Fahrradfahren mit elektrischem Rückenwind

Von Thomas Wagner · 05.09.2010
69 Millionen Fahrräder sind in Deutschland unterwegs, darunter immer mehr E-Bikes mit strombetriebenem Hilfsmotor. Doch auch konventionelle Räder werden mehr und mehr zu High-Tech-Maschinen.
Das Ding sieht so ähnlich aus wie jene Fahrräder, die die Briefträger der Post verwenden: Das Vorderrad sieht man kaum. Doch statt eines riesigen Gepäckträgers für Briefe und kleine Päckchen befinden sich dort Lautsprecherboxen.

"Das ist ein Karaoke-Bike. Wie viele Räder? Zwei! Wie viel Watt? 150 mindestens. In Berlin zum Beispiel im Prinz-Albert-Park, Sonntag Nachmittag bin ich meistens bei passendem Wetter mit 800, 900 anderen Leuten. Und wir machen Musik, bis es nicht mehr geht."

In den vergangenen Tagen allerdings radelte der Engländer Jo Hutchiban mit seinem Karaoke-Bike auf dem Messegelände Friedrichshafen auf und ab – und markierte dort einen Trend: Denn rund um den Fahrradrahmen hält immer mehr High-Tech Einzug – nicht nur zur Beschallung der Mitmenschen. Die Fahrräder von heute sollen sicherer, komfortabler und schneller werden.

Das ist kein Hinterrad wie jedes andere, das sich da um die eigene Achse dreht. Statt einer herkömmlichen Konstruktion mit Speiche und Felgen sehen die Besucher eine durchgehende schwarze Fahrscheibe.

"Eine Scheibe ist einfach das aerodynamischste Laufwerk, das man sich vorstellen kann. Da gibt es keine Speichen, die die Luft verwirbeln. Sondern die Luft gleitet elegant an der Seite vorbei. Beim Zeitfahren, wo man mit Geschwindigkeiten so um die 40, 60 Stundenkilometer unterwegs ist, spielt die Aerodynamik eine große Rolle. Und deshalb fahren viele Triathlethen, viele Zeitfahrer Scheiben im Hinterrad, um einfach die Aerodynamik zu verbessern."

Erhard Wissler vom Friedrichshafener Hersteller "Lightweight" hat mehrere Tour-de-France-Teams mit seiner Hinterradscheibe ausgestattet. Die besteht aus ultraleichten Carbonfasern, das gesamte Rad wiegt gerade mal 780 Gramm. Gleichzeitig verfügt die Radscheibe über die doppelte Steifigkeit von Stahl. Und das ist gerade bei einem Rennradler besonders wichtig.

"Weil er sich die Watt, die er über die Kurbel ins System einbringt, in Vorwärtsantrieb um und nicht in die Verbiegung von Material, wie das beispielsweise bei Schwermetall der Fall ist, einbringt."

Die Technologie stammt aus der Raumfahrt. Erhard Wissler und seine Mitarbeiter stellen aus dem gleichen Material auch Komponenten für Satelliten her. Er glaubt fest daran, dass nicht nur Radrennsportler, sondern immer öfters sportliche Alltagsradler seiner Radscheibe statt eines Hinterrades mit Speichen wählen.

"Wenn er schneller wie 40 Stundenkilometer unterwegs ist, spürt er einen deutlichen Fortschritt, wenn er aerodynamische Komponenten am Rad hat."

Spannende Rennszenen auf dem Freigelände vor der Messehalle scheinen dem Konstrukteur Recht zu geben. Gleichwohl ist neben Schnelligkeit auch immer mehr Fahrkomfort gefragt – gerade bei denjenigen, die sportlich in die Pedale treten. Der italienische Hersteller Selle Royale hat als Weltneuheit den Sattel "Respiro" vorgestellt – ein Sattel mit einer Art eingebauter Klimaanlage.

"Respiro ist italienisch und heißt: Atmung. Das System funktioniert über einen Belüftungskanal. Das heißt: Es gibt einen Kanal in der Mitte, wo der Luftstrom hineingeht, durch geleitet wird. Und das ist total wichtig für Leute, die lange Strecken machen, viele Kilometer machen","

erklärt Unternehmenssprecher Matteo Paccagnella. Je schneller der Radler fährt, desto stärker ist der Luftstrom, der durch den Kanal im Sattel strömt. Er wird dort unter der lamellenähnlichen Satteloberfläche hindurch geleitet. Das kühlt nach Herstellerangaben um ein, zwei Grad ab und soll übermäßige Schweißbildung vor allem im Genitalbereich des Fahrers verhindern.

Manche Radler mögen es eher gemütlich. Für sie ist das Fahrrad ein wichtiges Fortbewegungsmittel. Doch wo sich Fahrräder mit Autos die Fahrbahn teilen, ist Sicherheit umso wichtiger. Auf der Eurobike ebenfalls als Weltneuheit gefeiert: Das erste Tag-Fahrlicht für Fahrräder, vorgestellt vom Hersteller Busch und Müller. Entwickler Frank Regge erklärt, wie’s funktioniert.

""Das Tagfahrlicht, die LEDs, sorgen für eine hervorragende Sicht bei Tag, wie der Name schon sagt, weil diese LEDs das Licht auch nach oben schicken und dabei etwas für Blendwirkung sorgen, für Grelligkeit sorgen, was dem Autofahrer aber signalisiert: Hoppla, da kommt was! Und ich werde einfach bei Tageslicht deutlich besser als früher wahrgenommen."

Das Beispiel zeigt: Moderne Elektronik fährt immer häufiger mit. Dabei sind nicht nur die einzelnen Komponenten wie GPS und elektronischer Tacho miteinander vernetzt. Auch externe Geräte wie Handys und Netbooks werden immer häufiger mit dem elektrischen System des Fahrrads verbunden, erklärt Daniel Fikuart, Chefredakteur des Fachmagazins "Aktives Radfahren":

"Interessant ist die Geschichte, wenn es um Geräte geht, die man ans Fahrrad anbringt, also zum Beispiel die Möglichkeit, dass man ein Handy daran befestigt. Da kann man aus dem Naben-Dynamo auch Strom herausholen und diese ganzen Geräte, die man unterwegs dabei hat, kann man dann wieder aufladen. Ich denke, in diese Richtung wird es erst einmal gehen. Das Fahrrad ist mehr als nur Freizeitgerät. Es ist immer mehr ein Gefährte, der einem auch Energie schenkt."

So manches an der Lenkstange, am Fahrradrahmen, wird moderner, elektronischer. Manche Teile bleiben aber zum Glück so, wie man sie schon seit vielen Jahrzehnten kennt.

Die gute alte Fahrradklingel – sie hat nach wie vor ihren Platz.

"Lasst uns das behalten! Es gibt so schöne Klingeltöne, die vor allem auch sympathisch klingen. Wenn man zum Beispiel einem Wanderer begegnet, sollte man freundlich klingeln. Und dann macht er auch immer bereitwillig Platz!"