Europawahl und TTIP

"Wir Europäer brauchen Partner in der Welt"

In einer Tasse mit einem EU-Symbol steckt eine US-Fahne, aufgenommen in einem Büro in Dresden.
Die USA lägen der EU als Partner am nächsten, sagt Daniel Caspary. © picture-alliance / dpa / Arno Burgi
Daniel Caspary im Gespräch mit Ute Welty · 24.04.2014
Das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA biete viele Chancen, sagt Daniel Caspary. Die Risiken habe man bereits "sehr sicher im Griff", betont der CDU-Europaabgeordnete.
Ute Welty: TTIP ist eine Abkürzung, die es in sich hat. Dahinter steht das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. TTIP soll den Handel einfacher machen, Arbeitsplätze schaffen und die Industrie brummen lassen, sozusagen die eierlegende Wollmilchsau unter den Handelsvereinbarungen. Allerdings hat diese eierlegende Wollmichsau wohl kaum das Zeug zum Zugpferd im Europawahlkampf, denn hören tut man von TTIP zurzeit so gut wie nichts, und schon gar nicht von einem Fortschritt der Verhandlungen. Erklären kann uns das womöglich der Christdemokrat Daniel Caspary, seit 2009 fungiert er als Koordinator seiner Fraktion im Ausschuss für Internationalen Handel des Europäischen Parlamentes. Guten Morgen!
Daniel Caspary: Guten Morgen!
Welty: Kaum ein Wort über TTIP im Europawahlkampf, außer dass Alexander Graf Lambsdorff von der FDP die Kritik daran zurückweist – hat die EU Angst vor ihrer eigenen Courage?
Caspary: Nein, gar nicht, sondern ich hab den Eindruck, dass das Thema schon in den letzten Wochen eine gewisse Rolle im Wahlkampf gespielt hat, aber dass es uns auch gelungen ist, einige der Argumente in die Öffentlichkeit zu stellen, die für dieses Abkommen sprechen, und ich glaube, dass die Aggression, die teilweise bei manchen Gegnern dieses Abkommens da war, mittlerweile sich etwas legt.
Welty: Welche Argumente sind das denn?
Caspary: Ja, es wird da ja immer in den Raum gestellt, dass durch dieses geplante Abkommen die Lebensmittel- und Verbraucherschutzstandards in Europa gesenkt werden sollen, dass hier bestimmte Produkte nach Europa kommen sollen, die wir als Europäer nicht wollen. Da werden immer die Chlorhühnchen oder Hormonfleisch genannt. Aber ich glaube, je mehr Menschen sich mit den tatsächlichen Tatsachen auseinandersetzen, je mehr Menschen zum Beispiel sich informieren auf der Homepage der Europäischen Kommission – was ist denn wirklich geplant und was nicht –, ich glaub, da wird deutlich, dass dieses Abkommen viele, viele Chancen hat und dass wir die Risiken, glaube ich schon, sehr sicher im Griff haben und auch sicherstellen können, dass sich hier nichts Negatives für uns ergibt.
Welty: TTIP hat eine Menge Vorteile, so die Verantwortlichen. Sie betonen das ja jetzt auch gerade noch mal, aber nichtsdestotrotz: Warum geht man nicht offensiver um, wenn die Aufmerksamkeit ohnehin auf die Europawahl am 25. Mai gerichtet ist, mit diesen Vorteilen?
Caspary: Ja gut, also wir als Christdemokraten, wir gehen mit dem Thema sehr offensiv um. Wenn Sie sich die Welt anschauen, ergeben sich –
Welty: Das muss an mir vorübergegangen sein.
"Gemeinsame Standards der westlichen Demokratien"
Caspary: Ja nein. Wenn Sie sich anschauen – die Kanzlerin persönlich, unser Spitzenkandidat David McAllister und auch wir Kandidaten selbst, wir sprechen dieses Thema bei vielen Veranstaltungen an, um eben die Bürgerinnen und Bürger davon zu überzeugen, dass es sich hierbei um etwas Gutes handelt. Denn die Welt hat sich in den letzten 25 Jahren dramatisch verändert. Wir haben den Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen erlebt, wir haben die Öffnung Chinas, Indiens, Südamerikas erlebt, die jetzt alle am Welthandel teilnehmen. Wir erleben, dass wir stark unter Druck kommen durch Länder wie China und andere. Und wenn wir da unsere Standards aufrechterhalten wollen, wenn wir möglichst gemeinsame Standards der westlichen Demokratien etablieren wollen, da werden auch wir als Europäische Union Partner brauchen, und da liegen uns die Amerikaner immer noch am nächsten.
Welty: TTIP, das werden Sie mir zugeben, ist ein hochkomplexes Gebilde mit vielen Facetten. Welche lassen sich im Wahlkampf darstellen und welche halten auch sie unter Umständen für eben nicht darstellbar?
