Experiment Finanzkommune

Wenn Freunde ihr Geld miteinander teilen

Geldscheine in einem Topf.
Gemeinsame Kasse - was macht das mit einer Kommune? © imago / Thomas Eisenhuth
Von Lou Zucker · 18.09.2018
Mein Geld, dein Geld - das gibt es für die 30-jährige Hjördi nicht mehr, denn sie lebt in einer Finanzkommune, in der das Einkommen aller in einen gemeinsamen Topf geht. Jede Ausgabe muss vom Plenum genehmigt werden und wird so zu einer großen Angelegenheit.
Hjördi und ich treffen uns zum Shoppen in einer schicken Einkaufsgegend in Berlin-Mitte.
"Ich werde mir jetzt mal Schuhe kaufen", sagt Hjördi. "Habe ich beschlossen. Haben wir beschlossen."
Warum wir?
"Na, ich habe quasi im Plenum angekündigt, dass ich einen dringenden Bedarf an so Sandalen habe."
Hjördi lebt in einer Finanzkommune. Seit fünf Jahren teilt sie sich mit vier Freundinnen und Freunden ihr Geld. Gegen den Kauf der neuen Schuhe hatte niemand was.
"Das ist jetzt mein erstes Mal, dass ich hier in so einen schnieken Laden reingehe… Guck mal hier, solche in die Richtung dachte ich, weißt du?"
Sie probiert ein Paar dunkelblaue Ledersandalen an. Die Preise in diesem Geschäft liegen bei 50 bis 80 Euro. Ist eine Anschaffung teurer als 100 Euro, wird sie gemeinsam besprochen. Weil die Schuhe für Hjördi aber ein Luxus sind, hat sie trotzdem vorher die Kommune gefragt. Plenum ist einmal die Woche.

Ein neues Handy? Das Plenum zögert

Es beginnt wie immer mit einem Abendessen. Auf dem Tisch stehen Rotwein und eine Kerze. An der Wand hängt ein selbstgebastelter WG-Kalender. Die Kommune trifft sich im Wohnzimmer von Hjördis, Janas und Claras gemeinsamer Wohnung. Felix wohnt nicht mit den anderen zusammen. Gregor ist im Urlaub.
Alle sind zwischen 29 und 32 Jahre alt, verdienen jeweils zwischen 780 und 1.600 Euro. Clara ist professionelle Geigerin, ihren neuen Geigenbogen von 2.000 Euro finanziert die Kommune gemeinsam. Davon, dass Lehramtsstudent Felix sich ein neues Handy kaufen möchte, sind die anderen allerdings noch nicht so überzeugt.
Hjördi ist Bildungsreferentin im Antidiskriminierungsbereich. Ihre alte Arbeitsstelle hat sie gekündigt, weil sie ein Buch schreiben will. Den Mut zu diesem Schritt hat ihr die Kommune gegeben.
"Vorher wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, dass ich die Lohnarbeit mal aussetzen könnte. Das wäre echt weit weg gewesen von meinen Denkmöglichkeiten. Ich wurde da sehr von der Kommune darin bestärkt, das zu machen."

Manchmal entstehen Neidgefühle

Wie findet ihr andern das?
"Während ich schon in der Kommunengruppe war, schon ein paar Jahre, habe ich einen Erasmusaufenthalt gehabt, in Portugal ein halbes Jahr, wofür ich eigentlich kein Geld gehabt hätte, wenn ich alleine gewesen wäre", meint Clara. "Und in der Kommune habe ich irgendwann angemeldet, ich würde so gerne nochmal ins Ausland, das kostet aber so viel und in dem Moment haben wir gesagt, ok, wie viel kostet das und haben ab dem Zeitpunkt, ab dem ich den Wunsch geäußert hab, jeden Monat dafür gespart, dass ich diesen Auslandsaufenthalt machen kann."
Clara findet, alle sollten sich so eine Auszeit nehmen können. Dennoch muss die Kommune auch aufs Geld achten. Nicht alle Bedürfnisse von jedem können auf einmal erfüllt werden. Manchmal entstehen dabei Neidgefühle.
"Naja, also, wir hatten auf jeden Fall schon persönliche Krisen miteinander", räumt Hjördi ein.
"Wir hatten auch schon zwei Ausstiege. Also, ich muss schon nachträglich sagen, dass ich immer noch so einen anhaltenden Neid habe auf eine Person, die ausgestiegen ist und von der ich der Meinung bin, dass sie irgendwie finanziell besser aufgestellt war als der Rest der Gruppe und ich das mit als Grund verortet habe, dass die Person eben so einen Ausstieg gemacht hat. So eine Perspektive, glaube ich, die erfüllt mich so manchmal noch mit Neid. Dass gerade diejenigen, die irgendwie eine Chance haben auf ein Mehreinkommen, sich perspektivisch gegen Kommune oder gegen das Solidarisieren mit Leuten entscheiden, die weniger Einkommen haben.

"Eigentlich ist das doch wie eine Ehe"

Gibt euch die Kommune eher ein Gefühl von Sicherheit oder eher ein Gefühl von Unsicherheit?
Hjördi: "Ich denke interessanterweise nicht mehr so viel über Geld nach wie vorher."
Jana: "Der Moment, man geht zusammen essen, hat eine Rechnung von 100 Euro und dann wird gefragt ob man zusammen oder getrennt zahlt und natürlich zahlt man zusammen und legt man die 100 Euro hin, das ist einfach geil!"
Hjördi: "Meine Eltern versuchen immer, das zusammenzufassen, indem sie sagen, eigentlich ist das doch wie eine Ehe, oder? Ihr seid nur zu fünft. Wobei ich vielleicht sagen würde, in einer Ehe redet man weniger miteinander."
Was bedeutet es im Alltag, sein Geld miteinander zu teilen? Es bedeutet Konfliktpotenzial. Aber auch: gegenseitige Unterstützung. Die eigenen Konsumbedürfnisse zu hinterfragen und miteinander über Neidgefühle zu sprechen. Vor allem aber schafft es Zusammenhalt. Hjördi trägt ihre neuen Sandalen, die sie sich ohne die Hilfe ihrer Kommune wahrscheinlich nicht hätte leisten können.
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