Fachgebiet: Deutsch für Nichtdeutsche

Von Vera Block · 04.01.2012
Wer Hilfe benötigt, nimmt sich heutzutage einen Berater, neudeutsch Coach. Auch im Filmgeschäft. Lena Lessing ist eine der gefragtesten Schauspiel-Coaches in Deutschland – und auf dem internationalen Markt. Sie hat mit Nina Hoss gearbeitet und Cate Blanchett:
"Wir haben hier, genau hier sehr lustige Stunden gehabt."

Die Rede ist von Michael Fassbender, dem Star aus "X-Men" und "Inglourious Bastards". Hier, auf dem Sofa in ihrer Wohnung, hat Lena Lessing dem irischen Schauspieler für seine Rolle im Tarantino-Blockbuster Deutsch beigebracht:

"…dass wirklich alle im Film gesagt haben – ist er denn Deutscher?"

Lena Lessing – graues Twinset, runde Halskette, ladylike. Beruf – Schauspielcoach. Fachgebiet: Deutsch für nichtdeutsche Schauspieler. Cate Blanchett hat sie für ihre Rolle in "Hanna" als Sprachcoach beraten. Und Thekla Reuten für ihren Auftritt in "Hotel Lux":

"Thekla Reuten ist Holländerin, das ist nicht unkompliziert. Vor allen Dingen ist das offene A etwas, was unsere deutsche Sprache ausmacht und wir haben ein Bisschen anderes S, als in Holland.(…) Die Aussprache hat mit dem Denkprozess zu tun und der Ton mit der Anbindung an Gefühle. Ich habe die Gegenparts gelesen, angespielt, sodass sie eine Leichtigkeit im Text hat und sich nicht mehr so toll darauf konzentriert hatte: sage ich das richtige A, R, T… Üben, üben, üben, bis man begriffen hat, wo der Ton sitzt oder wie man die Zunge stellen muss."

Als Kind hat Lena Lessing selbst kaum Deutsch gesprochen, sondern Hindi und Englisch. Sie wurde 1960 in Berlin geboren. Wenig später ging ihr Vater, ein Architekt, mit der ganzen Familie für einige Jahre nach Indien:

"Ich bin nach Berlin gekommen, da war ich achteinhalb. Und ich war strohblond, blaue Augen, also sah sehr germanisch aus und sagte – ich komme aus Indien, mein Vater ist ein Inder. Alle lachten schallend, aber das war meine feste Überzeugung, dass ich dorthin gehörte. Aber als diese Reaktion kam und ich schwer damit zu kämpfen hatte, mich hier einzufügen, in diese sehr viel rauere Umgangsformen als dort, in Indien, da habe ich innerhalb von einem halben Jahr komplett die Sprache vergessen… komplett."
Dass Lena Lessing Schauspielerin werden will, steht früh fest. Mit 14 spielt sie in Berlin experimentelles Theater – und will unbedingt zum Film:

"Weil ich "Vom Winde verweht" gesehen habe und die Hauptdarstellerin Scarlett O´Hara hatte ein grünes Kleid aus Samt und dann habe ich gesagt – das möchte ich auch mal haben."

Daraus wird nichts. Dafür spielt Lena Lessing in Edgar Reitz’ Fernseh-Epos "Die zweite Heimat" mit. Das schauspielerische Handwerk hat sie unter anderem im legendären Actors Studio in New York gelernt. Und dort traf sie auch Susan Batson, den Coach von Juliette Binoche und Nicole Kidman. Der Funke sprang über. Lena Lessing beschloss, selbst als Schauspiel-Coach tätig zu werden:

"Es geht immer um das Werk oder die Geschichte. Um als Schauspieler sich hundertprozentig darauf einzulassen, muss man sich sehr gut kennen, dass man seine eigenen Schwächen nicht versteckt und vergräbt, sondern im Grunde genommen Zugang zu diesen Schwächen und Ängsten hat und sie einer Rolle zur Verfügung stellt. Es geht darum, dass man sagt: 'Oh, das glaube ich dieser Person sofort, dass sie das grade erlebt!' Was sie da spürt oder denkt, oder worauf sie sich innerlich bezieht, geht nur die Person was an oder mich, vielleicht, weil ich geholfen habe, dahin zu finden. Das gelingt mir ganz gut – besser, als selber im Rampenlicht zu stehen."

Manchmal wünscht Lena Lessing sich selbst einen Schauspiel-Coach. Immer wieder wird sie für Film- und Fernsehproduktionen gebucht und immer wieder spielt sie an der Seite der großen Stars. In John Schlesingers "…und der Himmel steht still" stand Lena Lessing mit Anthony Hopkins vor der Kamera. In "Der Vorleser" neben Kate Winslet – als eine der KZ-Aufseherinnen. Damit teilt sie das Schicksal vieler deutscher Darsteller und Darstellerinnen:

"In vielen Nazifilmen habe ich mitgespielt, gute und nicht so gute deutsche Frauen. Dieses "einem Klischee zu entsprechen" hat mir, als ich jünger war, schon zu schaffen gemacht. Aber man muss als Schauspieler damit zu Recht kommen, dass man in einer bestimmten Weise gesehen wird."
Zurzeit steht Lena Lessing im Tessin vor der Kamera. Sie spielt die Mutter der legendären Schweizer Skiläuferin Lara Gut:

"Und diese Mutter spiele ich auf Italienisch… mit deutschem Akzent… Mamma Mia! Ganz schwierig!"

Weiterführende Informationen:

Homepage von Lena Lessing
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