Familienmodell Co-Parenting

Design-Familien ohne Sex und Romantik?

Gianni Bettucci und Christine Wagner: Die beiden haben eine gemeinsame Tochter, sind aber kein Paar; Aufnahme vom Februar 2016
Gianni Bettucci und Christine Wagner: Die beiden haben eine gemeinsame Tochter, sind aber kein Paar; Aufnahme vom Februar 2016 © picture alliance / dpa
Sabine Walper im Gespräch mit Ute Welty · 02.04.2016
Kinder ja, Liebe nein: Gemeinsame Elternschaft ohne Paarbeziehung ist eine neue Option, sich den Kinderwunsch zu erfüllen. Zwei Menschen tun sich zusammen, bekommen ein Baby und ziehen es groß - allerdings als Freunde, nicht als Liebespaar. Jugendforscherin Sabine Walper gibt dem Modell Chancen.
Die Jugendforscherin Sabine Walper hält sogenanntes Co-Parenting, als neue Möglichkeit gemeinsamer Elternschaft ohne Paarbeziehung, für eine Option mit Chancen.
"Das könnte durchaus funktionieren", sagte Walper im Deutschlandradio Kultur über die neue Variante, sich den Kinderwunsch zu erfüllen und auch langfristig den Nachwuchs als Team zu betreuen, obwohl die Partner nie ein Liebespaar waren und sich speziell für ihren Kinderwunsch zusammengetan haben.

Eine Art der Vernunft-Ehe

Aus der Partnerschaftsforschung sei bekannt, dass es hilfreich sei, wenn Ehen auch auf einem freundschaftlichen Verhältnis gegründet seien und großes Vertrauen und große Kooperationsbereitschaft vorhanden sei. Sollte dies auch in einer solchen neuen Form der "Vernunft-Ehe oder Vernunftpartnerschaft" gegeben sein, könnte die neue Familienvariante "durchaus auch ein passender Rahmen für Elternschaft darstellen", erklärte die Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München.
Das Modell entspreche dem Trend hin zur neuen Formen der Partnersuche etwa über Internetbörsen. Auch Enttäuschungen in der Partnerschaft führten möglicherweise zur Suche nach alternativen Formen.
"Es zeigt zumindest, dass es alles nicht so einfach ist mit der Liebe, mit der Partnerwahl. Offensichtlich ist das ein Weg, auf dem man versucht, seinen Kinderwunsch zu erfüllen, da wo es mit der Partnerschaft auf Anhieb nicht geklappt hat."

Das Kind im Vordergrund

Interessant an dem neuen Modell sei die dahinterstehende Frage, ob es nicht vielleicht den Kindern zugute kommt, "wenn die Eltern ihre eigenen Glückswünsche in der Partnerschaft ein bisschen herunterschrauben und stärker in den Vordergrund stellen, worum es dann geht, wenn man Kinder großzieht: Dass man halbwegs gut miteinander kooperiert und ansonsten diese Aufgaben rund um das Kind in den Vordergrund stellt", erklärte Walper.
Ob eine solche Familienkonstellation unter Verzicht auf Romantik und Liebe als neue Form der Elternschaft tatsächlich langfristig tragfähig sei, bleibe aber abzuwarten.
"Das ist ja eine lange Wegstrecke, die man zu gehen hat, bis die Kinder wirklich nicht nur aus dem Haus, sondern wirklich auf eigenen Füßen sind. Und ob diese Kooperationsbeziehung so lang wirklich gut trägt oder ob nicht doch unterwegs der Partnerwunsch so stark ist, dass man sich was anderes sucht, bei dem die Sache mit der Liebe besser klappt, das werden wir sicher über die Zeit hinweg beobachten müssen."

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Vater, Mutter, Kind und bis der Tod euch scheidet – das Leben war mal so richtig schön übersichtlich. Inzwischen aber etablieren sich immer mehr Formen von Beziehung, dazu gehört auch, dass Mann und Frau gemeinsam Eltern werden, ohne tatsächlich ein Paar zu sein. Co-Parenting nennt sich diese Form, und die Interessierten finden sich, wie sollte es anders sein, im Internet zusammen. In den USA sollen bereits mehrere Tausend solcher Familien existieren. Erste Erkenntnisse über eine ziemlich neue Lebensform sammelt auch das Deutsche Jugendinstitut, und Forschungsdirektorin dort ist Sabine Walper. Guten Morgen!
Sabine Walper: Guten Morgen!
Welty: Ein gemeinsames Kind galt und gilt immer noch als der ultimative Liebesbeweis, und jetzt gehen Menschen hin und sagen, ich will ein Kind, aber ich verzichte auf die Liebesbeziehung. Kann das tatsächlich funktionieren?

