Europäischer Arbeitsmarkt

Hasta la vista, hasta luego

Kühe stehen auf einer Weide vor dem Emsdeich bei Ditzum, Niedersachsen
Zukunft auf dem platten Land: Im Emsland werden Auszubildende gesucht. © picture alliance
Von Michael Frantzen · 07.05.2014
Junge Spanier suchen einen Job, deutsche Unternehmen Auszubildende. Das scheint auf den ersten Blick gut zu passen. Doch wie geht es den Menschen aus Südeuropa, die auf dem platten Land Köche oder Hotelfachleute werden? Eine Nachforschung im niedersächsischen Emsland.
"Bienvenidos! Im Marstall Clemenswerth. Herzlich willkommen im Marstall. Wir möchten diese Runde nutzen, um zu sehen: Wer ist eigentlich alles da?"
Da soll noch einer sagen, sie würden sich keine Mühe geben mit der "Willkommenskultur" – im niedersächsischen Sögel. Es ist Donnerstag Nachmittag. Draußen taucht die Frühlingssonne den Barock-Park von Clemenswerth in goldenes Licht. Drinnen fiebert Antonio Mancero seinem Auftritt entgegen. Der 24 Jahre alte Spanier schaut nervös in die Runde: Gleich ist er an der Reihe.
"Mein Name ist Antonio Mancero. Ich komme aus Spanien. Aus Albacete."
Antonio lächelt. Für den Anfang gar nicht schlecht. Deutsch hat der ernst wirkende Mann erst vor zwei Monaten begonnen zu lernen, wie die meisten der mehr als 30 jungen Spanier, die inmitten der üppigen Pracht von Clemenswerth ihre ersten Gehversuche in "Alemania" machen – in Deutschland. Ist alles durchgeplant: Vier Tage dauert die Einführungswoche, das anschließende Praktikum drei Monate, die Ausbildung drei Jahre. Antonio kann es kaum erwarten.
"Ich sehe die Ausbildung als Chance. Zu Hause, in Spanien, hatte ich keine Perspektive. Ich war ziemlich am Boden. Das Angebot, mich in Deutschland zum Koch ausbilden zu lassen, kam wie gerufen. Klar hast du Zweifel. Ich meine: Du gehst in ein fremdes Land, in dem sie eine fremde Sprache sprechen, die du nicht richtig kannst. Nur: Deine Zweifel verschwinden ziemlich schnell, wenn du dir überlegst, was die Alternativen sind! In Spanien bleiben?! Aussichtslos! "
24 Stunden ist Antonio angereist - die Fahrtkosten werden übernommen
Mit dem Bus ist Antonio angereist – aus Südspanien. Mehr als 24 Stunden lang. Aber er will nicht klagen. Die Fahrtkosten hat die "Ems-Achse" übernommen – ein Zusammenschluss von Kommunen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen entlang der Ems, die das deutsch-spanische Kooperationsprogramm ins Leben gerufen hat. War ein bisschen wie Klassenfahrt. Ein Lachen huscht über Antonios Gesicht. Jetzt kennt er zumindest einige andere junge Spanier, die wie er ihr Glück in Deutschland versuchen. Erleichtert die Sache. Das mit dem Kulturschock. Albacete, seine Heimatstadt, hat 300 Sonnentage im Jahr und 200.000 Einwohner, Sögel rund 7000 Einwohner und nicht immer so viel Glück mit dem Wetter wie an diesem sonnigen Frühlingstag. Aber Hauptsache raus aus der Misere, Geld verdienen – auch wenn es nicht die Welt ist: im ersten Ausbildungsjahr monatlich rund 800 Euro netto. Antonio führt langsam Zeigefinger und Daumen zusammen, bis sie eine Null ergeben. Null Euro – so viel hat er in Spanien verdient; seiner alten Heimat, von der Wirtschaftsexperten sagen, dass es dort langsam wieder bergauf gehe.
