Fall Edathy

Unschuldsvermutung wird "aufgeweicht"

Sebastian Edathy
Sebastian Edathy © Hannibal Hanschke, dpa
Everhard Holtmann im Gespräch mit André Hatting · 17.02.2014
Der Politologe Everhard Holtmann hat das staatsanwaltschaftliche Vorgehen im Fall Edathy kritisiert. Die Argumentation, Edathy habe in einem rechtlichen Grenz- oder Graubereich gehandelt, sei problematisch.
André Hatting: Heute will CSU-Chef Seehofer sagen, wer der Nachfolger von Hans-Peter Friederich werden soll. Der Bundeslandwirtschaftsminister war am Freitag zurückgetreten. Er hatte noch als Innenminister die SPD über den Fall Edathy informiert. Es droht ein Ermittlungsverfahren gegen den CSU-Politiker. So weit, so klar. Aber dann, dann wird es nebulös. Warum in aller Welt schwärzt Thomas Oppermann den Koalitionskollegen an? Warum hat er in einer Pressemitteilung dessen Verhalten öffentlich gemacht? Everhard Holtmann ist Politikwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Holtmann!
Everhard Holtmann: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Also das verstehe ich nicht - wochenlang ringen SPD und Union um den Koalitionsvertrag. Der sollte möglichst alle glücklich machen und ein Gezicke wie mit Schwarz-Gelb vermeiden. Aber nach nur zwei Monaten lässt der Fraktionschef der SPD den ersten Minister über die Klinge springen. Was soll das?
Holtmann: Ich denke, dass das An-die-Öffentlichkeit-Gehen von Oppermann im Prinzip unabweisbar gewesen ist. Man stelle sich vor, die mit Sicherheit aufgetauchten Fragen der Medien danach, was haben Spitzenpolitiker der SPD, aber auch der Unionsparteien von der Sache vorher gewusst, die wären in einen Nebel des Stillschweigens hinein verpufft - es hätte ja Fragen der Glaubwürdigkeit aufgeworfen, wenn Steinmeier, Oppermann, Friederich gesagt hätten, wir haben das vorher nicht gewusst. Also, es ist im Grunde genommen, ich sag es noch mal, unabweisbar, dass mit dieser Information an die Öffentlichkeit gegangen worden ist, denn sonst hätten die beteiligten Politiker, die vorher davon wussten, ein massives Glaubwürdigkeitsproblem hernach.
Hatting: Und hat die SPD jetzt nicht immer noch ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil nicht klar ist, wer wann was innerhalb der SPD gewusst hat? Wir wissen jetzt nur, wer die Quelle war.
Holtmann: Wir wissen jetzt, wer im Grunde genommen informiert war, wer sich dazu geoutet hat gewissermaßen. Und was darüber hinaus noch an Informationen durchgesickert ist, was möglicherweise auch, wie man so sagt, durchgestochen worden ist, das entzieht sich ja bisher unserer seriösen und genauen Kenntnis. Auf der anderen Seite, dass da vorher möglicherweise auch undichte Stellen aufgetaucht sein könnten, das legt schon die pure Zahl der von Amts wegen involvierten Namen - man stelle sich vor, 16 Innenministerien, 16 Landeskriminalämter, die dazugehörigen Diensthabenden, alle miteinander sind vorher informiert worden. Ich will da niemandem etwas unterstellen, aber wie gesagt, die pure Zahl macht es schon in gewisser Weise denkbar, dass Informationen auch durchgesickert sind.
Hatting: Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl hat gesagt: "Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass ein SPD-Abgeordneter mutmaßlich kinderpornografische Schriften kauft und die einzige Konsequenz darin besteht, dass ein CSU-Minister zurücktritt." Hat er recht?
Holtmann: Das ist eine politische Einschätzung, die aus der Koalititonsräson und aus der parteipolitischen Räson heraus ja auch zumindest nachvollziehbar ist, denn das Verursacherprinzip des Ganzen, das lag ja in der Tat nicht in der Union oder bei der CSU, sondern das ist durch das private Handeln eines SPD-Abgeordneten ausgelöst worden. Aber auf der anderen Seite - was will man daraus für Konsequenzen ziehen? Man kann ja nicht ohne Weiteres dann ein Bauernopfer verlangen, denn dazu müsste es ja auch entsprechend substanzielle Gründe geben. Und wie gesagt: Das An-die-Öffentlichkeit-Gehen von Thomas Oppermann halte ich in der gegebenen Situation für konsequent. Es ist ja offensichtlich auch mit dem noch amtierenden Minister Friederich abgesprochen gewesen.
