Eva Meijer: "Die Sprachen der Tiere"

Wie Erdhörnchen den Artgenossen die Feinde beschreiben

Buchcover Eva Meijer: Die Sprachen der Tiere
"Wir müssen mit den Tieren ins Gespräch kommen", fordert Eva Meijer. © Matthes & Seitz / imago / imagebroker
Von Susanne Billig · 15.05.2018
Erdhörnchen informieren ihre Artgenossen detailliert über anrückende Feinde. Und Garnelen unterhalten sich, indem sie ihre Farbe wechseln. Wie Tiere sich verständigen, erklärt Eva Meijer in "Die Sprachen der Tiere".
Präriehunde warnen einander mit Lauten, die wie Vogelgezwitscher klingen, erzählt die Philosophin und Schriftstellerin Eva Meijer in ihrem Buch "Die Sprachen der Tiere". So weit, so unspektakulär.
Doch dann geht es los: Die amerikanischen Erdhörnchen verwenden nicht nur verschiedene Laute für verschiedene Eindringlinge. Sie geben auch an, ob der Feind aus der Luft oder am Boden zu erwarten ist und beschreiben ihn im Detail: Kommt ein Hund näher, informieren sie über Größe, Farbe, Form und Annäherungsgeschwindigkeit. Ist es ein Mensch, erwähnen sie die Farbe seiner Kleidung und ob er einen Regenschirm oder eine Pistole bei sich trägt.
Präriehunde können Verben, Hauptwörter und Adjektive erzeugen und immer wieder neu kombinieren, was einer einfachen Grammatik gleichkommt.

Komplexe Lieder und Unterhaltungen mittels Farbe

Wer Eva Meijer durch die profunden Recherchen ihres Buches folgt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Mäuse singen in hohen Tönen, auch wenn man es ihnen weder anhört noch ansieht. Ihre Lieder sind überaus komplex, wobei sich Weibchen besonders für Männchen mit vielschichtigen Songs begeistern.
Labormäuse lernen diese Lieder voneinander. Jede hat ihr eigenes Lied, sogar wenn sie einer anderen Maus genetisch gleicht.
Ganz anders machen es Mantisgarnelen: Sie unterhalten sich, indem sie ihre Farbe wechseln. Dabei helfen ihnen zwölf Kanäle für das Farbensehen – der Mensch hat nur drei.
Chaser, eine Border Collie Hündin, erlernte die Namen von mehr als tausend Spielzeugen und konnte sogar menschliche Grammatik entziffern, indem sie unterschied, ob sie Spielzeug A zu Spielzeug B tragen sollte oder umgekehrt.
Albatrosse nehmen sich jahrelang Zeit, um per Tanz ihre Lebenspartnerin, ihren Lebenspartner kennenzulernen. Sie tanzen jedes Jahr mit weniger Tieren, bis am Ende die eine / der eine Auserwählte übrig bleibt – und die beiden miteinander in all der Zeit Tanzformen entwickelt haben, die sie von jedem anderen Albatrospaar auf der Erde unterscheiden.

Für ein neues Mensch-Tier-Verhältnis

Eva Meijer präsentiert den erstaunlichen Reichtum an tierischer Lautgebung und Kommunikation mit ansteckender Begeisterung und viel Respekt vor den sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten der Tiere, zu denen sie den Menschen übrigens mit großer Selbstverständlichkeit hinzuzählt.
In Anlehnung an Ludwig Wittgenstein und Noam Chomsky diskutiert sie aber auch spannende Fragen der Linguistik und Sprachphilosophie: Lassen sich die Kommunikationsformen einzelner Arten als echte Sprachen einstufen? Sind Grammatiken erkennbar? Wie viel Freiheit im inhaltlichen und sprachlichen Ausdruck haben und nutzen bestimmte Tiere?
Eines der großen Hindernisse für ein gerechteres Mensch-Tier-Verhältnis diagnostiziert die Autorin in dem Umstand, dass Menschen den Tieren, die sie halten oder erforschen, menschliches Sprachverhalten aufdrängen, anstatt deren Kommunikationsweisen deuten zu lernen.
"Wir müssen mit den Tieren ins Gespräch kommen", fordert die Autorin, und tatsächlich begreift man nach so viel komplexer Tierkommunikation sehr gut, was sie damit meint.

Eva Meijer: Die Sprachen der Tiere
Aus dem Niederländischen von Christian Welzbacher
Matthes & Seitz, Berlin 2018
176 Seiten, 28 Euro

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