Familienroman

Hommage an den französischen Bergbau

Französische Bergarbeiter
Die ehemalige französische Kulturministerin Aurélie Filippetti hat den Bergleuten im Norden Lothringens eine Stimme gegeben. Das letzte Stück Kohle in der Grube La Houve II wurde 20004 gefördert. © picture alliance / dpa / Foto: epa Sipa
Von Anne Christine Heckmann · 22.01.2015
Der Bergbau gab den Menschen in Nordfrankreich einst Identität und Halt, die Hochöfen in Lothringen begründeten mit den heutigen Wohlstand Frankreichs. Mit dem Buch "Das Ende der Arbeiterklasse" erinnert die ehemalige französische Kulturministerin, Aurélie Filippetti, daran.
Die Hochöfen sind erkaltet. Die Fördertürme stehen still. Die Fabrikhallen verfallen. Die Reihenhäuser, in denen die Arbeiter wohnten, sind längst verkauft. Von der einst blühenden Industrie im lothringischen Norden bleibt nur ein Phantom zurück.
Vergessen ist die Zeit, als Arbeiter hier mit Stolz und Schweiß Stahl erzeugt und Kohle gefördert haben. Die lothringische Abgeordnete und ehemalige französische Kulturministerin Aurélie Filippetti gibt den Bergleuten und Stahlarbeitern eine Stimme.
"Die Geschichte hat diejenigen nicht ausreichend anerkannt, die in den Gruben und Fabriken in den 50er- bis 70er-Jahren gearbeitet haben. Aber es ist ihr Verdienst, dass Frankreich, ja Europa, sich nach dem Krieg wieder erholt hat."
Filippetti beschreibt eine Generation, der die Arbeit Würde gab. Männer, die im Kampf für Rohstoffe über und unter Tage ihre ganze Kraft ließen und nie gewürdigt wurden. Ein Industriezweig, der schließlich unterging. Eine Welt für sich. Eine Welt, in der die 41-jährige Autorin aufgewachsen ist. Tochter italienischer Einwanderer, Mädchen einer Bergarbeiter-Familie.
"Natürlich hat mich meine Familien-Geschichte inspiriert. Aber ich wollte keine Familien-Saga schreiben. Es ist eine zerbrochene Epoche, eine schwierige Zeit, ja eine Tragödie, die Lothringen erlebt hat. Ein Roman hätte die Brutalität dieser Geschichte womöglich ausradiert."
Sprünge durch Raum und Zeit
Zwischen Fiktion und Dokumentation, in kurzen eigenständigen Szenen, erzählt Filippetti die Geschichte ihrer Familie. Rückblenden, Perspektivwechsel und Sprünge durch Raum und Zeit verwirren zunächst. Doch das nimmt die Autorin ganz bewusst in Kauf: Denn es geht hier nicht um die Geschichte der Filippettis. Sie stehen nur stellvertretend für alle Bergmanns- und Arbeiterfamilien in Lothringen, eine Generation geprägt von Kohle und Stahl.
Kommunisten und Sozialisten, mit Klassenbewusstsein, die für ihre Arbeiterrechte kämpften. Ein Milieu, eine Geschichte, die Filippetti nicht loslässt. Ihre Großeltern kommen aus Italien nach Lothringen, angelockt durch den Kohleboom. Tommaso, der Großvater, Mitglied der Résistance, wird unter Tage von der Gestapo verhaftet. Angelo, der Sohn, tritt die Nachfolge als Bergarbeiter an, schließt sich den Kommunisten an, wird Bürgermeister. Er stirbt an Lungenkrebs im Jahr als die letzte Grube dicht gemacht wird.
"Ich wollte ihnen eine Stimme geben. Ihnen das zurückgeben, was sie mir gegeben haben. Ich hatte das Glück, rauszukommen, zu studieren. Und das habe ich ihnen zu verdanken, weil sie sich für ihre Kinder eine bessere Zukunft gewünscht haben. Deshalb wollte ich ihnen was zurückgeben."
Würde, Stolz und einen Platz im kollektiven Gedächtnis Frankreichs. Aurélie Filippetti hat keine Heldensaga geschrieben. Es ist ein melancholischer Nachruf auf die lothringische Arbeiterklasse.

Aurélie Filippetti: "Das Ende der Arbeiterklasse"
Aus dem Französischen von Angela Sanmann
S. Fischer Verlag, 2014
192 Seiten, 18,99 Euro

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