Caspary: Ich glaube, was sich darstellen lässt, ist das, was ich gerade angesprochen habe, diese Veränderung in der globalisierten Welt, die wir haben, und dass auch wir als Europäer, wir sind gerade mal 500 Millionen Menschen, das sind sieben Prozent der Weltbevölkerung, dass auch wir Europäer Partner in der Welt brauchen, und trotz aller Differenzen, zum Beispiel im Bereich Datenschutz und anderes, sind die Amerikaner, wie jetzt auch gerade bei der Russland-Krise deutlich wird, immer noch über Jahrzehnte hinweg unser verlässlichster Partner. Und was wir sehen müssen, ist dann, dass ein internationales Abkommen immer auch Risiken birgt, ist doch klar. Die anderen haben andere Vorstellungen in manchen Bereichen. Und da geht es doch drum, Lösungen zu finden, die beiden Seiten gerecht werden.
Gerade, wenn ich an den Bereich Verbraucherschutz denke, da gibt es Bereiche, wo Verbraucherschützer und Bürgerinnen und Bürger in Europa Sorge haben, und da gibt es Bereiche, wo Verbraucherschützer und Bürgerinnen und Bürger auf der amerikanischen Seite Sorgen haben, das gibt es doch auch. Und jetzt ist doch die Frage, kommt am Ende bei den Verhandlungen heraus, was 800 Millionen Menschen ärgert, oder finden wir am Ende eine Lösung, wo beide Seiten ihre Bedenken berücksichtigt finden. Und da hier Menschen handeln, die demokratisch legitimiert sind, bin ich sehr optimistisch, dass wir am Ende eine gute Lösung kriegen.
Welty: Sie haben ja in der Kommunikation über TTIP ein sozusagen doppeltes Problem, nämlich zum einen die Angst der Menschen vor Chlorhähnchen und Hormonfleisch, die Sie ja auch schon beschrieben haben, zum Beispiel aber auch den Argwohn vor allem, was aus Brüssel kommt – wie kriegen Sie diesen Spagat hin?
Chlorhähnchen und Rohmilchkäse
Caspary: Ja, ich glaube, wir müssen einfach über das Thema reden. Weil ich glaube, Verunsicherung kommt doch meistens daher, wenn Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben, dass sie über ein Thema nicht Bescheid wissen, dass dort irgendwas ausgemauschelt werden soll. Und Demokratien leben doch gerade davon, dass wir mit dem Bürger im Dialog sind, und ich hab schon den Eindruck, dass die Kritik, die aufgebracht wurde in den letzten Wochen und Monaten, schon dazu beigetragen hat, dass sich die Öffentlichkeit damit auseinandergesetzt hat und dass wir eben auch wirklich darüber sprechen können, wie gehen wir zum Beispiel damit um, dass wir eben die Chlorhühnchen nicht wollen? Wie gehen wir damit um, dass die Amerikaner, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, unseren Rohmilchkäse nicht haben wollen?
Und ich glaube, da ist doch der logische Ansatz, dass wir im Zweifel eine Lösung finden, dass Autos, Maschinen, Anlagen frei gehandelt werden können, dass wir hier Lösungen finden, aber dass wir auf der anderen Seite im Zweifel Ausnahmen finden für die Bereiche, wo Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks Sorge haben. Und ich wünsche mir, dass wir einfach mit dem Bürger in den Dialog treten, was sind denn die Bereiche, wo habt ihr Sorgen? Was sind die Bereiche, die wir im Zweifel am Ende vielleicht ausschließen müssen. Und es geht doch wirklich darum, eine Lösung zu finden, die 800 Millionen Menschen in Europa und in Amerika weiterbringt, und es geht doch nicht darum, hier die Menschen zu verärgern.
Welty: Also wird alles gut, wenn man im Umkehrschluss Chlorhähnchen und Rohmilchkäse ausklammert?
Caspary: Ich glaube, dass wir dann wirklich einen Großteil der Probleme – nämlich die beiden Themen stehen stellvertretend für die Frage Umweltstandards, Verbraucherschutzstandards –, dass wir dann einen Großteil der Probleme gelöst haben. Weil in vielen Bereichen sind die Standards in Amerika oder Europa ja nicht höher oder tiefer, sondern sie sind einfach anders. Um bei dem Beispiel Auto zu bleiben, bei uns muss der Blinker orange sein, bei den Amerikanern muss der Blinker rot sein. Trotzdem blinken beide Autos, es funktioniert, und die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks verstehen, dass das Auto jetzt abbiegen wird. Das heißt, im Bereich der technischen Standards halte ich wirklich viel an gegenseitiger Anerkennung im Zweifel, an Harmonisierung in den nächsten Jahrzehnten für denkbar. Und da geht es um den Wettbewerb. Setzen die Europäer und die Amerikaner gemeinsam Standards, die dann auf der Welt Gültigkeit haben, oder setzen sich zunehmend Chinesen und andere durch. Ich glaube, dass das ein starkes Argument für dieses TTIP-Abkommen ist.
Welty: Der christdemokratische Europaabgeordnete Daniel Caspary über TTIP in Zeiten des Europawahlkampfs und im Interview der Ortszeit. Danke dafür!
Caspary: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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