Exil-Tibeter mahnt Merkel zu China-Kritik

02.02.2012
Bei ihrem China-Besuch sollte Kanzlerin Merkel die Lage in Tibet ansprechen, fordert Tsewang Norbu, Mitbegründer der Tibet Initiative Deutschland. Man dürfe dieses Thema nicht aus Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen verschweigen.
Marcus Pindur: Es ist kein Schönwetterbesuch: Die Euro-Krise wird auch in Peking mit Interesse verfolgt und die Bundeskanzlerin wird sich bei ihrem Besuch in China, zu dem sie heute in Peking eingetroffen ist, einige Fragen stellen lassen müssen. Frau Merkel wird aber anders als zum Beispiel ihr Vorgänger Gerhard Schröder auch selbst einige Fragen stellen, nämlich die nach den Menschenrechten in China. Und damit steht es nicht zum Besten, besonders in Tibet. Tsewang Norbu wurde in Tibet geboren, floh dann im Alter von zehn Jahren nach Indien und lebt seit 1973 in Deutschland und er ist der Mitbegründer der Tibet Initiative Deutschland. Guten Morgen, Herr Norbu!

Tsewang Norbu: Guten Morgen!

Pindur: Wir haben in den letzten Tagen beunruhigende Nachrichten aus Tibet bekommen, von der Verlegung chinesischer Truppen war die Rede, von Unruhen dort. Was können Sie uns zunächst einmal darüber berichten?

Norbu: Ja, die Lage in Tibet und vor allem in Osttibet ist in der Tat sehr beunruhigend. Die chinesische Führung geht sehr, sehr stark gegen die Tibeter vor. Vor allem gegen die, die in irgendeiner Form ihr Tibetersein nach außen darstellen. Und auch wenn die chinesische Führung behauptet, dass in Tibet Religionsfreiheit gegeben ist, ist es alles andere als so. Die Tibeter werden in den Klöstern unterdrückt und Repression ausgesetzt. Deswegen sehen sie sich gezwungen, gegen diese Form von Repression vorzugehen.

Pindur: Wie stellt sich das konkret im Alltag dar für die Menschen in Tibet? Wie erleben Sie die chinesische Herrschaft dort?

Norbu: Ich selber, wie Sie gesagt haben, bin sehr, sehr lange raus. Aber natürlich haben wir Kontakte zu Tibetern in Tibet, wir bekommen Informationen über Verwandte und so weiter. Jedenfalls, heutzutage in Osttibet sind auch in Dörfern, in Klöstern und in den größeren Ortschaften sehr, sehr viele chinesische Soldaten. Nicht nur Polizisten, sondern auch bewaffnete Soldaten. Jede noch so kleine Bewegung und Proteste werden sofort unterbunden.

Pindur: Was dürfen die Menschen in Tibet und wo sind Ihnen durch die politische Führung enge Grenzen gesetzt? Sie haben gerade eben von der Ausübung des Glaubens gesprochen. Wie wird da tagtäglich von der chinesischen Regierung gehandelt?

Norbu: Ja, dürfen tun sie alles, was die chinesische Führung erlaubt. Zum Beispiel, Tibeter dürfen, sogar müssen am chinesischen Neujahr feiern. das war am 22. Januar. Und viele Tibeter wollen das natürlich nicht, sondern die Tibeter wollen am tibetischen Neujahr, das heißt, einen Monat später, am 22. Februar, feiern. Aber sie werden gezwungen, auch am tibetischen (gemein ist offenbar das chinesische Neujahr - Anm. d. Red.) Neujahr zu feiern. Und einige haben dagegen protestiert. Und während China feierte, wurde auf tibetische Protestler geschossen.

Pindur: Eine Form der kulturellen Repression also. Woher bekommen Sie denn Ihre Informationen über die Situation in Tibet? Das ist ja nicht ganz einfach, da ranzukommen.

