Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

CD-Debüt Kiveli Dörken
Elan und Kunstfertigkeit

Melodienreichtum und prickelnde Virtuosität: Es erscheint bizarr, dass Josef Suks Klavierquintett nicht längst zum Standardrepertoire gehört. Vielleicht ändert sich das mit der neuen Aufnahme der Pianistin Kiveli Dörken.

Am Mikrofon: Mascha Drost | 05.07.2020
    Eine junge Frau mit dunklen Locken sitz auf einem Stuhl und dreht ihren Kopf lächelnd zur Seite.
    Hat sich für ihr CD-Debüt prominente Begleiter ausgesucht: Kiveli Dörken. (Kiveli Dörken / Giorgia Bertazzi)
    Jugendliches Ungestüm und große Meisterschaft vereint das Klavierquintett von Josef Suk. Warum es nicht schon längst zum Standardrepertoire gehört, bleibt ein Rätsel. Die Vorzüge kommen in einer neuen Aufnahme bestens zur Geltung - es ist das Debüt der Pianistin Kiveli Dörken, die sich mit Christian und Tanja Tetzlaff, Florian Donderer und Timothy Ridout ein Spitzenensemble an die Seite geholt hat.
    Musik: Klavierquintett g-Moll, op. 8 - 1. Satz "Allegro energico"
    Von Johannes Brahms gehört und für gut befunden: Höher konnte eine Würdigung nicht ausfallen und erst recht nicht für einen jungen Komponisten wie Josef Suk. Damit hatte er einen zweiten wichtigen Förderer gewonnen - der erste war sein Lehrer am Prager Konservatorium Antonín Dvořák. Nicht die schlechtesten Bedingungen für einen 19-Jährigen, diese zwei Mentoren an seiner Seite zu wissen, aber Josef Suk war eben auch ein außergewöhnlicher Student.
    Füllhorn an Klangfarben und Stimmungen
    Mit elf Jahren erspielte er sich als Geiger einen Platz im Konservatorium, auch das Klavier beherrschte er konzertreif, und was das Komponieren angeht, so scheinen ihm die Ideen nur so zugeflogen zu sein. Über dem Klavierquintett, entstanden 1893, hat er jedenfalls ein wahres Füllhorn an Klangfarben und Stimmungen ausgeschüttet: Verspielt-folkloristisches mündet in donnerndes Tastengewitter, große Kantilenen werden abrupt umgeleitet, und ganz vorsichtig wird auch harmonisch experimentiert; nicht zu viel, damit Brahms nicht die Nase rümpft, aber genug, um die aufkommenden Moderne nicht zu ignorieren.
    Musik: Klavierquintett g-Moll, op. 8 - 1. Satz "Allegro energico"
    Ein sympathisches Maß an post-pubertärem Imponiergehabe kann man dem Klavierquintett von Josef Suk nicht absprechen – aber von einem jungen Mann zu erwarten, bei den eigenen üppig vorhandenen kompositorischen Möglichkeiten zu knausern - das wäre zu viel verlangt. Diese neue Aufnahme, das Debüt der Pianistin Kiveli Dörken, spielt die Vorzüge von Suk jedenfalls offensiv aus: Es wird geschwelgt und klanggebadet, jedes Solo ausgekostet, aber bei dieser Riege an stilsicheren Musikerinnen und Musikern besteht an keiner Stelle die Gefahr eines "zuviel des Guten".
    Zauberhaft weltentrückt
    Temperamentvollen Ausbrüche und ein extrovertiertes Wesen prägen den ersten Satz des Klavierquintetts, im zweiten dagegen versenkt sich Suk ins Innere - "Adagio. Religioso". So ätherisch der Anfang auch anmutet - und so zauberhaft weltentrückt er auch gespielt wird -, aus dem sich anschließenden Cellosolo spricht sicher nicht nur religiöse Schwärmerei...
    Musik: Klavierquintett g-Moll, op. 8 - 2. Satz "Adagio. Religioso"
    Jedes Solo ein Ereignis: erst Tanja Tetzlaff am Cello, dann Bruder Christian als 1. Geiger. Josef Suk wusste, wie man jeden einzelnen Musiker und ein Ensemble als Ganzes strahlen lässt. Genug Zeit zum Üben und Proben vorausgesetzt, denn das Klavierquintett ist knifflig. Josef Suk selbst war fast 40 Jahre lang 2. Geiger im Böhmischen Streichquartett, und er hat es seinen Kollegen nicht unbedingt einfach gemacht.
