Falk Richter über "Safe Places"

"Man muss sich jetzt wehren"

Inszenierung SAFE PLACES
Szenenbild aus der Produktion "Safe Places". Das Stück hat am Schauspiel Frankfurt Premiere. © Birgit Hupfeld
Falk Richter im Gespräch mit Ute Welty · 08.10.2016
Falk Richter fordert eine Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten auf der Bühne. Sein neues Stück handele davon, wie die Gesellschaft mit Angst in einem Zustand der Dauererregung gehalten werde, sagt der Theatermacher. "Safe Places" hat am Abend in Frankfurt Premiere.
Im Schauspielhaus Frankfurt feiert heute das Stück "Safe Places" Premiere. Der Autor Falk Richter und die Choreografin Anouk van Dijk gehen mit einem international besetzten Tanz- und Schauspielensemble der Frage nach, wie sich die gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Zustände auf das Privatleben der Menschen auswirken, auf ihre Körper, ihr Fühlen und Denken.
Vor dem Hintergrund erstarkender rechtsnationaler Bewegungen in Europa plädiert der Dramatiker und Theaterregisseur Falk Richter für die Verteidigung der Demokratie auch mit den Mitteln der Kunst.

Der Wunsch nach Sicherheit

Sein neues Stück "Safe Places" beschäftige sich mit den Ambivalenzen des Wunsches nach Sicherheit, sagte Richter im Deutschlandradio Kultur. Dabei erscheine Europa als ein Ort, an dem Menschen Zuflucht suchen, der gleichzeitig zunehmend aus unterschiedlichen Motiven als unsicher empfunden werde. "Es handelt im Grunde davon in welchem Zustand sich unsere Gesellschaft überhaupt bewegt. Dass viele nicht genau wissen, wie wir mit der Situation umgehen können und was auf uns zukommt."

Überschreitung von Genre-Grenzen

In dem Schauspiel mit Tanz - eine erneute Zusammenarbeit mit der niederländischen Choreografin Anouk van Dijk - werden Genre-Grenzen überschritten: Dies ermögliche die Darstellung irrationaler unbewusster Gefühlszustände, wie sie in Europa derzeit sichtbar würden:
"Es geht um so eine Wut, es geht um eine Gesellschaft, die im Moment in so einer Art Dauererregungszustand gehalten wird, mit Angst. Das heißt, das sind alles Zustände, die man auch sehr gut körperlich darstellen kann und wo auch der Text gar nicht so hinreichen würde. Man sieht dann auch bei uns auf der Bühne, was eigentlich mit den Menschen passiert, die in diesem Spannungsverhältnis leben. Die in Unsicherheit leben, die nicht genau wissen, was passieren wird. Die dauernd irgendwelche Meldungen lesen im Internet: Alles wird immer gefährlicher, wir sind hier nicht mehr sicher … Was macht das eigentlich mit den Menschen?"

"Man muss sich jetzt wehren"

Angesichts eines zunehmenden Rechtsrucks in Europa forderte der Theatermacher eine Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten auch auf der Theaterbühne. In inhaltlicher Weiterführung knüpfe sein neues Stück an seine Produktion "Fear" an, die an der Berliner Schaubühne die Neue Rechte in Deutschland thematisierte und zu juristischen Auseinandersetzungen mit der Alternative für Deutschland (AfD) und radikalen Christen führte.
"Jetzt merken wir, die drängen wirklich nach vorne, die drängen an die Macht: Und man muss sich jetzt wehren", erklärte Richter. "Ich finde auch bestimmte Entwicklungen gerade sehr interessant zum Beispiel von Martin Roth, dass er sagt, wir müssen als Demokraten wehrhaft werden und uns gegen diese neuen Faschisten wehren. Und ich bin da dabei. Und ich hoffe, dass ich mit meiner Kunst dazu beitragen kann, dass dieses Bewusstsein in Deutschland gestärkt wird, dass wir diese Demokratie verteidigen können."

Safe Places
Regie/Choreografie: Falk Richter und Anouk van Dijk
Premiere 8. Oktober 2016, 19.30 Uhr
Schauspielhaus Frankfurt

Falk Richter im Deutschlandradio-Kultur-Studio, Aufnahme von 2015
Der Regisseur und Dramatiker Falk Richter im Studio von Deutschlandradio Kultur© Deutschlandradio / Oranus Mahmoodi

Falk Richter, ist Theaterregisseur und Dramatiker. Seit 1994 arbeitet er an nationalen und internationalen Bühnen in Hamburg, Frankfurt, München, Wien, Zürich, Düsseldorf, Brüssel, Avignon sowie in Berlin. In den Stücken, Projekten und Inszenierungen des gebürtigen Hamburgers wie "Gott ist ein DJ", "Nothing hurts", "Das System", "Unter Eis", "Trust" "Fear" oder "Small Town Boy" geht es oft um moderne Identitäten, Medienkritik oder Vereinsamung.


Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Wohin steuert Europa? Diese drei Worte und das Fragezeichen kommen fast unschuldig um die Ecke, aber spätestens seit dem Brexit und den Wahlerfolgen der Rechtspopulisten, seit dem erbitterten Streit darüber, wer in der EU wie viele Flüchtlinge aufnimmt, wissen wir: Die Frage hat es in sich. Falk Richter hat sich dieser Frage angenommen. "Safe Places" heißt das Stück des Autors und Regisseurs, das heute im Schauspiel Frankfurt uraufgeführt wird. Er arbeitet zusammen mit der niederländischen Choreografin Anouk van Dijk. Guten Morgen, Herr Richter!
Falk Richter: Guten Morgen!
Welty: Als ich "Safe Places" las, musste ich sofort No-go-Area mitdenken. Wo zwischen diesen beiden Polen liegt das Europa, in dem Sie und ich heute leben?

"Wir wissen nicht genau, wo es hingeht"

Richter: Ja, das ist schwer zu sagen. In dem Stück setze ich mich genau damit auseinander, mit dem Sicherheitsgefühl, was die Europäer haben, oder dem großen Wunsch nach Sicherheit, aber auch diesem individuellen Empfinden, dass es kaum mehr Sicherheit hier gibt, auch die Sehnsucht nach Sicherheit natürlich von Geflüchteten, die hierher kommen und dann aber plötzlich, wenn sie in bestimmte Gebiete Deutschlands auch kommen, gar nicht sicher leben und dort dann noch mal verfolgt werden, nachdem sie gerade Krieg erlebt haben. Also Europa ist tatsächlich gerade in einem Zustand, sehr stark in Bewegung, wir wissen nicht genau, wo es hingeht, das kann im Moment, glaube ich, niemand so richtig abschätzen. Und es ist, glaube ich, auch eine große Gefahr da mit dem starken Rechtsruck in vielen europäischen Ländern, der gerade um sich greift.
Welty: Was ist für Sie ein sicherer Platz, ist das das Theater, ist das die Bühne?
Richter: Ja, gut, also der sichere Platz für mich ist sicher meine Kunst, also die Theaterproben, wo ich dann mit Menschen auch in einem geschützten Raum auch auf eine fiktive Weise politische Themen verhandeln kann. Allerdings musste ich ja selbst auch die Erfahrung leider machen in den letzten Monaten, dass auch meine Theaterstücke von Rechtspopulisten angegriffen werden. Ich wurde vor Gericht gezerrt von der AfD und von radikalen Christen, die gegen mein Stück "Fear" versucht haben vorzugehen. Die haben zwar die Prozesse alle verloren, weil das völlig unbegründet war, was sie vorgebracht haben, aber die werden halt immer lauter, immer anstrengender, diese Rechten, und davon handelt auch mein Stück. Also auch Deutschland ist ein Ort, der zunehmend unsicherer wird. Das haben wir auch gerade in Dresden erlebt. Da tobt so ein Mob, der nicht mehr zu bändigen ist, der auch von der Polizei nicht mehr in den Griff zu kriegen ist. Es wird gefährlicher hier in Deutschland.
Welty: Sie haben "Fear" angesprochen, von der Berliner Schaubühne, das Stück über die neue Rechte in Deutschland. Inwieweit ist "Safe Places" auch so eine Art Fortsetzung?

"Was können wir als demokratische Mehrheit den Rechtspopulisten entgegensetzen?"

