"Fasching" in Wien

Das debile Dorf

Anna Badora bei der Pressekonferenz zum Volkstheater Wien Spielprogramm 2015/16 in der Roten Bar im Volkstheater, aufgenommen am 07.05.2015.
Anna Badora bei der Pressekonferenz zum Spielprogramm 2015/16 in der Roten Bar des Volkstheaters Wien © imago / Future Image
Von Michael Laages · 05.09.2015
Die österreichische Erstaufführung von "Fasching" eröffnete am Volkstheater Wien die neue Spielzeit. Den Roman von Gerhard Fritsch hat die neue Intendantin Anna Badora für die Bühne adaptiert - und selbst inszeniert.
Auf drei Ebenen steigt der Autor Gerhard Fritsch Mitte der 60er-Jahre, 20 Jahre also nach dem Krieg, hinab in die jüngste Vergangenheit. Zum vorletzten Aufgebot noch (und während Zwangsarbeiter den "Ostwall" aufbauen müssen gegen die heran stürmende Rote Armee) ist der 17-jährige Felix gerade eingezogen worden zu den Soldaten, die im hintersten Winkel der Steiermark den deutschen Faschismus verteidigen sollen; er desertiert und wird in Frauenkleidern versteckt im Haus der örtlichen Baronin, einer Generalswitwe.
Als Mädchen (und mit weiblichen Waffen) schafft es der Junge, die Zerstörung des Dorfes durch die Russen zu verhindern – was ihm dessen bräsig-biederen Bewohner nie verzeihen. Sie verpfeifen ihn an die Russen, die ihn zehn Jahre lang in Kriegsgefangenschaft nehmen. Danach kehrt Felix zurück, um das Fotogeschäft des alten Lehrmeisters (und vermeintlich schwulen Verehrers) Wazurak zu übernehmen – und das Dorf zwingt ihn fast wie in einem Pogrom zurück in die Mädchen-Rolle; weil gerade "Fasching" ist.
Der Wiener Autor Gerhard Fritsch (der sich 1969, mit nur 45 Jahren, das Leben nahm) fügt dem "Fasching"-Roman noch eine Ebene hinzu – Felix, das Kind, und Felix, der Alte, reflektieren das Grauen und die Traumata, die der Heimkehrer Felix Golub durchlebt hat. Anna Badora setzt beim neuerlichen Versuch mit dem Fritsch-Roman (nach der Uraufführung vor mehr als Jahresfrist in Leipzig) für diese Reminiszenzen auf einen Puppenspieler, der die zentrale Hauptfigur verdoppelt. Die Inszenierung zum Auftakt von Badoras Intendanz am Wiener Volkstheater gewinnt so an Tiefe; das Nachkriegspanorama, in sehr poetischer Sprache gehalten, beginnt über sich selber hinaus zu weisen.
Mörderische Energie der Faschingsgemeinschaft
Das ist auch gut so. Denn die Passion des jungen Mannes wie der Maskenball der Monstren dieses Dorfes leidet auch ein wenig unter chronischer Vorhersehbarkeit. 60er-Literatur halt; Täter und Opfer sind immer klar zu unterscheiden - hier der junge Deserteur, dort die zwielichtige Baronin (die eher einen Lust-Gespielen sucht), der alternde Fotograf (der – wie wir später erfahren – gar nicht schwul ist, sondern alles der verehrten Baronin zuliebe tat) und die Dorf- und Faschingsgemeinschaft, die in psychopathischer Verblendung auf "Pflichterfüllung" beharrt, auch für die Barbarei des Faschismus. Vielleicht sind sie nicht mal echte Nazis dort in der hintersten Steiermark – aber mit tendenziell mörderischer Energie verfolgen sie alles, was fremd ist und "anders" als sie. Wer sich nicht anpasst, ist zur Jagd, zum Abschuss freigegeben.
Das Perfide dabei: Felix, der Retter (und "Verräter" für's debile Dorf), will sich unbedingt anpassen, will "Kleinbürger sein"; nur die Geschichte umlügen will er nicht. Und die junge Verlobte, die er mitbringt, agiert noch viel opportunistischer als er. Aber selbst das ist nicht genug.
Dorfhexe mit abseitigen Wünschen
Michael Simon hat Treiben und Trubel vom Nachkriegs-Fasching vor allem in einen bühnenhoch-beweglichen Bilderrahmen gefasst. So stiftet er im Gewimmel des Romans starke Orientierung. Und mit der gerade zur "Schauspielerin des Jahres" gekürten Stefanie Reinsperger in der Rolle von Felix' Verlobter bekommt die Aufführung ein starkes Nebenzentrum; während Nils Rovira-Munoz als schmales Handtuch namens Felix (und obendrein im knallroten Tarn-Kostüm des Mädchens "Charlotte") ein wenig überfordert wirkt. Kraftkern der Inszenierung wird so Adele Neubauer, als Generalswitwe und Baronin eine Art Dorfhexe mit leicht abseitigen Wünschen und Visionen.
Anna Badora, über Mainz und Düsseldorf und schließlich aus Graz nach Wien gekommen, legt einen durchaus starken Start hin; mit dem Engagement von Reinsperger und dem Regie-Kollegen Dusan David Parizek hat sie geschickt Personalpolitik betrieben. Auch Yael Ronen aus Berlin ist mit im Volkstheater-Team. Die Intendantin hat wohl tatsächlich das mächtige Burgtheater als Konkurrenz ins Visier genommen, das "Theater des Jahres". Gut so.
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