Hatting: Ja, das behauptet zumindest Thomas Oppermann.
Holtmann: Ja, aber es ist ja auch von dem Ministerium nicht dementiert worden oder abgeschwächt worden. Es sind ja bloß Formulierungen oder eine Formulierung in dieser Presseerklärung.
Hatting: Na ja, da kommt noch einiges, glaube ich, auf uns zu. Schon in den Wochen zuvor hat es ja, Herr Holtmann, immer wieder Kabbeleien in der Großen Koalition gegeben - Vorratsdatenspeicherung, Pkw-Maut für Ausländer, Elterngeld plus, Energiewende ohne neue Stromtrassen in Bayern, und so weiter und so weiter und so weiter. Ist diese GroKo ein No-Go?
Holtmann: Ich denke nicht. Ich halte das auch für normale Spannungen, Spannungsfelder innerhalb jeder Koalition, nicht nur einer Großen Koalition. Es ist nun einmal so, dass in einer Koalition ja die parteipolitischen Unterschiede und auch das Wettbewerbsprinzip mit Blick auf die nächsten Wahlen nicht völlig suspendiert wird. Und wenn da nun in den einzelnen Politikfeldern, sicherlich auf der Basis eines einvernehmlich geschlossenen Koalitionsvertrages, die jeweiligen Ressortminister versuchen, sich mit den entsprechenden Projekten zu profilieren, dann ist das ebenso normal wie mögliche Reaktionen, Gegenreaktionen des anderen Partners, der nun versucht, diese Profilbildungen zu domestizieren. Also da sehe ich keine großen, alarmierenden Krisenzeichen.
Hatting: Wenn wir jetzt über Krisenzeichen und Profilbildung sprechen, Herr Holtmann, dann müssen wir auch über Sebastian Edathy sprechen. Der sagt, ja, ich habe mir diese Bilder aus Kanada schicken lassen, aber die sind doch legal. Ist das für einen gewählten Vertreter des Volkes eine akzeptable Rechtfertigung?
Holtmann: Also zunächst einmal hat Herr Edathy sicherlich durch sein privates Handeln diese staatsanwaltlichen Ermittlungen ausgelöst, und er hat sich, wie heute eine überregionale Zeitung schrieb, damit zumindest in eine Art Kontaktrisiko begeben. Allerdings, rechtstaatliche Prinzipien verlangen auch, dass beispielsweise mit rechtlich eindeutigen Kategorien dieser Fall behandelt wird, auch und gerade von denen, die, wie eine Staatsanwaltschaft, zur Wahrung des Rechtsstaates und seiner Prinzipien von Amts wegen aufgerufen sind. Und da sind Formulierungen wie, er habe in einem Grenzbereich oder in einem Graubereich der Legalität gehandelt, zumindest problematisch. Denn das birgt das Risiko, dass die Unschuldsvermutung, auf die Edathy wie jeder Mann und jede Frau in diesem Lande zunächst einmal Anspruch hat, sozusagen mit rechtlich nicht eindeutigen Kategorien aufgeweicht wird. Und da sehe ich durchaus ein Problem.
Hatting: Edathy hat jetzt zum Gegenangriff geblasen. Er hat eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Staatsanwaltschaft Hannover angekündigt, weil er es satt habe, sich gegen Unterstellungen wehren zu müssen. Nachvollziehbar? Die richtige Strategie?
Holtmann: Ob das die richtige Strategie ist, das kann und will ich, zumal ich wie fast alle in diesem Lande bisher über keinen vollständigen und zuverlässigen Informationshintergrund verfügen, nicht beurteilen. Das steht ihm gewissermaßen zu, das Instrumentarium des Rechtes, auch der rechtlichen Beschwerde hier entsprechend anzuwenden. Und auf der anderen Seite, es scheint völlig klar, dass allein schon durch dieses von ihm selbst praktizierte Handeln seine Karriere, seine politische Karriere zumindest, an einem Ende angelangt ist.
Hatting: Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Holtmann: Bitte schön!
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