Donnerstag, 28. März 2024

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Faye Webster: "Atlanta Millionaires Club"
Kombination von Musik und Visuellem

Faye Webster, 21 Jahre jung, aufgewachsen in Atlanta: Musikerin, Fotografin - vor allem für die Hip-Hop Szene. Inszenierte Porträts sind ihre große Vorliebe. "Wenn ich ein Foto mache, stecke ich da so viel Arbeit hinein wie in einen Song", sagte sie im Dlf-Interview.

Faye Webster im Corsogespräch mit Bernd Lechler | 18.05.2019
Bernd Lechler: Woher kommt denn diese Retro-Note, dieses Faible für gespielte Musik statt Hiphop-typisches Programming?
Faye Webster: Ich glaube, so kannte ich das einfach immer. Gitarre spielen und Songs schreiben kam zuerst. Erst hinterher kam ich dann zu Awful und der ganzen Hiphop-Szene.
Lechler: Und woher die Liebe zur Pedal Steel Guitar?
Webster: Meine Mama kommt aus Texas, deswegen wuchs ich mit Western-Swing auf. Und eine meiner Lieblingsbands ist Asleep At The Wheel, die haben schon immer Pedal Steel, und da hab ich mich in den Sound verliebt.
Lechler: War da auch der Gedanke, sich dadurch von allen anderen abzusetzen?
Webster: Ja, ich will schon auch etwas Eigenes machen! Manchmal im Studio, wenn wir zum Beispiel Bläser aufnehmen, dann spiele ich den anderen Songs von populären Bands vor, die auch Bläser haben, und sage: "So darf es nicht klingen!" Wir hören uns andere Sachen nicht an, um einen "Vibe" zu finden - sondern um es anders zu machen.
Erste Gesangsversuche unter der Bettdecke
Lechler: Wie kamen Sie überhaupt zur Musik, lag’s in der Familie?
Webster: Auf jeden Fall. Mein Bruder spielte Gitarre, und ich bewunderte ihn sehr dafür. Und wie gesagt, die Familie meiner Mutter war sehr musikalisch unterwegs.
Lechler: Wie meinen Sie das?
Webster: Da machen einfach alle ständig Musik. Ich bin mit lauter Cousins aufgewachsen, die Gitarre spielten und sangen; mein Großvater auch…
Lechler: Und stimmt es, dass Sie Ihre Art zu singen unter der Bettdecke entdeckt haben?
Webster: Ja, das stimmt! Da musste ich für Ethereal, den Rapper, einen Song einsingen und wollte meine Eltern nicht wecken. Also sang ich ganz leise, und schickte es ihm mit dem Kommentar: ‚Keine Sorge, ich nehme das morgen nochmal richtig auf!’ Aber er schrieb zurück: ‚Nein, es ist perfekt!’ Und weil das so mühelos gegangen war, dachte ich: Vielleicht sollte ich immer so singen. Fast wie ich rede."
Lechler: Beim Rap-Kollektiv PSA, dem Sie eine Weile angehörten - wie war das, was taten Sie da genau?
Webster: Das waren einfach meine besten Highschool-Freunde, mit denen ich ohnehin 24 Stunden am Tag zusammen war. Sie führten mich in eine musikalische Welt ein, die mir nicht vertraut war. Das half sehr - ich lernte, Songs mit jemandem zusammen zu schreiben; Songs zu singen, die ich nicht selbst geschrieben hatte. Und einfach ungewohnte Sachen zu machen.
Lechler: Fielen Sie sehr auf, als weißes Mädchen in der Hiphop-Szene von Atlanta?
Webster: Ein bisschen. Als ich bei Awful einstieg, dem Label, gab es da vielleicht vier Weiße. Aber ich fühlte mich wohl, ich hatte das Gefühl: Da gehöre ich hin.
Nashville ist langweilig
Lechler: Dann gingen Sie zum Studieren nach Nashville - und mochten es gar nicht.
Webster: Mir fehlte vor allem das Leben in Atlanta. Atlanta ist so bunt gemischt, Nashville überhaupt nicht. Ich wusste in meiner Freizeit nicht, was ich tun soll.
Lechler: Inwiefern ist Nashville nicht vielfältig?
Webster: Ich fand einfach, die machten alles das Gleiche. Und es herrschte ein irrer Konkurrenzdruck. Für mich sahen auch alle gleich aus. Und es gibt keine andere Musik außer Americana, keine!
Lechler: Wenn Sie also selber besser wissen, was für Sie passt: Was macht einen guten Song aus?
Webster: Er muss einen starken Text haben und die Hörer etwas Bestimmtes fühlen lassen. Das, was man selber beim Schreiben gefühlt hat. Das muss rüberkommen.
Lechler: Im Song "Hurts Me Too" singen Sie zum Beispiel: "Ich will keinen Text mehr ändern, nur damit es netter klingt." Haben Sie das gemacht?
Webster: Ja, ich hatte bei einem Song meinen Bruder gefragt, ob ich den Text wohl ändern solle, damit er nicht die Gefühle meiner Mutter verletzt. Er sagte dann: "Nein, mach das nicht, deine Kunst ist eben so." Da wurde mir klar, dass mir Leute zuhören, also muss ich auch etwas erzählen. Ich glaube, viele Songwriter singen nur, was schön klingt; sie weichen aus, damit sich’s reimt, und sie wollen gewitzt sein. Ich dagegen sage ziemlich direkt, was ich halt sagen will.
