Exil-Oppositioneller: Große Teile der Assad-Armee kampfunfähig

03.12.2012
In Syrien konnten die Rebellen inzwischen bis in die Region um den Flughafen von Damaskus vordringen. Erhebliche Teile der regulären Armee seien inzwischen nicht mehr fähig oder willens zu kämpfen, sagt der Exil-Oppositionelle Ferhad Ahma.
André Hatting: Der Nahostkonflikt und die Ereignisse in Ägypten haben einen Krisenherd in der Region etwas in den Hintergrund gedrängt: den syrischen Bürgerkrieg. Zuletzt kam er bei uns vor allem über den Umweg Türkei vor - das NATO-Mitglied hat ja Patriot-Abwehrraketen zur Sicherung ihrer Grenze angefordert, die unter anderem Deutschland liefern soll. Voraussichtlich am Donnerstag will die Bundesregierung darüber entscheiden. Seit vergangenem Donnerstag konzentrieren sich die Kämpfe zwischen den Rebellen und der Armee auf die Hauptstadt Damaskus und den internationalen Flughafen am südöstlichen Stadtrand. Ferhad Ahma ist syrischer Oppositioneller im Exil und Mitglied der Berliner Grünen. Guten Morgen, Herr Ahma!

Ferhad Ahma: Guten Morgen!

Hatting: Ist dieser Kampf um Damaskus der kriegsentscheidende?

Ahma: Es wird kriegsentscheidend sein, wobei der Kampf in Damaskus und um Damaskus hat ja nicht erst gestern oder vorgestern begonnen, sondern eigentlich schon vor Monaten. Was jetzt anders passiert, ist, dass der internationale Flughafen von Damaskus von den Rebellen angegriffen wurde und seit Tagen versucht wird, diesen sehr wichtigen Stützpunkt des Regimes, aber auch für die Hauptstadt selbst, einzunehmen. Das geschieht gleichzeitig mit dem Versuch, drei andere Flughäfen in Aleppo und in Deir ez-Zor inklusive natürlich des Flughafens in Damaskus einzunehmen. Das bedeutet, dass die Rebellen versuchen, das Regime, so weit es überhaupt geht, zu schwächen, und vielleicht die entscheidende Schlacht in Damaskus demnächst zu führen.

Hatting: Können die Rebellen diese Schlacht gewinnen?

Ahma: Es besteht zumindest die Annahme, dass die Rebellen schon einiges geschafft haben und die Tatsache, dass sie bis zum Flughafen Damaskus, also kurz vor den Flughafen es geschafft haben, deutet darauf hin, dass große Teile der regulären syrischen Armee nicht mehr fähig sind zu kämpfen beziehungsweise nicht mehr den Willen haben, dieses Regime weiter zu schützen.

Hatting: Also brauchen sie gar nicht unbedingt die Flugverbotszone und weitere Waffen oder offiziell Waffen aus dem Ausland?

Ahma: Ich glaube, um schnellstmöglich einen Sturz des Regimes herbeizuführen, brauchen die Rebellen nach wie vor effiziente und bessere Waffen. Ansonsten wird dieser Kampf sich noch in die Länge ziehen, und man weiß ja nicht, wie lange das Ganze noch dauern wird, weil es noch nicht absehbar ist, ob der Flughafen von Damaskus morgen oder vielleicht in zwei Monaten erst eingenommen wird. Die Tatsache, dass die Rebellen in Damaskus angekommen sind, ist ja keine neue. Die sind seit Monaten da, die Kämpfe dauern an, die Rebellen gewinnen einen Stadtteil, einen Bezirk, der wird noch mal zurückerobert von dem Regime, dann kommt es noch mal zu diesem Spiel, dass sie noch mal den Bezirk gewinnen und so weiter. Von daher, um die Zeit zu verkürzen und das Leiden der Menschen zu verkürzen, muss den Rebellen geholfen werden, auch im Sinne von Ausstattung mit Waffen und anderer, besserer Technik.

Hatting: Homs ist ein Zentrum der Rebellen, nach wie vor. Dort explodierte gestern vor einer Moschee eine Autobombe. Mindestens 15 Menschen sollen dabei getötet worden sein. Wer könnte dahinterstecken?

Ahma: Ich glaube, die Lage in Syrien ist mittlerweile so schwer, dass man nicht mehr einschätzen kann, wer noch eigentlich mitspielt und dort Anschläge und Explosionen herbeiführt. Das Regime hat ein großes Interesse daran, einen ethnischen oder auch einen religiösen Konflikt herbeizuführen. Und die Anschläge gegen Moscheen, gegen Gotteshäuser, auch gegen Kirchen, waren ja auf der Tagesordnung, um überhaupt der anderen Seite zu signalisieren, dass sie quasi von der anderen religiösen Gruppe angegriffen werden. Und hier, wenn Moscheen angegriffen werden, müssen dann die Sunniten so annehmen, die Aleviten greifen eure Gotteshäuser an. Und vor Kurzem waren auch Explosionen gegen Kirchen eingerichtet, um wieder die Annahme bei den Christen herbeizuführen, dass sie von Sunniten angegriffen werden - und so natürlich einen Bürgerkrieg, der eher religiös begründet ist, in Syrien herbeizuführen. Von daher kann man sehr stark vermuten, dass das Regime hinter solchen Anschlägen steht.

