Fankultur - Ungeliebte Bullen

Unterwegs mit den Fans von RB Leipzig

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RB-Fanblock © W.S. Treusch
Von Wolf-Sören Treusch  · 07.05.2017
Der Fußballklub RB Leipzig polarisiert. Toller Vollgas-Fußball schwärmen die einen. Alles nur erkauft schimpfen die anderen. Ganz schön anstrengend für die Anhänger. Unser Reporter hat Fans im Bus zum Auswärtsspiel begleitet.
Es ist 17 Uhr 44, seit 14 Minuten läuft das Sonntagsspiel der Fußball-Bundesliga zwischen Schalke 04 und RB Leipzig. 1.600 Fans haben die Mannschaft aus der sächsischen Metropole ins Ruhrgebiet begleitet. Sie stehen in der Südkurve im Gästeblock und singen ohne Unterlass. Bis zur 14. Minute. Da geht Leipzig durch ein Kopfballtor von Timo Werner mit 1:0 in Führung. Die RB-Fans sind schier aus dem Häuschen. Sie umarmen einander und brüllen und singen noch lauter.

Identitätsstiftender Retortenverein

Geliebt und gehasst. Das sind die beiden vorherrschenden Gefühle, mit denen die Fußball-Fans der Republik den Emporkömmling aus dem Sächsischen betrachten. Hier in der Kurve stehen die, die ihn lieben. Auch weil er den Menschen in ihrer Heimat ein neues Selbstwertgefühl gibt und ein großer Identitätsfaktor ist. Die anderen hassen ihn, weil er ein Retortenverein ist, aufgepumpt mit den Millionen eines österreichischen Brause-Milliardärs, der im Namen von Red Bull die wahren Werte des Fußballs verrät.
Neun Stunden zuvor, am Treffpunkt der RB-Fans in Leipzig, ist die Vorfreude auf die Auswärtsreise zum FC Schalke für einen kurzen Moment getrübt. Thomas, der Chef, der einen Bus für die Fahrt gechartert hat, ist sauer. Irgendjemand hat seinen Rucksack so heftig auf dem Boden abgesetzt, dass der "Pfeffi", die Flasche Pfefferminzlikör kaputt gegangen ist.
Kaum sitzen die Fans, fachsimpeln sie. Heute ein Sieg auf Schalke, ist einer überzeugt, und RB kann sogar noch Meister werden.
"Gerade der Hinweis, dass auch die Männer sich bitte hinsetzen sollen auf dem Klo, aber ich denke mal, das machen wir auch so, dass es nicht aussieht wie im Schweineladen dort ..."
So, zum Abschluss: Bier ist hinter der Küche, wenn jemand was will, wie immer Kasse des Vertrauens, ein Euro, dann habe ich noch ne große Bitte. Ich weiß, was im Bus alles mit ist, ne, an Getränken etc., seid bitte so lieb und gebt euch nicht schon vorher die Kante! ..."
Ein Wunsch, dem die Fußballfans während der gut sechsstündigen Fahrt bereitwillig folgen werden.
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Banner im Bus © W.S. Treusch

Erfolg bringt Neid mit sich

Im Fanbus zu einem Bundesligaspiel: für die Anhänger von RB Leipzig ist das immer noch ein bisschen ungewohnt. Es ist noch gar nicht so lange her, da fuhren sie zu Auswärtsspielen nach Neugersdorf oder Meuselwitz. Den Märchenhaften Aufstieg aus der fünftklassigen Oberliga ins Fußball-Oberhaus innerhalb von nur sieben Jahren verdankt der Klub den Millionenschweren Investitionen von Dietrich Mateschitz. 2009 suchte der Mitbegründer von Red Bull eine Marketing-Plattform für sein Getränk in Deutschland – und gründete den RB Leipzig. Weil der Deutsche Fußballbund die Nutzung des Markennamens untersagte, steht RB nun für Rasenballsport. Eine Erfolgsgeschichte, die von Beginn an die Neider auf den Plan rief.
"Es gibt ja im Osten viele sogenannte Traditionsvereine, die uns abgrundtief hassen, ob das nun Dynamo ist oder Lok Leipzig oder sonst dergleichen, und die sehen uns natürlich nicht als Ostmannschaft. Weil: Sponsor aus Österreich usw. usf. Die sehen uns als Konstrukt."
Peter, von Beruf Sonnendach-Mechatroniker, stellt aber auch fest: die Fans, die das "Konstrukt" RB Leipzig richtig gut finden, gibt es auch. Und es werden immer mehr.
"Die Fanszene muss wachsen, die muss reifen, die muss wachsen, und wir haben auch kein Problem damit, mit dem ganzen Kommerz. Stört uns nicht. Fußball ist nun mal Kommerz. Wenn ein Verein wie Borussia Dortmund an die Börse geht, das ist für mich auch Kommerz. Die vermarkten da nur ihre 'echte Liebe', vermarkten die. Und machen nichts anderes. Aber wir können mit dem Hass gut leben, was heißt gut leben – er ist nicht schön. Aber er schweißt uns zusammen. Wir halten enger zusammen, und es macht uns stärker irgendwo. Wie das überall auf der Welt so ist: wenn alle Welt gegen dich ist, dann rückst du enger zusammen."
Wagenburg-Mentalität nennen sie das.