Norbu: Ja. Die schnellste Information bekommen wir über Verwandte. Und wie Sie wissen, sind in China Mobiltelefone sehr, sehr weit verbreitet, auch wenn Telefone sehr stark überwacht werden. Aber die Telefonverbindungen außerhalb der sogenannten autonomen Region sind wesentlich lockerer. Und wo jetzt gerade die meisten Demonstrationen, Proteste und Selbstverbrennungen stattfinden, sind außerhalb der sogenannten autonomen Region von Tibet. Und dann natürlich rufen sie sofort ihre Verwandten in Indien, Nepal und im Westen an und dann kriegen wir Information. Und einige Tibeter rufen auch Radiostationen, sowohl Radio Free Asia, Voice of America, Voice of Tibet und andere an. Und deswegen kriegen wir Information.

Pindur: Bundeskanzlerin Merkel hat angekündigt, sie werde auch die Frage der Menschenrechte zur Sprache bringen. Glauben Sie, dass das irgendeinen Einfluss auf die chinesische Führung hat?

Norbu: Das wird auf alle Fälle Einfluss auf die chinesische Führung haben. Anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder hat Frau Merkel etwas mehr Mut gezeigt. Und wenn sie das Thema anspricht, dann wird, auch wenn China sich nach außen hin ein bisschen verärgert zeigt, sie wird dann mehr Respekt in den Augen der chinesischen Führung haben, als wenn sie total jetzt im Interesse der Wirtschaft, das Thema total weglässt.

Pindur: Also, da ist es besser, einfach die Sache auch deutlich anzusprechen und dann auch den politischen Dissens mal stehen zu lassen?

Norbu: Auf alle Fälle. Wir Tibeter haben immer gemerkt: Wenn man offen zu seiner Sache steht, dann wird das von China wahrgenommen. Und sonst, China, zumindest formal, verhandelt mit den Tibetern. Aber China verhandelt nicht mit den Uiguren, nicht mit den Mongolen, die auch in Indien (…) sind. Und das heißt, es wird wirklich auch im Interesse der Bundesregierung sein und auch im Interesse der Menschenrechte, wenn Frau Merkel das Thema deutlich anspricht. Natürlich muss sie es sehr höflich machen. Vielleicht haben die Amerikaner es früher ein bisschen zu sehr auf amerikanische Art, ein bisschen arroganter gemacht. Aber das Thema muss man bestimmt ansprechen, das ist richtig. Und dann steigt auch der Respekt in den Augen der chinesischen Führung.

Pindur: Freundlich, aber bestimmt.

Norbu: Genau.

Pindur: Die Exiltibeter haben vor neun Monaten einen jungen Ministerpräsidenten gewählt, Lobsang Sangay. Er ist der politische Nachfolger des Dalai Lama. Wird der Ihrer Ansicht nach eher in der Lage sein, mit der chinesischen Regierung in irgendeiner Form in Kontakt zu treten? Gegenüber dem Dalai Lama wurde das ja immer verweigert.

Norbu: Ich glaube, solange die Tibeter in Tibet unzufrieden sind, muss die chinesische Regierung etwas machen. Und unsere politische Führung heißt jetzt Lobsang Sangay und China wird früher oder später gezwungen, mit ihm über eine Lösung zu verhandeln und eine Lösung zu erzielen, ob China will oder nicht. China versucht jetzt momentan, Lobsang Sangay in die Ecke eines Terroristen zu schieben, weil er Mitglied im Vorstand des Youth Congress gewesen ist. Aber solange in Tibet diese Situation herrscht und die Tibeter unzufrieden sind, muss China früher oder später auch mit Lobsang Sangay in Kontakt treten und eine Lösung versuchen.

Pindur: Herr Norbu, vielen Dank für das Gespräch!

Norbu: Vielen Dank!

Pindur: Tsewang Norbu, Mitbegründer der Tibet Initiative Deutschland.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema