"Extreme Vandalen" im Aufstand

18.08.2010
Vietnam-Krieg, Bürgerrechte, Repression und Paranoia: Der umstrittene Pädagogik-Professor und einstige linke Aktivist Bill Ayers berichtet in seinen Memoiren von der amerikanischen Protestbewegung der 60er-Jahre.
Bill Ayers ist nach wie vor eine umstrittene Figur. Zwar ist er ein durchaus etablierter älterer Herr, Professor für Pädagogik an der University of Illinois in Chicago. Aber er galt in seiner Jugend als Terrorist, war 1969 Mitbegründer der militanten Untergrundorganisation "Weather Underground", die in den 70er-Jahren für eine Reihe von Bombenanschlägen auf öffentliche Einrichtungen verantwortlich war. Zehn Jahre lebte er im Untergrund.

Während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes 2008 warf unter anderem die republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin dem demokratischen Kandidaten Barack Obama vor, "mit Terroristen rumzukumpeln": Obama hatte als Senator von Illinois Professor Ayers im Zusammenhang mit einem Chicagoer Schulreformprogramm getroffen.

Bill Ayers und die Erinnerung an die radikalen Protestbewegungen der 60er- und 70er-Jahre vermögen also in den USA die Gemüter noch immer zu erhitzen. Ayers' Erinnerungsbuch geht mit dieser Tatsache insofern geschickt um, als der Autor von Anfang an die Unzuverlässigkeit der Erinnerung zum Thema macht und seine Memoiren bewusst impressionistisch hält. Trotzdem ist das Buch gut verständlich und angenehm zu lesen. Gut die Hälfte ist der Zeit vor der Radikalisierung und dem Gang in den Untergrund gewidmet.

Ayers beschreibt darin ausführlich das Unbehagen seiner Generation, die paranoide Kalte-Krieg-Stimmung und den repressiven Antikommunismus der 50er-Jahre. Er macht klar, wie sehr die schwarze Bürgerrechtsbewegung und der Vietnam-Krieg in den 60ern prägende Erlebnisse von Unrecht waren, die eine ganze Generation von Studenten in den Aufstand trieben. Und er schildert den Mahlstrom immer schärferer Konfrontationen mit der Polizei und wie sich die Protestbewegungen immer mehr radikalisierten.

Selbstkritisch erzählt er dann von der Hinwendung zur Gewalt, als sich ein Häufchen Nonkonformisten plötzlich zu einer militärischen Truppe zu formen suchte, er berichtet von den Misserfolgen, dem Drama, als seine Freundin Diana Oughton bei einer Bombenexplosion starb, und vom Alltag im Untergrund.

Bei aller Selbstkritik verwahrt sich Ayers jedoch dezidiert dagegen, als Terrorist bezeichnet zu werden. Die "Weathermen" seien extreme Vandalen, aber keine Terroristen gewesen. Er bereue vieles – den Dogmatismus, die ideologische Zersplitterung, das Macho-Gehabe der Anführer. "Aber ich habe nie einen Menschen getötet und nie einen verletzt. Und ich habe es keine Minute lang bedauert, mit jeder Faser meines Wesens Widerstand gegen den mörderischen Vietnamkrieg geleistet zu haben."

Das letzte Wort über die Protestbewegungen und ihre Radikalisierung in den USA ist mit diesen persönlichen Erinnerungen natürlich nicht gesprochen beziehungsweise geschrieben. Doch als Blick hinter die Kulissen einer bewegten Zeit der US-amerikanischen Geschichte ist das Buch auf jeden Fall eine spannende Lektüre.

Besprochen von Catherine Newmark

Bill Ayers, "Flüchtige Tage. Erinnerungen aus dem Weather Underground"
Aus dem Amerikanischen von pociao und Walter Hartmann
Ventil Verlag/quiet books, Mainz/Zürich 2010
400 Seiten, 24,90 Euro
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