Seit Dortmund sind sie enger zusammengerückt

Vor allem seit den Ereignissen von Dortmund ist die Gemeinschaft noch fester, das bestätigen alle Mitreisenden. Anfang Februar gab es heftige Ausschreitungen, als Dortmunder Fans die Besucher aus Leipzig mit Steinen und Flaschen bewarfen – etliche der Anwesenden erlebten die Angriffe hautnah mit.
"Mein Vater hat ´ne Ketchup-Flasche von oben bis unten abbekommen oder so ´nen Tablett gefüllt mit Senf und Ketchup, das hat er abbekommen, mein Bruder wurde bespuckt, meine Freundin wurde ... das will ich gar nicht im Radio sagen, solche Worte, betitelt, und wenn du dann noch zehn Bier getrunken hast auf dem Weg dorthin, oder acht, dann ist auch ein Level erreicht, wenn du dann immer wieder provoziert wirst ... Da gab es Leute, die haben sich gewehrt und die sind dann im Krankenhaus aufgewacht."
Im Stadion selbst hielten die BVB-Fans zahlreiche Spruchbänder mit Hassparolen in die Höhe – und verwandelten die berühmte 'gelbe Wand' in eine 'Wand der Schande', so die "Bild"-Zeitung. "RB hat ein Spiel verloren, Dortmund seine Ehre", so ein viel zitierter Post bei Facebook. Trotz der Geschehnisse werden die meisten Leipziger Fans wieder nach Dortmund fahren.
Und überhaupt, "Bullenschweine", "Kommerzratten" oder mit welchen Parolen auch immer sie angefeindet werden: so schlimm wie damals in der vierten und dritten Liga, vor allem in den Spielen gegen die Nachbarklubs aus dem Osten, ist es längst nicht mehr.
Aber es gibt sie noch, die "Anfeindungen". Auch heute wieder. Pfiffe der Schalke-Fans gegen Leipzigs Topp-Stürmer Timo Werner, der im Hinspiel einen völlig unberechtigten Elfmeter herausgeholt und anschließend auch noch selbst verwandelt hatte. Timo Werner selbst erledigt die Angelegenheit auf seine Weise. In der 14. Spielminute köpft er das 1:0 für seine Mannschaft und verzichtet anschließend auf jegliche Jubelpose. Von den Schalker Fans wird er zwar weiterhin ausgepfiffen, aber, wenn es so etwas überhaupt gibt: mit Respekt.
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Vorfreude aufs Spiel im Fanbus© W.S. Treusch
Die Reise zum Auswärtsspiel ist wie eine Klassenfahrt. Wer schon einmal gesehen hat, mit welcher Power die junge Mannschaft des RB Leipzig in den Fußballstadien der Republik für Furore sorgt, ist erstaunt, wie ruhig und entspannt es bei ihren Anhängern im Bus zugeht.

