Farbfotos ohne Farbe

13.08.2013
Harald Hauswald dokumentierte das Leben vor dem Mauerfall. Seine Porträts und Alltagsaufnahmen aus den 1980er-Jahren fangen die Ernüchterung am Ende der DDR ein. Es sind fotografische Erinnerungen von unschätzbarem Wert.
Wir sehen eine diesige Dorfstraße im Oderbruch, Kopfsteinpflaster, ein Radfahrer, ein alter Mann auf dem Gehweg und eine Frau mit Kittelschürze vor dem Ladeneingang. Die Blicke der Menschen sind auf die gegenüberliegende Straßenseite gerichtet. Was sie anzieht, sehen wir nicht, aber es spricht nichts dafür, dass sich hier Aufregendes abspielt.

Die Zeit steht still in dieser Straße und auf dem Marktplatz in Beeskow und auf dem Bahnhof in Oybin in der Oberlausitz und auf dem Friedhof in Berlin-Mitte, der an die Mauer grenzt. Die Menschen warten vor der Fleischerei im Prenzlauer Berg, schauen auf einen Schaufensteraushang mit dem Titel "Unsere Offerte", schleppen Einkaufstaschen vor ruinösen Häuserwänden in Leipzig, schleppen oder schippen Kohlen. Wir sehen einen winterlich leeren Dorfplatz mit flüchtigem Fahrradfahrer und einer großen weißen Werbetafel mit roten Lettern: "Es lebe der proletarische Internationalismus!" – ein bizarrer Kontrast.

Momentaufnahmen aus einem Land, das heute so fern scheint wie die Rückseite des Mondes. "Ferner Osten – die letzten Jahre der DDR", das ist ein wunderbarer Titel für diesen Bildband des Fotografen Harald Hauswald, der mit seinen dokumentarischen Schwarz-Weiß-Fotografien aus der DDR in Ost und West bekannt geworden ist. In diesem im Frühjahr erschienenen Band präsentiert Hauswald die kaum bekannten Farbaufnahmen, die er in den späten Jahren der DDR gemacht hat.

1986-1990: Es war die Zeit, als die SED-Herren noch stur daran festhielten, dass sich nichts ändern sollte, dass die Tapeten nicht gewechselt werden sollten, während der Putz bröckelte und die Mauern einfielen. Fast möchte man sagen: Es sind Farbfotos ohne Farbe, weil im realen Sozialismus in den späten Jahren alles ergraute. Wer die Fotos sieht, muss keine Abhandlung über die späten 80er-Jahre der DDR lesen: Man sieht, dass der Menschheitstraum, der einst geträumt wurde, ausgeträumt ist.

Dass die Realität jede propagandistische Parole Lügen straft und dass nicht einmal die Ordner des Systems noch daran glauben, dass sie den besseren Staat verteidigen. Die Kohlenschlepper, die Feierabendbiertrinker, die spielenden Kinder und die alten Leute: Sie sind fast alle gezeichnet von der Beschwerlichkeit und Ärmlichkeit des Lebens. Aber Hauswalds privates Umfeld produziert auch ganz andere Bilder. Ser Prenzlauer Berg, in dem erkennbar neue Lebensentwürfe erprobt werden, Aufbrüche in eine neue Zeit, die am Ende des Buches anbricht, als Transparente die Kulisse vor dem Palast der Republik beherrschen.

Hauswalds jüngstes, Anfang Juli erschienenes Buch ist wieder ein Schwarz-Weiß-Band, das sich dem "Alltag im Osten" widmet. Erneut eine Fundgrube für Menschen, die sich die Zeit nehmen, die Porträts - im Wesentlichen sind es ja Momentaufnahmen aus dem Alltag der Menschen - in Ruhe zu studieren. Allerdings hat das Buch eine Schlagseite: "Alltag im Osten" spielt sich allzu sehr in Hauswalds Umgebung, in Prenzlauer Berg und in Berlin-Mitte, ab. Hauswald geht ab und an auf Reisen, aber letztlich ist der Osten, den er fotografisch einfängt, räumlich sehr begrenzt. Zu Recht verweist das Vorwort darauf, dass der Fotograf "seine eigene Sicht auf das Land und das Leben in der DDR" hat, aber der Buchtitel führt ein wenig in die Irre. Nichtsdestotrotz – diese fotografischen Erinnerungen sind von unschätzbarem Wert, um das Gespür für die eigenartige Welt der DDR zu erhalten.

Besprochen von Winfried Sträter

Harald Hauswald: Ferner Osten. Die letzten Jahre der DDR
Lehmstedt Verlag, Leipzig 2013
176 Seiten, 29,90 Euro

Harald Hauswald: Vor Zeiten. Alltag im Osten. Fotografien 1976-1990
Lehmstedt Verlag Leipzig 2013
245 Seiten, 29,90 Euro
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