Exil-Kunst

Eine syrische Villa Massimo

Von Tabea Grzeszyk · 08.01.2014
Bis zu einer Million Syrer sind vor dem Krieg in den Libanon geflüchtet - darunter auch viele Künstler. Nahe Beirut haben einige Platz zum Arbeiten gefunden, entstanden ist ein Zentrum für Exil-Kunst.
Raghad Mardini betrachtet lächelnd die Skulptur im Garten ihrer Künstlerresidenz. Auf einem Vorsprung gleich rechts hinter dem Eisentor sitzt eine lebensgroße Figur, klassisch modelliert, aber mit Laptop auf dem Schoß: ein syrischer Aktivist, der über das Internet die Nachrichten in seiner Heimat verfolgt. Sein Schöpfer, Wissam Mouases, war der erste syrische Künstler, den Mardini im Mai 2012 dazu einlud, ihre Residenz in Aley östlich von Beirut zu bewohnen. Seitdem finden dort jeden Monat zwei syrische Künstler einen temporären Zufluchtsort.
Raghad Mardini: "Es ist eine Art syrische 'Villa Massimo', aber wir sind lebendiger, glaube ich, weil diese Kunst überlebenswichtig ist. Es geht hier nicht um Kunst als Luxusgegenstand, sondern als Notwendigkeit. Wir wollen die Lücke zwischen dem, was wir 2011 begonnen haben, und was heute ist, füllen. Wir wollen helfen, den Bruch in unserer Seele und in unserer Gesellschaft zu heilen."
Gerade bewohnen die jungen Künstler Mahmoud Majdal und Mohamad Labash die Residenz. Sie haben ein Feuer im offenen Kamin angezündet, es wird schnell kalt in Aley hoch oben in den Bergen Libanons. Die beiden Künstler haben Damaskus erst vor wenigen Wochen für das Stipendium verlassen. Es fällt schwer, ihrem verletzten Blick standzuhalten. Als hätten sich all die Schrecken des Bürgerkriegs, die Verwundeten, die Toten, die Explosionen und Autobomben in die tiefen Schatten unter ihren Augen eingeschrieben. Immer wieder bricht das Erlebte in den Arbeiten hervor, erzählt Mohamad, der eine Mappe mit seinen Zeichnungen auf dem flachen Glastisch ausbreitet.
"Diese Skizze zeigt eine Olivenpresse, aber hier sind es Menschen, die zerquetscht werden. Mir geht es um die Wirklichkeit, um das, was ich sehe. Ich spreche über den Krieg.
Der Krieg ist hässlich, also male ich die Hässlichkeit. Aber selbst im Krieg kann ich schöne Dinge sehen. Wenn ich diese Skizze auf die Leinwand übertrage, werde ich viele Farben benutzen."
Im März sind es drei Jahre, seitdem der Aufstand gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad begann und schließlich von einem blutigen Bürgerkrieg überlagert wurde. Heute kämpfen verschiedenste Gruppen in Syrien, von der Freien Syrischen Armee über dschihadistische Gotteskrieger bis zum regimetreuen Militär. Raghad Mardini hat längst aufgehört, die Nachrichten aus ihrer Heimat zu verfolgen. In ihrer Künstlerresidenz in Aley läuft kein Fernseher oder Radio. Es wirkt fast wie der Versuch, ein Stück heile, vergangene Welt zu bewahren.
Mardini: "Wenn die Künstler hier ankommen, sind sie müde, traurig, erschöpft, sie lächeln nicht. Viele sind wirklich depressiv. Doch nach einem Monat sehe ich Fotos von ihnen, auf denen sie lachen, sie sind glücklich und stolz auf ihre Arbeit. Dieser Ort ist sehr warm und gibt den Künstlern das Gefühl, als wären sie wieder in Syrien. Deshalb nennen wir die Residenz 'kleines Syrien'."
Raghad Mardini ist selbst in Damaskus aufgewachsen, in Syrien hat sie als Bauingenieurin und Restauratorin gearbeitet. Als 2008 die amerikanische Schule in Damaskus geschlossen wird, zieht die alleinerziehende Mutter nach Beirut, damit ihre beiden Kinder im benachbarten Libanon die Ausbildung beenden können. Als in ihrer Heimat der Aufstand beginnt, entdeckt Raghad Mardini östlich von Beirut einen Pferdestall aus osmanischer Zeit, der im libanesischen Bürgerkrieg zerstört wurde. Sie restauriert das Gebäude und hat es gerade bewohnbar gemacht, als in Syrien die Gewalt eskaliert.
Mardini: "2012 war ich plötzlich umringt von syrischen Künstlern, viele waren Freunde von mir. Ich habe sie natürlich besucht und habe gesehen, wie sie leben mussten: Sie hatten nicht genügend Platz, sie haben ihre Wohnung mit fünf oder zehn Menschen geteilt, weil es im Libanon kaum Arbeit gibt. Ich dachte mir, dass sie so keine Kunst schaffen können, sie haben ja nicht mal Geld, um Material zu kaufen, die Farben, die Pinsel, die Leinwände. Ich andererseits hatte diesen fantastischen Ort, also habe ich den befreundeten Künstler Wissam Mouases eingeladen, der diese wunderbare Statue gemacht hat, damit er in der Residenz wieder als Bildhauer arbeiten kann."
Über 30 Kunstwerke hat Raghad Mardini bereits neben der Skulptur im Garten gesammelt. Es ist der Beitrag, den die syrischen Künstlerinnen und Künstler für das Projekt leisten: Sie alle hinterlassen ein Werk, das in Aley entstanden ist. Mit dieser Sammlung möchte Raghad Mardini ein kleines Museum aufbauen. Eine Hommage an die junge syrische Kunstszene, die im Beiruter Exil zu blühen beginnt.
"Die ganze Kunstszene ist umgezogen, nicht nur bildende Künstler, auch Musiker, Tänzer und Sänger, eine Syrerin hat gerade die Fernsehshow 'Arabs Got Talent' gewonnen. Wir erleben einen Kunstboom. Wenn der Krieg in Syrien nicht zu politischen Veränderungen führt, so hat er zumindest Menschen inspiriert, zu schreiben, zu zeichnen und zu sagen, woran sie glauben."
Es ist diese positive Kehrseite der Krise, an der sich Raghad Mardini festhält, die ihr Kraft gibt – und mit der sie den syrischen Künstlern im Libanon schon jetzt ein Denkmal gesetzt hat.