"Barbier von Sevilla" in Berlin

Figaro als Hipster mit Männerdutt

"Il barbiere di Siviglia" an der Komischen Oper Berlin
Tansel Akzeybek (l-r) als Il Conte d'Almaviva, Tareq Nazmi als Basilio und Dominik Köninger als Figaro in der Oper "Barbier von Sevilla" von Gioacchino Rossini in der Komischen Oper Berlin © picture alliance/dpa/Foto: Monika Skolimowska
Von Uwe Friedrich · 09.10.2016
Zu Beginn kommt Rossinis Oper "Barbier von Sevilla" an der Komischen Oper in Berlin noch unterhaltsam mit Videoprojektionen, Hipster-Attitüde und einem Conchita-Wurst-Double daher. Gesang und Dirigent überzeugen insgesamt aber nicht.
Ein gelangweilter Halbwüchsiger und sein bester Freund verirren sich ins Opernhaus, schon die sechsminütige Ouvertüre zum "Barbier von Sevilla" ist ihnen zu lang, die Aufmerksamkeitsspanne reicht über ein paar WhatsApp-Nachrichten kaum hinaus. Der Begleiter zählt schon mal die übrigen Seiten der Partitur, während der Dirigent Antonello Manacorda stoisch das sichtbare Orchester im hochgefahrenen Graben dirigiert.
Der Halbwüchsige hat sich in eine gewisse Rosina verguckt, die von ihrem Vormund streng unter Verschluss gehalten wird. Die beiden chatten aber unverdrossen in den bekannten sozialen Netzwerken und stehen so in regem Austausch. Das könnte ein spannender Ansatz sein, denn in Gioachino Rossinis Oper aus dem Jahr 1816 geht es um verhinderte Kommunikation, vor allem aber um Geld, weniger um Liebe. Was passiert mit dieser Handlung, wenn die "Liebenden" ungehindert kommunizieren können? Diese Frage interessiert den russischen Regisseur Kirill Serebrennikow aber allenfalls zu Beginn seiner Inszenierung.

Rosina trägt Jogginghose und Feinrippunterhemd

Mit den Videoprojektionen von Ilya Shagalov legt er eine Folie geschönter Internetprofile über die Bühnenhandlung, die an den Kulissenwänden mitgelesen werden können. Das sorgt für erste Lacher, bleibt für das weitere Geschehen aber folgenlos. Figaro ist ein Hipster mit Männerdutt und Ohrtunneln, Typ Großstadtsamurai, der immer irgendein Projekt am Laufen hat. Rosina trägt Jogginghose und Feinrippunterhemd, der strenge Vormund Bartolo und seine Haushälterin Berta leben in einem Trödelladen, in dem sich der Verehrer Rosinas zuerst als muslimischer Flüchtling (statt als Soldat) und dann als Conchita-Wurst-Double (statt als Gesangslehrer) Zugang verschafft.


Kann man alles so machen, zumal Serebrennikow durchaus Gespür für den kürzesten Weg zum nächsten Lacher hat. Detaillierte Fragen nach einer inneren Logik darf man an das übergestülpte Dekor aber nicht stellen. Dafür ignoriert Serebrennikow jedoch weitgehend die feinmotorische Komik der Türenkomödie Rossinis und seines Librettisten Sterbini. Der Auftritt der Polizei im ersten Finale sowie das Erscheinen des echten Gesanglehrers und sein widerwilliges Verschwinden nach großzügiger Bestechung im zweiten Akt werden beispielsweise komplett verschenkt. Das liegt allerdings auch am Dirigenten Antonello Manacorda, der eigenartig unentschlossen zwischen Überpointierung und Formlosigkeit schwankt.
Oper "Il barbiere di Siviglia" 
Nicole Chevalier (r) als Rosina und Tansel Akzeybek als Il Conte d'Almaviva in der Oper "Barbier von Sevill" von Rossini.© picture alliance/dpa/Foto: Monika Skolimowska

Unbefriedigender Koloraturgesang

Generalpausen werden überdehnt, für die fein austarierte Geschwindigkeitslogik der Partitur findet er kein übergeordnetes Tempo, auf die Dauer wirkt das verblüffend unpräzise. Der Bariton Dominik Köninger mogelt sich schon durch seine virtuose Auftrittsarie und setzt damit den Standard für den unbefriedigenden Koloraturgesang des gesamten Abends.
Nicole Chevalier fehlt die stimmliche Leichtigkeit für das gerissene junge Mädchen, das aus dem Käfig des geizigen Vormunds ausbrechen will und der Tenor Tansel Akzeybek ist als Almaviva nur in dem kurzen Moment wirklich überzeugend, in dem er seine entfernte Geliebte nach Schlagerart anschmachtet und die gesangstechnischen Anforderungen des Belcantogesangs bewusst ignorieren darf.

Die Inszenierung fällt zwischen die Stühle

Sie alle sind in diesem Repertoire hörbar nicht zu Hause und schlagen sich nach Kräften, ohne die Anforderungen dieser Musik erfüllen zu können. Einzig Denis Milo zeigt in der Nebenrolle des Fiorello stimmlichen Charme und Stilsicherheit, während die restlichen Ensemblekräfte vor allem mit Höhenproblemen und stilistischer Unbeholfenheit auf sich aufmerksam machen. So fällt der neue "Barbier von Sevilla" an der Komischen Oper Berlin zwischen die Stühle: Wer eine schenkelklopfende Posse sehen möchte, der wird mit Katharina Thalbachs Inszenierung an der Deutschen Oper noch hemmungsloser bedient (dort wird in der Regel auch besser gesungen), wer hingegen etwas über das Beziehungsgeflecht und die hintergründige Komik des Werks erfahren möchte, dem sei noch immer die fast 50 Jahre alte Inszenierung von Ruth Berghaus an der Berliner Staatsoper empfohlen.

Weitere Informationen zum "Barbier von Sevilla" an der Komischen Oper Berlin

Anmerkung der Redaktion: In der ersten Fassung wurde zu einem Musikbeispiel der falsche Sängername genannt. Das Musikbeispiel wurde entfernt.
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