Familienimperium mit Tabakwaren

Vorgestellt von Ernst Rommeney · 29.07.2007
Im Ersten Weltkrieg begann der Siegeszug der Zigarette und damit auch der Aufstieg der Familie Reemtsma. Der Historiker Erik Lindner erzählt nicht nur die Geschichte einer Familie, sondern auch der deutschen Zigarettenindustrie und erinnert an die einst bekanntesten unter tausend längst vergessenen Namen kleiner Manufakturen.
Der Vater, ein friesischer Großhändler, wechselte 1910 von der Zigarre zur Zigarette. In Erfurt kaufte er sich eine kleine Fabrik. Und obschon er die Marktchancen dieses noch wenig beachteten Tabakprodukts erkannte, beobachtete er skeptisch, wie rasant die drei Söhne den mittelständischen Betrieb zu einem Konzern ausbauten, zum Marktführer machten. Heute ist Reemtsma Nummer 3 im deutschen Tabakgeschäft und gehört seit 2002 zur britischen Imperial Tobacco Group. Die Familie dagegen hat sich zurückgezogen, engagiert sich mit ihrem Namen in sozialen und kulturellen Stiftungen.

Erik Lindner: "Ja, aus meiner Sicht eine der faszinierendsten Hamburger Unternehmerfamilien, eine Familie, die eben eine Spannweite besitzt von den unternehmerischen Typen der 20er, 30er Jahre bis hin zu Jan Phillip Reemtsma, eine Spannweite, die man sonst bei einer deutschen Unternehmerdynastie kaum finden wird."

Erik Lindner erzählt nicht nur die Geschichte einer Familie, sondern auch der deutschen Zigarettenindustrie, erinnert an die einst bekanntesten unter tausend längst vergessenen Namen kleiner Manufakturen, an ihre Standorte wie das moschee-ähnliche Yenidze-Gebäude in Dresden, und er beschreibt, wie aus der Tabakware ein Qualitätsprodukt für den Massenkonsum wurde.

Erik Lindner: "Zigarette ist überhaupt nichts Nebensächliches, sondern Zigarette ist ein unglaublich bedeutsames Produkt, gerade in Kriegszeiten und später auch in Nachkriegszeit. Das hat mich so fasziniert."

Die drei Brüder Reemtsma hatten einen Sinn für Innovation. Sie setzten auf maschinelle Fertigung ebenso wie auf Design und Werbung. Unter dem Logo des Stevens eines Wikingerschiffes schufen sie Geschmacksrichtungen wie R6 und Ernte 23.

Erik Lindner: "Die haben es aus meiner Sicht am besten verstanden, den Markenartikel Zigarette zu schaffen. Das heißt, sie haben ihren Zigaretten ein bestimmtes Image gegeben und dieses Markenspezifische haben die Reemtsmas zur Perfektion getrieben."

Nicht weniger perfekt organisierte Philipp F. Reemtsma, der Primus in der Geschäftsleitung, zahlreiche Firmenübernahmen. Er nutzte Inflation, Absatzkrisen, aber auch Steuerschulden anderer Unternehmen, um die Konzentration der Zigarettenindustrie voranzutreiben, zu sanieren, wie er es empfand.

Erik Lindner: "… so dass man dann eben 1933 und folgende Jahre sagen konnte, 65 Prozent der Zigaretten in Deutschland, die geraucht werden, stammen aus Fabrikation von Reemtsma und Tochterfirmen dieses Hauses aus Norddeutschland."

"Viele verstanden den Namen aber auch als Chiffre für erbarmungslosen Verdrängungswettbewerb und Ruin zahlloser kleinerer Hersteller."

Die Tabakhändler versuchten den Marktführer zu boykottieren. Die Presse machte Philipp Reemtsmas Strategie zum Skandal. Und er geriet unter Korruptionsverdacht, als er Steuerschulden gegen eine Standortgarantie für ein Werk in Baden-Baden tauschte. Die nationalsozialistische Parteibasis und die SA griffen die Vorwürfe auf und führten eine hartnäckige Kampagne gegen den Zigarettenkonzern. Und Reemtsma kaufte sich frei durch Spenden in Millionenhöhe, unter anderem an Herrmann Göring.

"Diese Annäherung entsprang nicht politischer Überzeugung, sondern vorrangig unternehmerischem Pragmatismus."

Er verhielt sich ambivalent, sicherte seinem Unternehmen den wirtschaftlichen Erfolg und avancierte zum einflussreichen Wirtschaftsführer im Dritten Reich. Philipp F. Reemtsma aber vermied es, von Arisierungen, der Enteignung jüdischer Geschäftsleute, zu profitieren. Jüdische Geschäftspartner und Mitarbeiter behandelte er finanziell fair und unterstützte ihren Weg ins Exil. An ihm blieb nach dem Kriege gleichwohl der Ruf haften, Profiteuer und Protegè der Nationalsozialisten gewesen zu sein.

"Jahrzehnte nach der Gründergeneration, die mit dem Tod der Brüder Philipp und Hermann in den Jahren 1959 und 1961 abtrat, hat der Name einen anderen Klang erhalten."

Jan Philipp Reemtsma, der spätgeborene Sohn des Unternehmenschefs, tritt nicht die Nachfolge an, verkauft Anfang der achtziger Jahre seinen Erbteil und gründet als Literatur- und Sozialwissenschaftler stattdessen ein Institut für Sozialforschung in Hamburg.

Erik Lindner: "Wehrmachtausstellung oder Förderung von Alice Schwarzers feministischem Archiv – das sind Sachen, die normalerweise eben nicht mit jemandem aus dem vermögenden Hamburger Milieu verbinden würde."

Der Sohn geht auf Distanz zum Unternehmertum seines Vaters, zu dessen Verhalten im Dritten Reich und setzt eigene Zeichen. So lässt er in einer privaten Initiative ehemalige Zwangsarbeiter des Reemtsmakonzerns suchen und finanziell entschädigen.

"Diese Opposition gegen das Verschweigen von Erblasten aus der Zeit des Nationalsozialismus geriet zu einer zentralen Konstante im Schaffen des Jan Philipp Reemtsma."

Eindrucksvoll vermittelt uns Erik Lindners Geschichte der Reemtsmas, welchen Druck die Nationalsozialisten aufbauten und wie sich mächtige Konzernchefs gefügig machen ließen. Ich empfehle, anschließend Sten Nadolnys "Ullsteinroman" zu lesen. Denn die Bücher, so verschieden sie sind, ergänzen sich inhaltlich. Beide handeln vom Überlebenskampf einer prominenten Unternehmerfamilie. Die eine, die jüdische, musste ihre Verlagsgruppe abgeben, die andere durfte ihren Zigarettenkonzern weiterführen.


Erik Lindner: Die Reemtsmas
Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007
Erik Lindner: Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie
Erik Lindner: Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie© Hoffmann und Campe Verlag
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