeit erregen. Sie versucht, dadurch ihre Wähler zu mobilisieren. Das, was Demokraten empört, dass dort Leute, die als Deutsche hier seit Langem leben, ausgegrenzt werden – bei einem Teil der Bevölkerung und bei der NPD-Wählerschaft, da wirkt so was natürlich mobilisierend. Die sollen mit solchen Kampagnen kurz vor der Wahl, mit solchen Provokationen dann zur Wahl gebracht werden.

Timm: Es gibt ja auch viele, die sagen, je mehr man darüber redet, desto gefährlicher wird es, durchaus Prominente, Bundesbauminister Tiefensee gehört dazu, langjähriger Bürgermeister von Leipzig. Wenn man dem Glauben schenkte, würden wir hier gerade einen Fehler machen.

Staud: Ich glaube, die NPD und die anderen Rechtsextremisten sind längst so stark, dass wir sie gar nicht mehr hochreden können. Wenn sie in Löcknitz unterwegs sind oder anderen Gegenden in der Sächsischen Schweiz, in den Gemeinden Erzgebirge, im Leipziger Umland – da gibt es Gegenden, da sind die längst verankert, da haben sie Propagandamittel, geben sie eigene Zeitungen heraus. Sie erreichen längst selbst die Bürger. Wenn man da nicht über deren Ideologie spricht, über deren Parolen spricht, darüber aufklärt, dann überlässt man ihnen das Feld und es sollte auch für Demokraten ein Grundprinzip sein: Mein Gemeinwesen ist für alle da, für alle Menschen, hier haben demokratische Grundstandards zu gelten und wer sich dagegen ausspricht – und das tut die NPD in ihrem Programm –, der gehört hier nicht hin und der gehört bekämpft. Aber eben in der Tat gibt es einige Bürgermeister, gerade im Osten, aber nicht nur dort, die immer noch glauben, Aussitzen sei das Beste. Beim Thema NPD wird das nicht helfen. Die sind da und die bleiben auch da, die arbeiten längerfristig als manch anderer Politiker, der nur von Wahltermin zu Wahltermin denkt.

Timm: Andererseits gibt es doch einiges, was hoffen lässt. Bei der Bundestagswahl wird die NPD aller Voraussicht nach unter ferner liefen landen. Nach den Landtagswahlen kürzlich in Sachsen sitzt die NPD zwar immer noch im Dresdner Landesparlament, sie hat aber ein Drittel der Stimmen verloren und pleite ist sie nach dem Finanzskandal sowieso. Gibt es nicht auch Anlass für Gelassenheit?

Staud: Die NPD ist nicht pleite. Die NPD bekommt weiter, Vierteljahr für Vierteljahr, vom Bundestag Geld, sie hat vor Gericht sich erstritten, dass sie weiter Anspruch auf das Geld hat, und selbst wenn sie Sachen zurückzahlen muss, hat sie, laut Gesetz, Anspruch auf einen Stundungsplan, der ihre Existenz nicht gefährdet. Die NPD war schon mehrfach in den letzten 45 Jahren ihres Bestehens überschuldet, aber mit ihren derzeit 7000 Mitgliedern schafft sie es immer wieder, sich aus dem Tal hervorzuarbeiten. In Sachsen hat die NPD geschafft, was sie noch nie in ihrer Geschichte geschafft hat: in einen Landtag wieder einzuziehen. Wenn wir uns erinnern, vor vier Jahren sagten alle: Das ist ein einmaliges Ergebnis, das hat mit Hartz-IV-Protesten zu tun, das kommt nie wieder, das sind Protestwähler. Das Gegenteil ist der Fall, die NPD hat dort einen Wählerstamm, ist locker über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen. Sie hat sich festgekrallt dort in den Regionen, und da wird sie, wenn man ihr nicht auch politisch entgegentritt, dann wird sie da auch bleiben, da bin ich mir sicher. Aber klar, bei der Bundestagswahl, bei bundesweiten Wahlen hat so eine Partei natürlich keine Chance. Sie hat jetzt erst mal das Ziel, die DVU klein zu machen, die DVU aus dem Landtag in Brandenburg rauszukegeln, um dann in den nächsten Jahren die einzige rechtsextremistische Partei von Bedeutung zu sein.

Timm: Bei der Bundestagswahl spielt sie keine Rolle, aber in einigen ländlichen Gegenden der neuen Bundesländer ist die NPD eine ganz normale Partei – also kein Anlass für Gelassenheit, sagt Toralf Staud, der Rechtsextremismusexperte. Vielen Dank für das Gespräch!

Staud: Ich danke Ihnen!