Familien-, Kriegs- und Schulgeschichten

Von Andrea Gerk · 09.07.2011
In diesem Jahr sind 14 Autoren aus Österreich, der Schweiz und Deutschland mit Muffensausen und ihren unveröffentlichten Texten bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt angetreten. Heute ging der Lese-Marathon zu Ende.
Jurorin Daniela Strigl: "Freu mich, dass dieses Jahr auch einige Satiren dabei waren ... auch aus Deutschland." (Lachen)

Mit einer leidenschaftlichen Diskussion darüber, was Satire können sollte, ging der Klagenfurter Lesemarathon zu Ende. An letzter Position hatte der in Berlin lebende Thomas Klupp einen Romanauszug vorgetragen, in dem äußerst witzig und gekonnt der hehre Wissenschaftsbetrieb mit den niederen Trieben der Pornografie konterkariert wird:

Lesung Thomas Klupp: "Das jedenfalls ist mein oder besser gesagt unser Job ... was immer uns dort begegnet."

Dass dieser Text die Juroren zum Streiten verleiten würde, spricht nicht gerade gegen ihn und überhaupt gehört für Hubert Winkels, der zum zweiten Mal als Juror dabei ist, kultiviertes Streiten zu diesem Wettbewerb dazu:

"Darauf kommt's glaube ich auch an, dass man sich an einer Sache dann entzündet und dann geht's mal ab und dann wird man wieder sachlicher. Wenn das austariert ist, dann ist es gut."

Nach einem allzu austarierten, eher belanglosen Auftakt, bei dem etwas vor allem konfektioniert wirkende Familien-, Beziehungs- und Zwangsneurotiker-Dramen präsentiert wurden, ging der diesjährige Bewerb (wie das in Österreich heißt), am zweiten Tag endlich in die Welt und die Welt-Geschichte hinaus. Der Schweizer Linus Reichlin – der bereits mit dem Deutschen Krimipreis dekoriert ist - präsentierte eine Geschichte über einen Arzt, der im Krieg in Afghanistan aus Versehen eine Frau erschießt. Deutsche Gegenwart und große Menschheitsthemen wie schuldlos schuldig zu werden, wurden zwar gelobt, der ganze Text dann aber doch als "Kolportage" und "risikolos" zu Unrecht abqualifiziert.

Besser erging es der aus Klagenfurt stammenden Lyrikerin Maja Haderlap, die aus einem Roman las, der schon Anfang der kommenden Woche erscheint und der die Geschichte einer Familie über drei Generationen hinweg erzählt. Dass diese Familie der slowenischen Minderheit angehört, einer Volksgruppe, die von den eigenen Landsleuten in der Nazizeit verjagt und getötet wurde, ist ein Stück bis heute nicht wirklich aufgearbeiteter österreichischer Geschichte, die hier mit unglaublich feinsinnigem und zugleich kraftvollem Sprachgefühl erzählt wird.

Ein "Idealfall von Literatur, die sich mit Geschichte beschäftigt", wie Jurorin Daniela Strigl lobte, die nicht als einzige von diesem "maklellosen Text" angetan war. Helle Begeisterung erntete auch die in Berlin lebende Frankfurterin Nina Bußmann, die ein Lehrer-Schüler-Verhältnis schilderte, in dem nichts ist, wie es scheint – ein Spiel mit Wahrnehmung und Wahrheit, etwas blutleer und überkonstruiert, wie auch der von Leif Randt vorgestellte Ausflug in eine simulierte Wellness-Welt der Zukunft, eine "Literarisierung dessen, was man in der Truman-Show gesehen hat". Für diese Sorte Text begeistert sich die Jury erfahrungsgemäß weitaus mehr, als für lebensvolle oder lyrisch gearbeitete Erzählungen wie die von Maja Haderlap oder Linus Reichlin. Für dessen Verleger, Wolgang Hörner von Galiani, ist Klagenfurt trotzdem immer ein lohnender Ausflug:

"Man kommt ja aus mehreren Gründen her, wenn man nen Autor hat, dann ist man seelische Stütze. Man hält Händchen bei dem Autor, der dran kommt und man schaut aber auch – man trifft wahnsinnig viel andere Schriftsteller, Kollegen, trifft Leute von der Presse, denen erzählt man schon ein bisschen vom Herbstprogramm, also Bücher, die nicht hier vorgestellt werden, man kommt auf Ideen mit denen zusammen."

Ein Branchentreff im schönsten Ambiente ist dieser Klagenfurter Wettbewerb ganz sicher – aber was ist auch dagegen einzuwenden, wenn sich junge Autoren mit Verlagsleuten, Journalisten und Agenten zwanglos austauschen und inspirieren können. Nur die Juroren sollte man vielleicht hin und wieder wachrütteln, damit sie nicht ganze anderthalb Tage brauchen, um endlich mit Neugier und Leidenschaft auf die relevanten Fragen, die Literatur betreffend, kommen.

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