Exzentrische Charaktere, wunderbare Dialoge

06.10.2008
Respektloser Humor, wunderbare Dialoge, exzentrische Charaktere und ein Geschlechterkampf, in dem die Frauen stets mit pointensicheren Wortbeiträgen brillieren: Schriftsteller Pelham Grenville Wodehouse gilt in der angelsächsischen Welt als der vielleicht größte Humorist des 20. Jahrhunderts. "In alter Frische" heißt der neunte Roman der Wodehouse-Reihe, der jetzt neu aufgelegt wurde. Die kongenial-sublime Übersetzung von Thomas Schlachter macht das englische Nationalheiligtum zu einem Lesevergnügen.
Ein Lob auf den menschlichen Sammeltrieb. Mr. Peters, ein amerikanischer Millionär, dem die Welt offen steht, sucht Entspannung auf englischem Boden. Zur Behebung seiner Verdauungsprobleme, die er dem rastlosen Einsatz auf dem Felde seiner Geschäfte verdankt, heutzutage Stress genannt, rät ihm sein Nervenarzt zu einem neuen Hobby. Seither betreibt er das Sammeln von Skarabäen.

Das vollzieht er mit demselben Furor, mit dem er bisher Dollars gesammelt hat. Nebenbei versucht er seine lebenslustige Tochter unter die Haube zu bringen, standesgemäß versteht sich. Sie wird den Spross eines der angesehensten Adelsgeschlechter auf der britischen Insel heiraten, was nicht ohne Hindernisse abgeht, zumal die künftigen Verlobten schon anderweitig amourös gebunden sind.
Die Handlung, raffiniert verworren, führt nach Blandings Castle, den noblen Landsitz von Lord Emsworth. Dieser ist ebenso begierig, seinem nichtsnutzigen Sohn eine materiell abgesicherte Zukunft zu eröffnen, wie hinreißend begriffsstutzig und geistig mit entlegenen Dingen beschäftigt, so dass er vollkommen absichtslos das kostbarste Stück der Skarabäensammlung seines künftigen Familienmitglieds mitgehen lässt.

Der Run, der nun, ohne den Übeltäter zu brüskieren, auf die Wiedergewinnung des Corpus delicti einsetzt, bringt ein Tohuwabohu in Gang, in dem jeder jeden verdächtigt, die meisten in zufällig bereitgestellte Fettnäpfchen treten, um am Ende einigermaßen seelisch gerupft und komplett überrascht dazustehen.

Selbsternannte Detektive schleichen nächtens durch Gärten und Schlossflure, Schüsse fallen, falsche Diener verwickeln sich in Liebesdinge und stellen falschen Gouvernanten nach. Junge Liebende haben Verwechslungs- und Eifersuchtsszenen durchzustehen, aristokratische Bonvivants pflegen in Ermangelung höherer intellektueller Gaben das Zeremoniell gesitteter Mahlzeiten. Nach Kräften wird die Upper Class auf die Schippe genommen, wie etwa beim Lunch im eleganten Senior Conservative Club: "Um im Speisesaal des Clubs zwischen eins und halb drei Uhr nachmittags aufzufallen, muss man ein Lammkotelett sein, kein Graf."

Schlauer hingegen sind die Bediensteten wie der Oberkellner Adams, "dessen alleiniger Daseinszweck es ist, potentielle Speisende genauso sicher an ihren Bestimmungsort zu bringen, wie ein Bernhardinerhund Urlauber aus alpinen Schneeverwehungen führt."
Das wirkt alles wie bester Nonsens. Doch Vorsicht, Wodehouses Roman von 1915 ist mehr als nur Klamauk. Selten hat uns ein Autor so humorvoll und gleichzeitig so geistreich vorgemacht, wie man sich - im England der spätviktorianischen Zeit - aufs schönste in die gute alte Komödientradition stellt und dabei eine geradezu zeitlose Mixtur aus fortgesetzten Lachnummern, Esprit und anarchischem Tiefsinn fabriziert.

So ergibt sich die Komik der Situationen aus der absurden Zerstreutheit der Figuren, vor allem Lord Emsworth': aus der Gegenüberstellung der feinen Sitten der hochgestellten Gesellschaft und der Übertretung derselben durch das niedere Personal und aus dem hübsch sarkastisch verwendeten Stilmittel der Wiederholung scheinbar tiefgründiger, vollständig absurder Äußerungen.

Dabei trägt der erste der sogenannten (13) Blandings-Romane schon alle Merkmale der Screwball Comedy, bevor sie überhaupt entstand: respektlosen Humor, wunderbare Dialoge, exzentrische Charaktere und am Ende auch den Geschlechterkampf, in dem die Frauen stets mit pointensicheren Wortbeiträgen brillieren. Allerdings, bei Wodehouse geht es noch spätviktorianisch recht keusch zu.

Pelham Grenville Wodehouse (1881-1975), genannt "Plum", gilt in der angelsächsischen Welt als der vielleicht größte Humorist des 20. Jahrhunderts. Allerdings schützte ihn sein sprichwörtlicher Esprit nicht davor, sich von den Nazis vereinnahmen zu lassen, als er während der Besetzung Frankreichs interniert wurde. So verfasste er in deren Auftrag eine Serie von launigen Radiogeschichten. Das ist ein entschieden hässlicher Fleck auf der ansonsten noblen Weste des Erfinders des Slogans "Anything goes" - "Mach', was du willst!", einer 1934 unter diesem Titel von Cole Porter vertonten Comedy, schrieb 90 Romane, 30 Theaterstücke und Musicallibretti. Sein Werk versammelt eine Fangemeinde, die von Brecht bis Salmon Rushdie reicht.

Doch nicht nur berühmte Schriftstellerkollegen verneigten sich vor seiner Stilkunst, dem typischen Wodehouse-Witz. Ohne den produktiven Wahlamerikaner wäre der britische Humor nicht, was er ist: das Erkennungsmerkmal für die ausgeprägte Lust am Subversiven. Ob Monthy Python-Filme oder der jüngste Star der englischen komischen Literatur, Alan Bennett - sie sind ohne Wodehouse nicht denkbar. Allesamt sind sie beim Meister des Wortwitzes in die Schule gegangen, haben gelernt, wie man aus dieser unverwechselbaren Mischung von sprachlicher Virtuosität und possenhaftem Geschehen Funken schlägt.

Wunderbar, dass hierzulande, wo das Beiwort "humoristisch" stets in die Schublade der Unterhaltungsliteratur gesperrt wird, Wodehouse endlich die Aufmerksamkeit erfährt, die ihm gebührt. "In alter Frische" ist der neunte Roman der Wodehouse-Reihe, die der Epoca-Verlag seit drei Jahren auflegt. Dank seinem kongenial-sublimen Übersetzer Thomas Schlachter wird das englische Nationalheiligtum endlich auch für uns zu einem ausufernden, fortgesetzt-glucksenden (Lese-) Vergnügen.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Pelham Grenville Wodehouse: In alter Frische
Aus dem Englischen von Thomas Schlachter
Edition Epoca, Zürich 2008
254 Seiten, 19,95 Euro