Eveline Hasler: "Tochter des Geldes"

Mentona Moser – die reichste Revolutionärin Europas

06:29 Minuten
Das Buchcover des Buches von Evelin Hasler über Mentona Moser.
Das Cover des Buches von Evelin Hasler über Mentona Moser. © Nagel&Kimche Verlag
Von Pieke Biermann · 03.08.2019
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Die Tochter eines Schweizer Uhren-Millionärs entdeckt die soziale Frage, gründet die Schweizer Kommunistische Parte mit und finanziert Kinderheime in der Sowjetunion. Eine atemberaubende Biografie, die zu einem lesbaren Dokumentarroman geworden ist.
1874 wird in der Schweiz ein Mädchen geboren, mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund. Ihr Vater Heinrich Moser hat mit Uhrenfabriken – Klischee as Klischee can! – im zaristischen Russland ein Vermögen gemacht, stirbt aber vier Tage nach ihrer Geburt und überlässt sie, ihre Schwester und das Geld der Mutter. Die kauft ein Schlösschen am Zürichsee und sieht sich als "Freiherrin". Ihr Dünkel ist so ausgeprägt wie ihr Geiz und ihr Sadismus, diesbezügliche "Befindlichkeiten" kann zwar auch Professor Freud in Wien mit seiner Hypnosetherapie nicht heilen, aber "Patientin Emmy v.N." für seinen Ruf nutzen.
So lebt man dahin im kalten Luxus. Die ältere Tochter Fanny wird später der Parapsychologie erliegen. Die jüngere, Mentona, studiert in England, trifft zum ersten Mal auf die "soziale Frage" (Proletariat, Armut) und hat eine Art Erweckungserlebnis. Ab 1903, zurück in Zürich, stürzt sie sich in den Kampf gegen Tuberkulose und für gesündere Wohnverhältnisse in den Arbeitervierteln – eine zeittypisch emanzipierte Großstädterin, die Frauen liebt und in Künstlerkreisen verkehrt. Bis dann doch ein Mann dazwischenkommt und der – auch zeittypische – schnurgerade Zickzackkurs von Kindern (zwei) über Pionieraktivismus bis Parteikommunismus losgeht (die Schweizer Kommunistische Partei gründet sie 1921 mit).

Nachleben in der DDR

Als der Sohn schwer krank wird, verdrückt sich der Genosse Gatte, und die Freiherrin dreht den Geldhahn zu, stirbt aber 1925. Von diesem mütterlichen Erbteil baut Mentona ein Kinderheim und eine Schule in der Sowjetunion. Schließlich hat Papa Moser den Russen auch zolltechnisch viel zu verdanken, taucht in Dostojewskis Novellen auf, und eine seiner Uhren hängt immer noch im Kreml, wo Mentona 1926 die Crème der Kommunistischen Internationalen (Komintern) trifft, auch die deutsche Revolutionärin Clara Zetkin, und erstmal bleibt. Dort wird es dank Stalin zwar bald ungemütlich, aber was sind Hobelspäne gegen glühenden Glauben?
In den frühen 1930ern erledigt Mentona mit dem väterlichen Erbe im Depot der Deutschen Bank (auch illegale) Parteiarbeit in Berlin. Als es 1933 konfisziert wird, kehrt sie zurück nach Zürich, krank, arm, allein. Erst Anfang der 1950er-Jahre naht Rettung: Wilhelm Pieck, ein alter Kampfgenosse, entdeckt sie wieder und holt sie in die DDR. Dort wird sie bis zu ihrem Tod 1971 gepflegt und bekommt ein Ehrengrab. Und anders als in der Schweiz hat sie dort einen Namen, ein Nachleben. Aber damit ist spätestens nach 1989 auch Schluss.

Der Roman als Ausweg

Wie erzählt man so eine Biographie? Als Paradefall eines wiederum zeittypischen Klassenverrats? Als psychologische Studie? Politische Mentalitätsgeschichte? Natürlich kann sich niemand seine Biografen aussuchen, sind Leben und Werk automatisch ein Fall für die Heisenbergsche Unschärferelation. Erst recht, wenn – wie oft bei weiblichen historischen Figuren – die Faktenlage mager ist.
Die Autorin Eveline Hasler hat sich für einen Roman entschieden. Das liegt nahe: Allein die Eckdaten zu Mentona Mosers Leben klingen wie ein Roman. Und Hasler gilt als "Grand Old Lady" der erzählenden Prosa, in Biografien ebenso wie in Kinder- und Jugendbüchern. Da fällt eine gewisse Unschärfe relativ wenig auf. Fast die ganze zweite Lebenshälfte bleibt unterbelichtet, das Timing stimmt nicht immer ("Bücher" von Ignazio Silone waren 1930/31 noch nicht übersetzt), es gibt viel Namedropping und hier und da kitschige Ranken, und im Kopf von Figuren geht öfter die "Schere zwischen arm und reich" auf. Ob sie das vor 80, 90 Jahren auch schon tat, darf man ebenso amüsiert anzweifeln wie eine Marx-Exegese, bei der ein berühmter Leninist spricht wie Greta Thunberg.
Aber Hasler kann flott schreiben und bringt einem manches von der Person Mentona Moser und ihrer Zeit nahe. Nur das klischeehafte Staunen à la "ausgerechnet in der reichen Schweiz" sollte man sofort lassen: Gerade dieses wohlaufgeräumte, wohlanständige, wohlhabende Land war immer auch Hort anarchistischer, kommunistischer und sonstiger widerborstiger Umtriebe. Von Dada über Lenin bis Punk-Hausbesetzer.

Eveline Hasler: "Tochter des Geldes. Mentona Moser – die reichste Revolutionärin Europas"
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2019
288 Seiten, 23 Euro

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