    Spielfreudiges Ensemble
    Aber wenn man so vergnügt trillern kann wie Kiveli Dörken und mit Timothy Ridout einen Bratscher im Ensemble hat, dessen Klangschönheit und natürliche Phrasierung bei jedem noch so kleinen Solo aufhorchen lassen - dann stellt sich Spielfreude von ganz allein ein.
    Musik: Klavierquintett g-Moll, op. 8 - 3. Satz "Scherzo. Presto"
    Als hätte Gabriel Fauré Böhmen einen kleinen Besuch abgestattet: Ein Hauch französischer Harmonien weht hier durch das Scherzo von Josef Suks Klavierquintett. Viel offensichtlicher allerdings sind die Parallelen zu seinem Lehrer und Vorbild Antonín Dvořák und zu dessen Klavierquintett A-Dur, das nur wenige Jahre zuvor entstanden war. Die Verbindung von Erdigkeit und Raffinesse ist Suk natürlich nicht ganz so meisterhaft gelungen wie dem Meister selbst, aber das ist bei einem Jugendwerk Kritik auf höchstem Niveau.
    Idealbesetzung für Kiveli Dörkens Debüt
    Engagiertere Fürsprecher als das Ensemble um Kiveli Dörken hätte sich das Werk jedenfalls nicht wünschen können - jeder Ton mit Leben erfüllt, keine Phrase, die nicht beseelt wird. Kunstfertigkeit und Elan kommen hier zusammen, und obwohl Christian Tetzlaff, Florian Donderer und Tanja Tetzlaff seit Jahrzehnten zusammen musizieren, halten sich Vertrautheit und Spannung die Waage.
    Musik: Musik: Klavierquintett g-Moll, op. 8 - 4. Satz "Allegro con fuoco"
    Spielen und spielen lassen: Nur so geht Kammermusik. Die Geiger Christian Tetzlaff und Florian Donderer, der Bratschist Timothy Ridout und die Cellistin Tanja Tetzlaff haben sich mit Kiveli Dörken zusammengetan, das Debüt der Pianistin ist Josef Suk gewidmet. Das war der Schluss aus seinem Klavierquintett op. 8, das stolze Werk eines hochbegabten 19-Jährigen.
    Stimmungsbilder in Grautönen: "Erlebtes und Erträumtes" von Josef Suk
    Diesem jugendlichen Überschwang hat Kiveli Dörken ein völlig gegensätzliches Werk gegenübergestellt, den Klavierzyklus "Erlebtes und Erträumtes". Es ist ein Blick in das Innere des gealterten und von Schicksalsschlägen wie dem frühen Tod seiner Frau nicht verschonten Komponisten - Stimmungsbilder in Grautönen, mal lichter, mal dunkler; musikalische Gedanken, die aus sich heraus entstehen, sich fortspinnen, und manchmal im Nichts enden. Brillieren konnte Kiveli Dörken im Quintett, hier versenkt sie sich in eine stille Welt und leuchtet sie aus - feinfühlig und mit großer innerer Ruhe.
    Musik: 10 Klavierstücke, op. 30 "Erlebtes und Erträumtes" - Nr. 10 "Adagio. Träumerisch (Den vergessenen Grabhügeln auf unserem Dorffriedhofe)"
    Es ist ein überzeugendes Debüt, das die Pianistin Kiveli Dörken vorgelegt hat und ein Plädoyer für einen bis heute zu wenig gespielten Komponisten. Josef Suk, sein Klavierzyklus "Erlebtes und Erträumtes" und sein Klavierquintett finden sich auf der gerade beim Label Ars Produktion erschienen Aufnahme, prominente Unterstützung kommt von Christian und Tanja Tetzlaff, Florian Donderer und Timothy Ridout.
    Josef Suk: Klavierquintett op.8

    Josef Suk
    Klavierquintett g-Moll, op.8
    10 Klavierstücke, op. 30 "Erlebtes und Erträumtes"

    Kiveli Dörken, Klavier
    Christian Tetzlaff und Florian Donderer, Violine
    Timothy Ridout, Viola
    Tanja Tetzlaff, Violoncello

    Label: Ars Produktion