Alabama

Der Kampf um die Abtreibung im "Bible Belt"

Abtreibungsgegner halten Plakate mit der Aufschrift "Women for religious freedom" vor dem Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof in den USA.
Abtreibungsgegner vor dem Supreme Court im Jahr 2014. © picture-alliance / dpa / Jim Lo Scalzo
Von Knut Benzner · 25.10.2016
In den USA tobt ein harter Kampf um die Abtreibung – und im "Bible Belt" leben die schärfsten Abtreibungsgegner. Mitten drin: Alabama. Mit der hier im Sommer gemachten Volksbefragung sollte die Abtreibung generell verboten werden.
Noch, sagt Linda Gail, 52, IT-Spezialistin aus Birmingham, Alabama, noch haben wir die Freiheit der Wahl.
Sie sitzt im Vorgarten ihres Hauses, gelegen im hügeligen Grüngürtel, der Birmingham umgibt.
Linda Gail: "Alabama war immer konservativ. Wir sind ein christlicher Staat, selbst die Demokraten, und viele Afro-Amerikaner sind Demokraten, beschäftigen sich mit konservativen Themen. Sie sind nicht für die Rechte von Schwulen, nicht für Abtreibung - typische liberale demokratische Belange. Das kombiniert mit dem weißen Konservatismus, sorgt für potenten Konservatismus im Staat."
Alabama war immer konservativ.
Alabama war zudem immer konservativer als der Rest der Südstaaten: Das Gewicht christlicher Fundamentalisten sowie die Geltung alter, in der Rassenfrage integrationsunwilliger Demokraten führten zu einem durchaus religiösen Konservatismus.
Linda Gail ist 44, geschieden, kinderlos, liberal und weiß.
Vor gut zwanzig Jahren habe sie eine ungewollte Schwangerschaft erlebt - sie wurde beraten, ihr wurde beigestanden, ohne Belästigungen, ohne Fragen.
Das Statussymbol einer Afroamerikanerin im Süden sei ihr Baby, so Linda Gail. Stolz. Die Anzahl der Babys sei das Maß des Erfolgs und Abtreibung richte sich gegen diesen kulturellen Blickwinkel. So entstehe zumindest unter dem Aspekt der Abtreibung ein Block aus konservativen Schwarzen und konservativen Weißen. In moralischen Dingen fänden sie zusammen.
Linda Gail: "Alabama hat den höchsten prozentualen Anteil der USA an Menschen, die jede Woche in die Kirche gehen. 60 Prozent von uns gehen nächsten Sonntag in die Kirche. Eine tief religiöse Gruppe."

Alte Arbeiterstadt schrumpft

Und sie selbst?
"Natürlich bin ich in der Kirche. Ich bin Methodistin, Methodisten sind liberal - aber es gibt eine Menge konservativer Kirchen."
Birmingham, Alabama. Die Stadt ist, Tendenz fallend, mit 210.000 Einwohnern, dicht gefolgt von der Hauptstadt Montgomery, die größte Stadt des Staates. Eine alte Arbeiterstadt, Stahl und Kohle.
In Alabama bestehen, von ehemals zehn, noch lediglich vier Abtreibungskliniken.
Eine davon in Birmingham, ein kleines, unscheinbares Gebäude in einem der ältesten Stadtviertel, in einem der besseren Stadtviertel: Highland Park.
Linda Gail macht einen kleinen Umweg auf der Fahrt zu einem Termin. Sie rechnet damit, dass Demonstrantinnen und Demonstranten, wie eigentlich täglich, vor der Einrichtung mit dem Namen Birmingham Center stehen. Aber heute: Niemand.
Das, was sich sonst vor dieser Abtreibungsklinik abspiele, sei Teil eines manchmal kriminellen Kulturkampfes zwischen Konservativen und Liberalen, das Birmingham Center war Ort einer Explosion, Schmährufe wie "Mörder" gegen die, die in das Gebäude hinein gehen oder heraus kommen, gelten inzwischen als harmlose Zwischenspiele. Linda Gail:
"Was allerdings quer durch die USA passiert, ist, dass man das Recht auf Abtreibung verwischt. Durch das Heraufsetzen von Standards etwa, die verhindern, dass Frauen in die Lage versetzt werden, Abtreibungen durchführen zu lassen. Man versucht, unser Grundrecht auf Abtreibung, das der Oberste Gerichtshof beschlossen hatte, zu zerschlagen. Da war das ´personhood movement`, die Persönlichkeitsbewegung. Sie sieht den Moment der Empfängnis als den an, in dem eine Person entsteht. Das hieße: Zum Zeitpunkt der Abtreibung würdest Du dich zum Mörder machen. Das hieße weiter: Selbst bei voraussehbaren Missbildungen oder Eileiterschwangerschaften käme die Polizei und würde mit den Frauen reden."