Thomas, der Kümmerer

Thomas, der Chef, ist selbständig, sagt er, kann sich seine Zeit frei einteilen und macht, was anfällt. Zurzeit fährt er Lkw und Bagger. Zusammen mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar hat er den Fanclub vor drei Jahren gegründet. 105 Mitglieder sind es mittlerweile, von jung bis alt, Männer wie Frauen, viele Ehepaare, auch Kinder. Thomas kennt jeden und jede. Das ist ihm wichtig, sagt er, damit er weiß, wo er sie alle hin stecken kann. Er kümmert sich gern um die Mitglieder des Fanclubs, er mag es einfach.
"Du hast hier ganz viele zusammen. Die jungschen Schnaken hier, die gerade mal 17 sind, dann hier unsere älteren Generationen, mit denen kannst du auch mal über alles Mögliche mal quatschen. Wann hast du schon mal die Zeit? Die gehen alle arbeiten, haben alle unsere eigenen Probleme, und hier in so einem Bus kannst du mal abschalten. Deswegen machst du ein Fanclub. Wir sehen, dass wir uns vor dem Spiel auch immer noch treffen und noch quatschen und uns mal herzen, sagen 'hier, geht's dir gut, läuft alles und so?' Und das ist doch schön, oder?"
Je näher das Ziel rückt, desto mehr kommen die Fans nun auf Betriebstemperatur. Vor allem, als sie "ihre" Hymne mitsingen.
Zu DDR-Zeiten war Reiner Anhänger von Chemie Leipzig. Doch 2002 meldete der Nachfolgeklub von Chemie, Sachsen Leipzig, Insolvenz an. Kurz zuvor war bereits der andere Traditionsklub, Lok Leipzig, Pleite gegangen. Beide Vereine aus der DDR-Oberliga waren endgültig am Boden, der Fußball in Leipzig lag in Trümmern. Als RB im Jahr 2009 sein Projekt startete, war die Sehnsucht der Leipziger groß, dass der Fußball in ihrer Stadt irgendwann mal wieder erstklassig sein würde. Das wollten damals zwar die wenigsten zugeben, aber heute sind die Fans froh, endlich wieder eine große Nummer im Fußball zu sein.
"Wir haben ja viel durchgemacht nach der Wende, das ist ja heutzutage noch so, dass wir als Deutsche, ich sage es mal bösartig, zweiter Klasse gelten. Das geht damit los, dass wir 30 Jahre nach der Wende immer noch weniger verdienen wie im Westen für die gleiche Arbeit, die Renten niedriger sind, aber Mieten, Preise usw. teilweise schon höher sind, der Osten, gerade die Region Leipzig zahlt den höchsten Strompreis in ganz Deutschland. Das sind alles so Geschichten, wo der Ossi, ich nenne es mal Ossi, weil: ich mag die Begriffe 'Wessi', 'Ossi' eigentlich nicht mehr, aber wo die Menschen wieder froh sind, eine Identität zu finden. Und sagen: hier können wir uns finden, jetzt simmer wieder wer. Dieses Stück Selbstwertgefühl, was es hier gibt. Und sei es durch einen Fußballklub."

Heiratsantrag im Stadion

Wie zum Beweis zückt Peter nun sein Smartphone. Auf dessen Schutzhülle prangt das Logo vom Rasenballsport. Er will unbedingt ein Foto zeigen, das er vor anderthalb Jahren geschossen hat.
"Ja, ich habe meiner Frau einen Antrag, einen Hochzeitsantrag im Stadion gemacht, mit großem Transparent auf der anderen Seite, das war schon ein emotionaler Moment. Gegen Düsseldorf haben wir 3:1 gewonnen. Weiß ich noch. 'Willst du mich heiraten, Ines?' In Sektor D habe ich es ausrollen lassen. Das war nicht ganz einfach, weil: das musst du alles genehmigen lassen beim Verein. Medienrechtlich und so, musst du alles genehmigen lassen. Gibt's kein Transparent, was unkontrolliert rein kommt. So was wie in Dortmund in der Südkurve wird bei uns nicht passieren."
Fußball-Romantik pur in Leipzig. Da sage noch einer, die RB-Fans hätten keinen Sinn für Pathos und Traditionen. Ines, Peters heutige Ehefrau, sitzt neben ihm und hat die ganze Zeit fast ein wenig gelangweilt aus dem Fenster geschaut. Mit einem Mal ist die Gänsehaut von damals wieder da.
"Er sagte nur: 'Schatz, dreh dich mal rum, da drüben'. Ich dachte: na klar, der Block füllt sich langsam, alles schick. Plötzlich rollte dann dieses Plakat dort auf. Was soll man da denken, da kann man nicht mehr denken, da kriegst du nur große Augen, fängst du an zu heulen, und dann war's das."
Plötzlich – wie auf ein geheimes Kommando – fängt die erste Reihe an zu hüpfen. Fabi, der Junge mit dem Handicap, beginnt. Nach und nach folgen die weiteren zwölf Reihen. Alle 47 Fans machen mit und erheben sich von den Sitzen, wenn sie an der Reihe sind. Es ist ein Ritual. Warmhüpfen fürs Spiel. Schalke kann kommen.
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Misstrauen - gibt es wieder Ausschreitungen?© W.S. Treusch
Kaum angekommen, marschieren die Leipziger Fans in kleinen Grüppchen zum Stadion. Wagenburg-Mentalität? Fehlanzeige.
Peter ist mulmig zumute, weiß nicht, was ihn auf dem kurzen Fußmarsch ins Stadion erwartet. Endlich gehen sie los und überlassen den Parkplatz einem alten, gebückten Flaschensammler. Dann die Entwarnung: der Weg zum Stadion ist frei. Hier und da ein Polizist, nirgendwo ein Schalke-Fan.

