Fall Deniz Yücel

Deutschland muss seine Hebel nutzen

Ein Schild "# Free Deniz" ist am 25.02.2017 in Flörsheim (Hessen) an einem Kinderwagen befestigt. Der in der Türkei inhaftierte «Welt»-Journalist Deniz Yücel stammt aus Flörsheim.
Yücel werden Terrorpropaganda, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Datenmissbrauch vorgeworfen. © dpa/ Andreas Arnold
Von Klaus Remme · 28.02.2017
Der Fall Yücel ist eine weitere Zumutung der Türkei gegenüber Deutschland auf einer mittlerweile langen Liste, kommentiert Klaus Remme. Es sei deswegen richtig gewesen, den türkischen Botschafter im Auswärtigen Amt direkt mit der deutschen Sicht auf den Fall Yücel zu konfrontieren.
Für Deniz Yücel sind die Aussichten düster. Nach einer unangemessen langen Zeit in Polizeigewahrsam, droht ihm nach der Entscheidung des Haftrichters nun eine jahrelange Untersuchungshaft in der Türkei. Bitter, enttäuschend, unangemessen, so hatte die Bundesregierung gestern Abend schriftlich reagiert. So nachvollziehbar diese Bewertungen sind, als politische Reaktion reichten sie nicht aus.

Druck war dringend nötig

Es ist inzwischen offensichtlich, dass es im Fall Yücel nicht zu dem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren kommt, dass die Bundesregierung gefordert hatte. Aus Sicht von "Reporter ohne Grenzen" gibt es kaum Länder, in denen die Pressefreiheit stärker eingeschränkt wird als in der Türkei. Nirgendwo sitzen mehr Journalisten aufgrund ihrer Arbeit in Haft. Mit Yücel hat es jetzt den ersten deutschen Staatsbürger getroffen.
Es war also dringend nötig, dass Bundesaußenminister Gabriel heute Nachmittag den Druck auf Ankara deutlich verstärkt hat. Es war richtig, den türkischen Botschafter im Auswärtigen Amt direkt der deutschen Sicht zu konfrontieren. Und es war überfällig, das aktuelle deutsch-türkische Verhältnis grundsätzlich und öffentlich neu zu bewerten.
"Das Verhältnis steht vor einer seiner größten Belastungsproben der Gegenwart", hat Gabriel gesagt. Wohl wahr. Die Verantwortung dafür liegt in allererster Linie bei einem türkischen Präsidenten, der sein Land Schritt für Schritt in die Autokratie und von Europa weg führt. Massenverhaftungen, Repression, Zensur und Grundrechtsverletzungen, das sind die täglichen Schlagzeilen aus einem Land, dass den Regierenden hierzulande noch immer als Partner gilt.
Dabei ist die Liste der Zumutungen inzwischen lang. Sie reicht von Besuchsverboten für deutsche Parlamentarier bei Bundeswehrsoldaten in Incirlik bis zum Vorwurf von Erdogan, Deutschland unterstütze den Terrorismus. Diplomatische Rücksichten kennt Ankara dabei nicht, die gemeinsame Pressekonferenz des deutschen und des türkischen Außenministers im November in der Türkei, ist als Zeugnis der Entfremdung in guter Erinnerung.

Westeuropa hat Hebel - die müssen genutzt werden

Ja, es stimmt, aufgrund von Größe, Lage und strategischen Interessen ist die Türkei unverzichtbar, wenn es um Flüchtlinge geht oder um Syrien oder um den Kampf gegen den Terror des sogenannten Islamischen Staats.
Kann Ankara in den bilateralen Beziehungen deshalb den Ton diktieren? Hoffentlich nicht. Die Türkei steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise, hier ergeben sich kräftige Hebel auf deutscher und westeuropäischer Seite. Nicht nur Deniz Yücel ist darauf angewiesen, dass diese Hebel genutzt werden.

Klaus Remme, geboren in Cloppenburg. Studium der Politischen Wissenschaften und Osteuropäische Geschichte in Freiburg und Wien. Berufliche Stationen: Institute for Defense & Disarmament Studies, Boston, BBC World Service, London, Norddeutscher Rundfunk. Seit 1996 beim Deutschlandfunk. Von 2007 bis 2012 Korrespondent von Deutschlandradio in Washington. Seitdem Korrespondent im Hauptstadtstudio mit Schwerpunkt Außen- und Sicherheitspolitik.

Klaus Remme 
© Deutschlandradio / Bettina Straub
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