Späte Abtreibung wird nie akzeptiert

Das Recht auf Abtreibung: 1973, Roe versus Wade. Im Januar 1973 fällt der Oberste Gerichtshof der USA ein bahnbrechendes Urteil. Mit 7:2 Stimmen entschied er, das Grundrecht auf persönliche Freiheit und Schutz der Privatsphäre schließe das Recht der Frau ein, in den ersten sechs Monaten über den Abbruch einer Schwangerschaft frei zu entscheiden. Dieses Urteil bewirkte, dass Abtreibungen nicht länger in der Illegalität, sondern unter medizinisch guten Bedingungen durchgeführt wurden. Es wurde im Grundsatz nie wiederrufen.
Organisationen wie "pro life" interessiert das bahnbrechende Urteil von 1973 und die damit verbundene Gesetzesänderung nicht. Sie ließen sich in der Vergangenheit stets neue Wege und neue Hürden einfallen, um Abtreibungen zu erschweren. Die neueste: Die Verkettung mit dem so genannte sex defender law, dem Sexualstraftäter-Gesetz.
Linda Gail: "Wenn Du ein Sexualstraftäter bist, darfst Du nicht näher als - ich habe die genaue Entfernung vergessen -, sagen wir 2500 Fuß, 760 Meter an einer Schule wohnen. Dasselbe wollen sie jetzt auch mit den Abtreibungskliniken machen, d.h. diese 2500 Fuß zwischen einer Abtreibungsklinik und einer Schule müssen gewahrt bleiben - was zur Schließung einer weiteren Abtreibungsklinik führte."
Die late term abortion, die späte Abtreibung - in Alabama sowieso nie akzeptiert.
Bereits 2011 unterschrieb der Gouverneur von Alabama, Robert Bentley, den Alabama Pain-Capable Unborn Child Protection Act, der Abtreibungen nach der 20.Woche verbietet. Bentley, Republikaner, ist Anhänger der Theorie, dass Leben mit der Empfängnis beginnt.
Nördliches Birmingham, Collegeville heißt die Gegend.

Viele afro-amerikanische Frauen gegen Abtreibung

Thomas Wilder, 58, ist Pastor der Bethel Baptist Church. Wilder, schlank, eloquent, schwarzer Anzug, weißes Hemd, sitzt im Amtszimmer seiner Kirche und bereitet seinen sonntäglichen Gottesdienst vor. Er ist in seiner Kirche Nachfolger des Geistlichen und Bürgerrechtlers Fred Shuttlesworth, Mitarbeiter Martin Luther Kings.
Wilder erklärt, was er als Baptist über die Frage der Abtreibung denkt:
Thomas Wilder "Wir würdigen das Leben. Ich verstehe, dass Menschen zuverlässige Ergebnisse über ihren Gesundheitsstand haben sollten - aber Abtreibung als Geburtenkontrolle ist für uns nicht annehmbar.
Ich glaube nicht, dass das Leben erst nach der Geburt beginnt. Soweit ich weiß, können Kinder während der Schwangerschaft empfinden und fühlen. Nach wie vielen Tagen, nach wie vielen Monaten allerdings, das weiß ich nicht."
Kommen Frauen aus seiner Gemeinde zu ihm und suchen Rat, wägt er ab. Es gebe viele Facetten. Moralische, ethische und ökonomische. Einen Kernpunkt mag er nicht benennen. Wilder berät auch in Fragen der Schwangerschaftsminimierung und Vermeidung.
Traditionell sind afro-amerikanische Frauen gegen Abtreibung.
Thomas Wilder: "Traditionell haben schwarze Frauen weniger Abtreibungen, ja, da schwarze Frauen den Wert des Lebens voraussetzen und wissen, was es heißt, weggeworfen zu werden. Traditionell wird, zumindest da, wo ich herkomme, irgendjemand das Kind adoptieren, es gibt immer jemanden, der ein Kind adoptieren würde. Nochmal: Als gesellschaftliche Klasse haben wir erfahren, was es heißt, weggeworfen und herab gesetzt zu werden. Wir wissen, was es heißt, nicht gewollt zu werden. Wir wollen niemand anderen in diese Situation bringen, es gibt dort, wo ich herkomme, keine Wegwerfartikel. Jeder hat eine Bestimmung."
Der Reverend Thomas Wilder kommt aus Aliceville, zwei Stunden entfernt, und ist bereits seit 1980 in Birmingham.

Für das Leben oder für die Wahl?

