Europäischer Musiker aus Leidenschaft

Von Susanne von Schenck · 21.01.2013
Bereits als Kind begann der 44-jährige Franzose Fabien Lévy zu komponieren, lange vor seinem Musikstudium. Heute interpretieren Künstler in ganz Europa und den USA seine Werke. "Aprés tout" wird jetzt zum 50. Geburtstag des Elysée-Vertrags in Berlin uraufgeführt.
Wenn man Fabien Lévy treffen möchte, muss man Glück haben. Entweder ist der 44-jährige Komponist in Detmold, wo er an der dortigen Hochschule für Musik Komposition lehrt, oder in Paris und Stuttgart zu Proben seines neusten Werkes "Après tout" und manchmal in New York, wo er - bisher noch – eine Professur an der Columbia University hat. Aber Berlin, sagt der Franzose

"... das ist schon meine Stadt, und ich hoffe, dass ich in Berlin bleiben werde."

Denn in Berlin lebt seine Familie: seine Frau Elisa und die zweijährige Tochter Alba.

"Ja, wir sind Europäer, eine deutsch-französische Familie wie es viele in Berlin gibt, und unser Kind wird europäisch sein."

Fabien Lévy selbst wächst in einer Großfamilie in Paris auf: fünf Kinder, darunter drei adoptierte.

"Es gab immer Kinder von der ganzen Welt in unserer Familie und Behinderte usw. Und ich glaube, das hat einen großen Einfluss auf meine Musik. Ich habe das ganz spät entdeckt."

In seinem Elternhaus spielt aber Musik keine Rolle, CDs leiht sich der junge und – wie sich schnell herausstellt – hochbegabte Fabien in einer Bibliothek aus. Er interessiert sich für Klassik, dann für Rock und Jazz. Schon bald beginnt er, seine ersten Stücke zu komponieren.

Seine Ohren seien sein erster Sinn, hat Fabien Lévy festgestellt, und man könnte denken, dass so jemand dann Musik studiert. Aber nein. Er entscheidet sich für etwas anderes: Mathematik und theoretische Wirtschaftswissenschaften – an den besten Pariser Universitäten.

"Das ist sehr mathematisch, sehr komplex, das ist das, was diese Nobelpreisträger machen, es ist, um die Welt zu verstehen. Deswegen habe ich mich so spezialisiert."

Und dann plötzlich nach erfolgreichen Abschlüssen wendet er sich 1994 doch der Musik zu und studiert am Pariser Conservatoire National Supérieur de la Musique.

"Das ist mein Alltag, meine Leidenschaft, das ist es, was mich beschäftigt. Ich könnte nicht ohne Komposition leben."

Fabien Lévy, bescheiden, natürlich und begeisterungsfähig, ist ein zierlicher Mann mit dunklem Haar und warmherzigen Augen. Schon bald erhält er Preise, Stipendien und Auszeichnungen. Aber für seine Musik, so der Komponist etwas wehmütig, sei die Zeit nicht günstig. Kunst, Tanz, Literatur oder Film hätten es leichter als die neue Musik.

"Vielleicht haben wir unsere Sinne verloren. Ich glaube, da wir soviel und so schlechte Musik überall haben, verliert man den Geschmack für Musik. Ich finde das traurig, ich sehe das bei vielen Intellektuellen auch. Ja, man muss damit leben und fühlt sich in der Minderheit."

Lévy ist ein jüdischer Name. In seiner Familie seien jüdische Religion und Traditionen allerdings nie praktiziert worden, sagt Fabien Lévy. Unter den Nationalsozialisten wurde die Familie verfolgt, ein Bruder der Großmutter als Widerstandkämpfer erschossen.

"Nach dem Krieg hat meine Familie eine sehr, sehr klare Position gehabt: sie sind sofort wieder nach Deutschland. Mein Großvater konnte gut deutsch sprechen, meine Mutter hat Deutsch als erste Fremdsprache gelernt, ich auch. Wir sind sofort und immer nach Deutschland, natürlich mit dem Ziel, dass sollte etwas neu bauen. Wir waren sehr europäisch."

Ganz anders Vladimir Jankélévitch, von dessen musiktheoretischen Gedanken Fabien Lévy beeinflusst ist. Der französische Moralphilosoph und Musikwissenschaftler hasste Deutschland: Dieses Land habe den Holocaust nicht nur nicht verhindert, sondern ihn auch hervorgebracht. Fabien Lévy verarbeitet diese Gedanken in seiner neusten Komposition "Après tout". Er verwendet auch ein Radiointerview aus den 1980er-Jahren, in dem Jankélévitch einmal mehr seine unversöhnliche Haltung gegenüber Nachkriegsdeutschland offenlegt:

"Der Feind, dessen Stiefel auf dem Asphalt hämmerten – ich kann das nicht vergessen, genauso wenig wie all die Massaker. Und die Deutschen heute? Sie schlafen gut. Sie essen gut, Und der Mark geht es gut."

Ein junger deutscher Gymnasiallehrer hat daraufhin an Jankélévitch geschrieben. Diesen Briefwechsel hat Fabien Lévy ebenfalls verarbeitet. Versöhnung und Vergebung sind die Themen. Aber eine Antwort, ob sie gelingen, gibt der Komponist nicht.

Service:
Fabien Levys neuste Komposition"Aprés tout für sechs Sänger und Instrumentalisten" wird am 21.1.2012 in der Berliner Volksbühne uraufgeführt. Das Libretto schrieb seine Frau Elisa Primavera-Levy. Deutschlandradio Kultur überträgt das Konzert ab 20 Uhr.

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