Richter: Ja, es ist sicherlich eine Weiterführung für mich, inhaltlich zu gucken, was passiert eigentlich gerade in Europa, und gibt es natürlich auch andere Ansätze, weil das finde ich auch wichtig, dass wir das nicht vergessen. Also was können wir eigentlich als demokratische Mehrheit den Rechtspopulisten entgegensetzen. Ich glaube, dass alle in Deutschland und auch in Europa wacher geworden sind. Zu dem Zeitpunkt, als ich "Fear" geschrieben habe, fing diese Bewegung gerade erst so ein bisschen an und war noch so ein bisschen im Untergrund. Jetzt merken wir, die drängen wirklich nach vorne, die drängen an die Macht, die sitzen in den Talkshows, und man muss sich jetzt wehren. Ich finde auch bestimmte Entwicklungen gerade sehr interessant, zum Beispiel von Martin Roth, dass er sagt, wir müssen als Demokraten wehrhaft werden und uns gegen diese neuen Faschisten wehren. Und ich bin da dabei. Und ich hoffe, dass ich mit meiner Kunst dazu beitragen kann, dass dieses Bewusstsein in Deutschland gestärkt wird, dass wir diese Demokratie verteidigen müssen.
Welty: Menschen auf der Suche nach Sicherheit überschreiten Grenzen, das tun Sie auch im Hinblick auf Text und Tanz. Was lässt sich mit dieser Mischung besser transportieren, warum entscheiden Sie sich einmal mehr für die Zusammenarbeit mit der Choreografin Anouk van Dijk?

Tanz kann Sachen ausdrücken, die Sprache nicht mehr fassen kann

Richter: Ich glaube, dass es im Moment in Europa auch ganz viel irrationale und unbewusste Gefühlszustände, Erregungszustände geht. Es geht um so eine Wut, es geht um eine Gesellschaft, die im Moment in so einer Art Dauererregungszustand gehalten wird, mit Angst. Das heißt, das sind alles Zustände, die man auch sehr gut körperlich darstellen kann und wo auch der Text oftmals gar nicht so hinreichen würde. Man sieht dann auch bei uns auf der Bühne, was eigentlich mit den Menschen passiert, die die ganze Zeit in diesem Spannungsverhältnis leben, also die in Unsicherheit leben, die nicht genau wissen, was eigentlich passieren wird, die dauernd irgendwelche Meldungen lesen im Internet – alles wird gefährlicher und wir sind hier nicht mehr sicher –,was mach das eigentlich mit den Menschen? Die Zusammenarbeit mit dem Tanz bedeutet für mich auch oft, dass ich darüber Sachen ausdrücken kann, die die Sprache so gar nicht mehr fassen kann.
Welty: Jetzt will ich dem heutigen Abend nicht vorgreifen, aber ich vermute mal stark, dass sich AfD-Chefin Frauke Petry nicht unbedingt in Ihre Uraufführung verirrt. Wen wünschen Sie sich im Publikum?
Richter: Ich wünsche mir alle, das ist ja hier am Schauspiel Frankfurt für alle Bürger dieser Stadt gedacht. Also ich wünsche mir ein Publikum, das offen in eine Uraufführung reingeht, ohne Vorbehalte, das erst mal guckt, was passiert hier eigentlich, das auch Interesse hat, sich darauf einzulassen, dass es da Tanz, Musik, Schauspiel zusammen gibt, dass es eine Auseinandersetzung über unser Leben hier und heute, über die Gesellschaft heute und die politischen Ereignisse heute gibt. Das ist eigentlich immer der Wunsch, dass es ein Publikum gibt, das sich einfach offen und interessiert in so eine Uraufführung reinsetzt und auch damit leben kann, dass es noch nicht weiß, was auf es zukommt.
Welty: Aber die wissen das alles doch schon, was Sie ihnen sagen wollen, die sind doch schon die Guten.

"Es hat ja keiner wirklich eine Lösung"

Richter: Nee, das sind wir alle nicht. Wir wissen ja alle nicht genau, wie es geht im Moment, es hat ja keiner irgendwie wirklich eine Lösung. Es geht auch nicht darum, dass ich denen jetzt irgendwie sage, wie man gut zu sein hat, sondern es handelt im Grunde davon auch, in welchem Zustand unsere Gesellschaft sich momentan überhaupt bewegt, also dass viele von uns nicht genau wissen, wie wir mit der Situation umgehen können, die da gerade ist, oder was da eigentlich alles an Veränderung auf uns zukommt.
Welty: Der Autor und Regisseur Falk Richter. Heute Abend wird sein Stück "Safe Places" am Schauspiel in Frankfurt am Main uraufgeführt. Dafür toi, toi, toi und herzlichen Dank für das Gespräch, das wir aufgezeichnet haben.
Richter: Gerne!
Welty: Und wer heute die Uraufführung nicht schafft, es gibt zahlreiche weitere Termine, unter anderem morgen, Montag und Mittwoch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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