Farben, Giftgas und Medikamente

Von Kay Müllges · 29.09.2011
Mit der Entwicklung neuer Farbstoffe für Bayer begann seine Karriere. Nach der Expansion der Firma baute Carl Duisberg das Werk in Leverkusen zu einer der größten Chemiefabriken der Welt aus, die nun auch Medikamente und im Ersten Weltkrieg Giftgas herstellte. 1925 war er maßgeblich an der Gründung der IG Farbenindustrie AG beteiligt.
Er sei der wichtigste Industrielle, den es je gegeben habe, schrieb die Londoner Times in ihrem Nachruf. In die Wiege gelegt war das Carl Duisberg nicht. Geboren wurde er am 29. September 1861 als Sohn eines kleinen Fabrikanten in Barmen. Sein Vater ließ dort Seidenbänder herstellen.

"Ich war bestimmt, Nachfolger meines Vaters zu werden. Ich aber lernte die Chemie kennen und habe mich dann entschlossen, Chemiker zu werden. Meine Mutter hat mir dabei geholfen. Meine Mutter, eine prachtvolle bergische, echt bergische Frau, die wirklich verdient, ganz besonders genannt zu werden."

Denn seine Mutter war mit dem Farbfabrikanten Friedrich Bayer zur Schule gegangen und verschaffte dem jungen Carl nach dem Studium in Bayers Firma eine Stelle. Duisbergs Aufgabe lautete: Erfindungen machen. Und der junge Chemiker stürzte sich mit Feuereifer in die Arbeit. Allein im Jahr 1885 entwickelte er drei neue Farbstoffe. Gleichzeitig setzte er die Errichtung eines großen Laboratoriums durch, das die damals unerhörte Summe von einer halben Million Mark kostete. Doch die Investition rechnete sich. Die Firma expandierte und stellte bald nicht nur Farben, sondern auch Medikamente her. Ein Teil der Produktion wurde nach Leverkusen-Wiesdorf ausgelagert und Duisberg übernahm die Planung des neuen Werkes:

"Die sämtlichen Hauptverkehrsstraßen zu Leverkusen sollten geradlinig und möglichst breit angelegt werden. Diese großen, gradzügigen Straßen sind dazu bestimmt, die einzelnen Betriebsabteilungen voneinander zu trennen. Schmalere und halb so breite Straßen zweigen von denselben ab und bewirken eine Trennung der einzelnen Betriebe einer jeden Abteilung."

Das Musterwerk in Leverkusen wird bald zu einer der größten Chemiefabriken der Welt. Seinen Arbeitern bietet es Werkswohnungen, ein Erholungshaus für Theater und Konzerte, ein Kaufhaus sowie zahlreiche Sport- und Musikvereine. Gewerkschaften allerdings sind ausdrücklich nicht erwünscht. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges macht der Expansion zunächst ein Ende. Der Export von synthetischen Farbstoffen, mit denen Bayer und andere Chemiekonzerne bislang gutes Geld verdient haben, wird verboten. Doch die chemische Industrie stellt schnell auf Kriegsmodus um. Nun produziert sie auf Anweisung der Obersten Heeresleitung Giftgas für den Stellungskrieg. Auch Duisberg, mittlerweile Generaldirektor von Bayer, beteiligt sich nach kurzem, anfänglichen Zögern daran. In Leverkusen wird nun unter anderem Phosgen produziert, ein Giftgas, dessen Wirkung ein Lehrbuch so beschreibt:

"Der Atem wird immer kürzer und stoßweiser, bis schließlich der Tod durch Ersticken eintritt. Das volle Bewusstsein bleibt auch bei dem schwersten Verlauf bis zum letzten Augenblick erhalten. Der Phosgentod ist also als ein ganz allmähliches Ertrinken im eigenen Blutserum aufzufassen."

Als Duisberg sich 1916 mit seinem Vorschlag durchsetzte, Zwangsarbeiter aus Belgien in Leverkusen einzusetzen, standen Bayer und das Deutsche Reich erneut am Pranger der Weltöffentlichkeit. Nachkriegswirren und Revolution überstand Duisberg dennoch unbeschadet. Und konnte bald an der Verwirklichung eines lang gehegten Traumes arbeiten. 1925 war er maßgeblich an der Gründung der IG Farbenindustrie AG beteiligt, einem Zusammenschluss der drei großen deutschen Chemieproduzenten Bayer, Hoechst und BASF sowie einiger kleinerer Firmen zum größten Chemiekonzern der Welt. Duisberg wurde Aufsichtsratsvorsitzender der IG Farben und im selben Jahr auch Vorsitzender des Reichsverbandes der deutschen Industrie. In seinem Denken blieb er, wie so viele Großbürger seiner Zeit, stramm konservativ und nationalistisch. Als ihm Anfang 1933 auf einem Festakt in Stuttgart der Ring der Auslandsdeutschen verliehen wurde, forderte er seine Landsleute zu patriotischer Gesinnung auf:

"Getreu dem tapferen Bekenntnis aus dem Munde eines Auslandsdeutschen: Was auch immer werde, steh zur Heimaterde, bleibe wurzelstark, kämpfe, blute, werbe, für dein höchstes Erbe siege oder sterbe, deutsch sei bis ins Mark."

Dabei war er kein Anhänger der Nationalsozialisten und hat auch nicht mehr erlebt, zu welchem Wahnsinn deren Politik führte. Carl Duisberg starb am 19. März 1935.

Mehr zum Thema auf dradio.de:

Chemie im Dienste Hitlers - Diarmuid Jeffreys: "Weltkonzern und Kriegskartell – Das zerstörerische Werk der IG Farben
Mehr zum Thema