"Seinen Kinderwunsch erfüllen, wo es mit der Partnerschaft nicht geklappt hat"

Walper: Ja, es zeigt uns zumindest, dass es alles nicht so einfach ist – mit der Liebe, mit der Partnerwahl. Das zeigen uns ja auch die vielen Internetbörsen, die sich aufgemacht haben, den Singles ihren Partnerwunsch zu erfüllen, und offensichtlich ist das jetzt auch ein Weg, auf dem man versucht, seinen Kinderwunsch zu erfüllen, da wo es mit der Partnerschaft auf den ersten Anhieb nicht geklappt hat.
Welty: Unserer Vorstellung von Romantik läuft das aber extrem zuwider, oder?
Walper: Ja, das ganz sicherlich, weil wir schon noch sehr stark mit dem Bild leben, und das ist ja auch nicht ganz verkehrt, dass es wichtig ist, erst mal die Partnerschaft zu erden und denjenigen zu finden, mit dem man dann auch so gut gerüstet ist in der Beziehung, dass man die diversen Wirrnisse des Lebens gut übersteht. Und gerade Kinder großzuziehen, ist ja durchaus eine anstrengende Angelegenheit, in der es sehr gut ist und ganz entscheidend ist, auch den Rückhalt zu haben von einem Partner, der sozusagen auf der gleichen Linie schwimmt wie man selber.
Welty: Das heißt aber doch, Beziehung im 21. Jahrhundert ist eigentlich gar nicht mehr romantisch. Vielleicht war Beziehung auch überhaupt nicht mehr romantisch.
Walper: Ja, wir haben sicherlich eine Phase gehabt, aber die ist schon noch sehr, sehr stark, wo das Gefühl in der Beziehung ganz vorne steht, und eigentlich tut es das bei uns auch nach wie vor. Deshalb haben wir auch sicherlich zum Teil so hohe Trennungsraten, nämlich da, wo zwar vielleicht die äußeren Lebensverhältnisse ganz ordentlich sind, aber die Liebe nicht mehr stimmt. Und für uns ist das schon noch der Lackmustest, ob die Partnerschaft denn tragfähig ist oder nicht. Sich damit zu begnügen, dass jemand an der Seite ist, den man nicht wirklich liebt, das fällt auch vielen schwer.
Welty: Kann für ein solch großes Projekt wie Kindererziehung es vielleicht auch hilfreich sein, wenn das Paar oder die Eltern die eigene Beziehung ein bisschen ausklammern, wenn die Liebe zwischen diesen beiden Menschen oder die vielleicht dann nicht existierende Liebe ja nicht das Thema ist, sondern man konzentriert sich aufs Kind?

"Eine Art Vernunftehe oder Vernunftpartnerschaft"

Walper: Das ist eine wirklich interessante Frage, denn das, was dahintersteht, ist ja, kommt es den Kindern nicht vielleicht zugute, wenn die Eltern so ihre eigenen Glückswünsche in der Partnerschaft ein bisschen runterschrauben und stärker in den Vordergrund stellen, worum es dann geht, wenn man Kinder großzieht, nämlich dass man halbwegs gut miteinander kooperiert und ansonsten wirklich diese Aufgaben rund um das Kind ganz stark in den Vordergrund stellt. Das könnte durchaus funktionieren. Wir wissen aus der Partnerschaftsforschung, dass es hilfreich ist, wenn Ehen also nicht nur sehr stark diesen emotionalen Faktor haben, sondern im Prinzip auf so was Ähnlichem wie Freundschaft gegründet sind, also wo ein großes Vertrauen da ist und eine große Kooperationsbereitschaft – das müsste man natürlich sehen, ob das in diesen Paarkonstellationen dann auch gegeben ist. Von daher könnte so eine Art Vernunftehe oder Vernunftpartnerschaft durchaus auch einen passenden Rahmen für Elternschaft darstellen. Inwieweit das dann letzten Endes funktioniert, wird man sicherlich sehen müssen, denn das ist ja doch eine lange Wegstrecke, die man zu gehen hat, bis die Kinder wirklich nicht nur aus dem Haus, sondern auch wirklich auf eigenen Füßen sind.
Welty: 18 Jahre plus.
Walper: Ja … und ob dann diese Kooperationsbeziehungen so lange wirklich gut tragen und ob nicht doch unterwegs dann der Partnerwunsch so stark ist, dass man sich lieber noch mal jemanden anders sucht, bei dem die Sache mit der Liebe besser klappt. Das werden wir sicherlich erst über die Zeit weg beobachten müssen.
Welty: Es war einmal Vater, Mutter, Kind und dann doch wieder nicht – darüber habe ich gesprochen mit Sabine Walper vom Deutschen Jugendinstitut. Danke für dieses Gespräch hier in "Studio 9"!
Walper: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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