Lechler: Und in dem besagten Song, was stand da drin, was Ihnen nicht geheuer war?
Webster: Ich glaube, da ging es um meine Großmutter, der es damals nicht gut ging. Und ich dachte: Ich will nicht, dass meine Mama da weinen muss!
Liebegeständnis per Brieftaube
Lechler: Dann gibt es den Song "Pigeon" - Sie haben nicht wirklich eine Brieftaube verschickt, oder?
Webster: Doch! Ich war in diesen Australier verliebt und schickte ihm eine Brieftaube mit einem Zettel am Bein. Ich weiß auch nicht - wahrscheinlich hätte ich auch einfach eine SMS schreiben können. Aber ich schickte die Taube.
Lechler: Man kann eine Taube von Atlanta nach Australien schicken?!
Webster: Ja! Man muss halt das internationale Porto bezahlen. Ich weiß auch nicht, wie es funktioniert, ich habe es einfach gemacht!
Lechler: Kam sie an?
Webster: Ja, offenbar direkt vor seiner Tür. Es war nur ein Satz, man konnte nicht viel schreiben, vielleicht können Tauben nicht so viel Tinte tragen.
Lechler: Nach der Aktion muss er Ihnen einen Heiratsantrag gemacht haben.
Webster: Nein, hat er tatsächlich nicht.
Lechler: Was bedeutet Ihnen Songwriting? Schütten Sie da Ihr Herz aus?
Webster: Ich versuche es. Es geht beim Songwriting genau darum, seine Gedanken und Gefühle nach draußen zu bringen. Und im besten Fall hört jemand wirklich zu.
Eine Hommage an mich
Lechler: Wovon handelt die Single, "Room Temperature"?
Webster: Das Lied ist für mich selbst. Mir fällt es nämlich immer schwer, nicht über Liebe zu schreiben. Dieser Song ist aber eine Hommage an mich. Er bedeutet, dass ich nicht immer über jemand anders schreiben muss.
Lechler: Dann ist diese Zeile "I should get out more" ironisch?
Webster: Ich sollte wirklich mehr raus. Wenn ich nicht auf Tour bin, hocke ich zu Hause und spiele Videogames oder so. Aber mir geht’s gut, daheim mit meinem Hund. Da kann ich tagelang für mich sein.
Lechler: Und ich dachte, Sie spielen so viel Baseball.
Webster: Stimmt, ich habe meine Handschuhe, meine Batting Gloves, auch auf Tour immer dabei. Ich spiele aber in keinem Team, ich gehe allein in den Batting Cage, das ist wie Therapie für mich, ein paar Bälle zu schlagen.
Das Corsogespräch mit Faye Webster - hören Sie hier in englischer Originalversion
Lechler: Könnte man sagen, dieses ganze Album handelt vom Alleinsein?
Webster: Bestimmt. Ich habe es in der Zeit geschrieben, als ich nach dem College wieder zu Hause war. Und nun eben in einem Haus ganz für mich - nachdem ich in einer fünfköpfigen Familie aufgewachsen und dann mit anderen Kids am College war. Aber ich bin eigentlich schon zufrieden so. Aus dieser neuen Situation jedenfalls entstand das Album.
Lechler: Würde dann ein nächstes Album jetzt schon von ganz was Anderem handeln?
Webster: Vielleicht... Zwei Songs haben ich schon geschrieben und aufgenommen. Der eine handelt von meinem liebsten Baseballspieler, der andere vom Alleinsein. Also wohl doch nicht!
Fotografie als weiteres kreatives Ventil
Lechler: Sie fotografieren auch. Wie wichtig ist das?
Webster: Total wichtig. Mit Musik kenne ich mich am besten aus, daher kommt die schon an erster Stelle. Aber die Fotografie ist noch ein besonderes kreatives Ventil. Da komme ich weg von allem anderen, und ich nehme sie wirklich ernst.
Lechler: Ein Lieblingsfoto von Ihnen?
Webster: Ich mag den Maler Kehinde Wiley sehr. Er hat so eine bestimmte Art, sein Motiv in den Hintergrund einzubetten, das versuche ich so ähnlich auch hinzukriegen, nur mache ich das nicht mit graphischen Mustern wie er. Aber ich habe ein Porträt von Lil Yachty, dem Rapper gemacht, mit seinen prägnanten roten Haaren und den roten Klamotten, den stellte ich vor große tropische Blätter, die ich rot angemalt hatte. Es war eines meiner ersten Fotos, aber es ist immer noch mein liebstes. Ich mag inszenierte Porträts. Schnappschüsse können schon auch Spaß machen, aber wenn ich ein Foto mache, stecke ich da so viel Arbeit hinein wie in einen Song.
Lechler: Dann war Ihr Porträt auf dem Albumcover auch Ihre Idee?
Webster: Ja, mein bester Freund macht alle Fotos von mir, er heißt Eats Humans. Wir sind ein Dreamteam, ich bestelle ihn immer nach Atlanta, und dann fotografieren wir zwei Wochen lang. Für das Cover brauchten wir drei Tage Versuch und Irrtum, und mir war total schlecht von der vielen Schokolade. Aber das war’s wert.
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