Mit Selbstironie gegen Häme

Es wird ein angenehmer Nachmittag für die 1.600 Besucher aus Leipzig. Gerne lassen sie sich von den Anheizern mit dem Megaphon antreiben, in der ersten Halbzeit singen sie ohne Unterlass. Die üblichen Beleidigungen als 'rote Bullenschweine' kontern sie mit einem kräftigen Schuss Selbstironie.
"Wir sind Schweine, Rote-Bullen-Schweine, wir zahlen keinen Eintritt und trinken Champagner statt Bier."
Das Spiel endet unentschieden, aus den Nachbarblöcken kommen ein paar nicht ganz leer getrunkene Bierbecher geflogen. Für einen kurzen, aber wirklich ganz kurzen Moment macht es den Eindruck, die friedvolle Stimmung könnte kippen.
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RB-Fanblock in Gelsenkirchen© W.S. Treusch
Auf den ersten Kilometern der Heimfahrt ist es weitgehend ruhig. Die Fans sind müde, sie haben alles gegeben. Die meisten von ihnen blicken auf den Bildschirm ihres Smartphones. Lesen erste Spielberichte oder schauen Videos der Tore. Nur wenige blicken aus dem Fenster. Dort taucht die untergehende Sonne die Landschaft in ein dramatisches Licht. Einzelne Schornsteine ragen wie Mahnmale heraus – Ruhrpott-Romantik pur. Als plötzlich die Flutlicht-Masten des Stadions von Borussia Dortmund erscheinen, stöhnen einige auf. So ganz sind die Wunden der Vergangenheit noch nicht verheilt.
Nach einer guten halben Stunde singen sie wieder. Vorbei ist es mit der ersten Enttäuschung. Allen ist klar: das war es mit der Meisterschaft, jetzt sind die Bayern nicht mehr einzuholen. Dafür ist die Champions League sicher.

Selfie an der Tankstelle

Um Mitternacht gibt es noch einmal eine Rast: in the middle of nowhere, im thüringischen Eichsfeld. Ein Dutzend RB-Fans posiert für ein letztes Foto und stellt es sofort ins Netz. Das orangefarbene Licht der Tankstelle verleiht ihren rot-weißen Trikots einen bizarren Schimmer. Im Halbdunkel steht einer von ihnen und pinkelt ins Gebüsch. Drum herum ist nichts – ein irres Bild.
Die letzten zwei Stunden Fahrt vergehen wie im Flug. Fast alle schlafen, viele müssen morgen früh zur Schule oder arbeiten. Um Punkt zwei Uhr in der Nacht erreicht der Bus den Leipziger Hauptbahnhof. Rasch verabschieden sich die Fans, innerhalb von zwei Minuten ist der Bus leer. Das Bier nicht – eine halbe Kiste ist übrig geblieben. Vor dem Eingang zum Hauptbahnhof steht ein Zeitungsverkäufer. Unter dem Arm trägt er das Blatt mit den vier Buchstaben. Die Schlagzeile lautet: "1:1. Werner bringt Schalke-Pöbler zum Schweigen".

Manuskript zur Sendung als PDF-Dokument oder im barrierefreien Textformat


Wolf-Sören Treusch: "50 Jahre bin ich schon Fußballfan. Aber auf einer echten Fanfahrt, so richtig mit Bus, Bier und Ballermannmusik, war ich tatsächlich noch nie dabei. Mein Auftrag: Wie fühlt sich das an, wenn du Fan eines Klubs bist und so viele andere Fans in Deutschland können dich nicht leiden?"
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Wolf-Sören Treusch © privat

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