Hatting: Sie versuchen, den Kontakt zu den Aufständischen in Ihrer Heimat zu halten. Das ist aber im Moment nicht so ganz einfach. Zwei Tage lang waren alle Kommunikationsmöglichkeiten blockiert. Wie ist die Situation jetzt?

Ahma: Jetzt ist es mittlerweile nur punktuell besser geworden. Das Regime hat ja mindestens 48 Stunden lang das gesamte Land offline gelegt. Es war dann nicht mehr möglich, über irgendwelche Netze, auch Telefon, auch Internet, Kontakt mit dem Land herzustellen. Das passierte damals übrigens auch in Ägypten, und jetzt auch in Syrien. Das ist quasi eine Eigenschaft der Diktaturen, die versuchen, zu bestimmten Zeitpunkten das komplette Land lahmzulegen, um große und schnelle, also auch effiziente Angriffe gegen die Rebellen und gegen die Oppositionellen zu starten. Jetzt mittlerweile funktioniert das langsam besser. Ich hoffe, dass es demnächst dann vielleicht zu erreichen ist, dass man alle Punkte Syriens, alle Orte mit dem Telefon und mit dem Internet erreichen kann.

Hatting: Sie haben lange Zeit im syrischen Nationalrat mitgearbeitet. Der ist mittlerweile Teil der Nationalen Koalition, einem Bündnis von Exiloppositionellen, das gerade in Kairo an einer Übergangsregierung für die Zeit nach Assad arbeitet. Die Türkei und die Golfstaaten haben die syrische Nationale Koalition als legitime Vertretung des syrischen Volkes anerkannt. Aus der EU sind es bislang nur Frankreich, Großbritannien und Italien. Ist das Zögern der anderen ein Fehler?

Ahma: Das ist ein Fehler. Es wurde versprochen, dass diese Koalition schnellstmöglich anerkannt wird und als legitime Vertreterin der syrischen Bevölkerung auch sogar die Sitze Syriens bei den internationalen Gremien bekommt. Das ist bislang nicht geschehen. Jede Verzögerung wird das Leid der Menschen in Syrien noch in die Länge ziehen. Und die Zeit wird vergrößert und die Anzahl der Opfer, die jeden Tag in Syrien fallen, wird auch größer.

Von daher sollte auch die EU, aber auch die Amerikaner und andere große Mächte schnellstmöglich diese Koalition anerkennen und jegliche Unterstützung anbieten. Diese Koalition, wie Sie auch selbst gesagt haben, arbeitet seit Tagen in Kairo an der Bildung einer Exilregierung. Das ist auch ein Wunsch der internationalen Staatengemeinschaft gewesen. Ich rechne damit, dass man in den nächsten Tagen, vielleicht einer Woche, mit konkreten Angaben, vielleicht auch Namen und Benennungen auch von den Posten und Befugnissen dann herauskommt. Und das wird, denke ich mal, ein sehr wichtiger Schritt, um das Vertrauen der Staatengemeinschaft wieder zu bekommen und zu signalisieren, dass die Syrer bereit sind, die Geschäfte, die Macht in Syrien zu übernehmen, wenn das Regime von Baschar al-Assad nicht mehr existiert.

Hatting: Herr Ahma, Sie haben gerade schon die Vereinigten Staaten angesprochen. Nächste Woche will sich das Bündnis "Freunde Syriens" in Marrakesch treffen, und dort ist das Ziel, auch die USA zur Anerkennung der Nationalen Koalition zu bewegen. Welche Chancen sehen Sie da?

Ahma: Das wird, denke ich mal, von den Gesprächen auch unter anderem in Kairo abhängen, inwieweit die Koalition dann vorankommt und die Exilregierung bildet beziehungsweise die letzten Schritte dann tut. Die Amerikaner haben zumindest signalisiert, dass sie Interesse daran haben und dass sie auch daran denken, diese Koalition anzuerkennen, wenn es dann geschafft wird, dass tatsächlich eine Exilregierung gebildet wird, und dass die Opposition mehr mit einer einzigen Stimme spricht. Das ist mittlerweile - die Opposition ist auf einem ganz guten Weg und wir hoffen, dass bis zum Zeitpunkt der Konferenz in Marrakesch dann dieser Punkt auch erreicht ist.

Hatting: Ferhad Ahma, syrischer Exiloppositioneller - ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Ahma!

Ahma: Ich danke Ihnen auch!

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