Wilder beobachtet die Debatten, er beobachtet aufmerksam die Entwicklung der Diskussionen, etwa die Anmerkungen zu dieser Angelegenheit von Donald Trump.
Hat Trump nicht u.a. mit der Äußerung Aufmerksamkeit erlangt, er wolle Frauen, die abtreiben, ins Gefängnis stecken.
Thomas Wilder: "Dem stimme ich nicht zu, dem stimme ich nicht zu. Ich habe mit Frauen zu tun, die Abtreibungen hatten und einer meiner Gründe, gegen die Abtreibung zu sein ist folgender: zehn Jahre später habe ich erst recht damit zu tun. Die Alpträume, die sie haben, die Gefühle, dass sie um etwas betrogen worden sind, weil sie mit 16 eine Abtreibung hatten, nun 26 sind und nicht mehr schwanger werden können. Sie fühlen sich, als würde Gott sie bestrafen. Man kann eine momentane, kurzfristige Entscheidung machen, aber sie betrifft dich langfristig."
"pro life" - für das Leben?, oder "pro choice", für die Wahl.
"pro life": Dem menschlichen Embryo wird derselbe moralische Status und dasselbe unantastbare Recht auf Leben wie erwachsenen Menschen zugesprochen. Insofern sind Abtreibungen generell moralisch unzulässig.
"pro choice": Dem ungeborenen Leben wird nur ein minimaler oder gar kein moralischer Status zugesprochen. Insofern sind Abtreibungen generell ethisch zulässig. Das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren allein ist ausschlaggebend.
Alabama ist gespalten. Neueste Umfragewerte ergeben, dass 56 Prozent der Bürger in Alabama "pro life" unterstützen.
"Was wir gerade trinken, ist Moonshine, die Leute machen ihn halt, manche verkaufen ihn und ich kenne jemanden, der ihn verkauft. Peach-Moonshine und Cherry-Moonshine. Verboten natürlich, der selbstgebrannte Schnaps, 55 Prozent. Moonshine deshalb, weil er des Nachts, während des Mondscheins hergestellt wird."

Frauen und die Abtreibung

Muscle Shoals, nördliches Alabama, nahe der Grenze zu Tennessee. Judy Hood. Judy Hood war beim weltweit größten Verpackungsmittelhersteller, bei International Paper. Judy Hood ist die Frau eines Musikers, die Frau von David Hood, Mitglied der Swampers, einer Studioband, die im bekanntesten Lied über Alabama, Sweet Home Alabama, 1974, erwähnt wird.
Musiker gelten als liberal, eben weil sie Musiker sind. Ihre Frauen auch?
Judy Hood: "Ja. Ich denke, open minded, offenen Geistes, ist womöglich das Wort, das ich benutzen sollte. Wir glauben an individuelle Freiheit, um unser Leben so zu leben, wie wir es uns ausgewählt haben."
Die Frage der Abtreibung sieht sie in einem größeren Zusammenhang:
"Die Freiheit der Wahl. In Amerika zu leben meint die Freiheit der Wahl. Deine persönliche Wahl - solange sie die Freiheit der anderen um Dich herum nicht einschränkt, Deine Entscheidung, und ich habe schon früher gesagt: Eine Frau bestimmt über ihren eigenen Körper."
Damit ist sie in ihrem Bekanntenkreis nicht allein. Aber, sagt sie, sie respektiere als Demokratin die Haltung der anderen.
Die letzten vier Legislaturperioden ist Alabama republikanisch, seit 2003. Eine Art backlash auf die acht Jahre Obama? Judy Hood:
"Unter diesen Republikanern sind einige ziemlich rechte. Und ich glaube natürlich, dass das die Legislative beeinflusst. Diese Leute sind vom Volk gewählt worden, ich respektiere deren Entscheidungen, aber das heißt nicht, dass ich ihnen zustimme."
Judy Hood vermutet, dass bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode, 2017, alle Abtreibungskliniken in Alabama geschlossen sein werden - und damit ist die Möglichkeit einer sicheren Abtreibung dahin:
"Dann suchst Du dir Alternativen, das ist dann doch nicht das, was passieren sollte."
Judy Hood, Mitte 60, schlank, sportlich, kurz geschnittenes Haar, ihr Sohn Patterson ist ebenfalls Musiker, Judy Hood wohnt mit Mann und Hund am Tennessee River.

Endzeitstimmung eines Busfahrers

Willard James, 77, war Mechaniker, ist Busfahrer und mag Country-Musik: Hank Williams, der kam aus Montgomery, Alabama, und die Louvin Brothers, die kamen aus Rainsville, Alabama. Willard James kommt aus Dothan, südöstliches Alabama, an der Grenze zu Florida.
Willard James: "Wir brauchen einen kompletten Wechsel. Sie machen nichts anderes, als Geld zum Fenster hinaus zu werfen. give away-Programme, die Leute brauchen nicht mehr zu arbeiten, die bekommen give away-Programme und sitzen zu Hause, bekommen dicke Bezüge und tuen nichts."
Früher war alles klarer:
"Wir hatten vier Arten von Leuten in diesem Land. Wir hatten die Schwarzen und die Neger, wir hatten die Weißen und den white trash, den weißen Abfall."
Jeder habe seinen Platz gehabt.
Das habe eine Struktur vorgegeben und eine gewisse Ordnung, die heute fehlt.
"Und wer nicht arbeite, solle auch nicht essen."
James glaubt an Gott.
Und Abtreibung? Keine Frage:
Willard James: "Das ist nicht richtig, das ist nicht biblisch und nicht das, was Gott uns gesagt hat."
Alabama brauche, sagt James, mehr Glauben...
Und mehr Leben im Sinne der Bibel.
"Lebten wir nach der Bibel, hätten wir keine Probleme und befänden uns an einem großartigen Ort. Der Herr hat es in der Hand, es wird ein schmerzlicher Tag kommen eines Tages."
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