"Die Makro-Ökonomie, die wirtschaftliche Entwicklung, ist mir egal. Was mich interessiert, ist die Jugendarbeitslosigkeit. Wenn diese Wirtschaftsexperten sagen jetzt: Die Wirtschaft in Spanien gewinnt wieder an Fahrt, Schön und gut, nur: Was nützt mir das, wenn nicht genügend neue Jobs geschaffen werden? Jeder Zweite von uns hat keine Arbeit. Schau mich an: Zu mehr als zwei, drei unbezahlten Praktika als Koch hat es nicht gereicht. Wenn das so weiter geht, haben wir bald eine verlorene Generation. Eine Generation, die fünf, sechs, sieben, acht Jahre arbeitslos war. Eine Generation, die ihren Eltern auf der Tasche liegt – wie ich bis vor ein paar Tagen. Wir fühlen uns verschaukelt."
Verschaukelt fühlt sich auch Erika Jerez. Die 28-Jährige ist noch etwas aus der Puste. Sie kommt gerade aus "dem Dorf", wie sie in Sögel sagen. Zusammen mit einer Betreuerin der Begegnungsstätte war sie bei Aldi, um sich eine deutsche SIM-Karte zu besorgen. Wären sie fast zu spät zurückgekommen zur Vorstellungsrunde. Genau wie Antonio hat Erika Köchin gelernt – quasi als Notlösung. Die robuste Spanierin ist von Hause aus Pharmazeutin. Doch ihr Pharmazie-Studium hat ihr nicht viel gebracht. Kaum war sie fertig, erlitt die spanische Wirtschaft Schiffbruch – und damit auch viele Apotheken.
"Spanien bietet uns keine Möglichkeiten. Wenn du nach einem Job suchst: Entweder gibt es keinen. Oder sie wollen Leute mit Job-Erfahrung. Woher soll ich die bitte schön haben? Die spanischen Arbeitgeber wissen uns einfach nicht zu schätzen."
Im Hotel "Aselager Mühle" lernt Erika ihren neuen Arbeitgeber kennen
In Deutschland ist das anders. Hofft Erika. Im Romantikhotel "Aselager Mühle" in Herzlake, einem 4000-Seelenort im tiefsten Emsland. Gleich, nach der Vorstellungsrunde, wird sie ihren neuen Arbeitgeber kennenlernen. Erika wird gewappnet sein. Zu Hause, in Alicante, hat sie schon an ihrer neuen Identität gefeilt, der deutschen – und sich mit den hiesigen Gepflogenheiten vertraut gemacht. Wie das mit dem Händeschütteln zur Begrüßung. Oder dem "Abendbrot". Testweise hat Erika die letzten zwei Wochen schon um sieben zu Abend gegessen – sprich zwei, drei Stunden früher als in Spanien üblich.
"Meine Familie hat sehr unterschiedlich reagiert, als ich ihnen gesagt habe, dass ich gehe. Ein Teil macht sich große Sorgen um mich. Das sind die, die Spanien nie verlassen haben. Der andere Teil versteht mich. Das sind die, die selbst in den 50ern und 60ern nach Frankreich und Deutschland ausgewandert – und 20 Jahre später zurückgekehrt sind. Ich war anfangs hin- und hergerissen. Aber dann habe ich mir angeschaut, wie beide Familienteile in der Wirtschaftskrise über die Runden gekommen sind. Den "Auswanderern" geht es viel besser als den "Daheimgebliebenen". Meine Großeltern, die da geblieben sind, haben eine winzige Rente. Das reicht vorne und hinten nicht. Meine "Auswanderer-Großeltern" dagegen: Die haben nicht nur ihre spanische Rente, sondern auch noch ihre französische und deutsche. Damit können sie sogar ihren arbeitslosen Kindern und Enkelkindern unter die Arme greifen. Also habe ich mir gedacht: Dann mache ich es lieber wie sie – und wandere aus."
Aufmerksam hören spanische Auszubildende am Mittwoch (25.04.2012) im Bundesarbeitsministerium in Berlin den Ausführungen der Bunderbeitsministerin für Arbeit zu. Die Ministerin hat spanische Azubis, die sich im Emsland um einen Ausbildungsplatz interessieren, in ihrem Ministerium zu einem Gespräch empfangen. Foto: Wolfgang Kumm dpa/lbn
Auszubildende aus Spanien im Bundesarbeitsministerium© picture alliance / dpa
Rafael Veldeza: "Die in den 60er Jahren... die gingen, sagen wir mal, noch mit weinenden Augen. Und hofften, irgendwo Geld anzusammeln und doch was aufzubauen: 'nen kleinen Laden, Taxis oder was da. Jetzt: Die junge Generation. Die sagt: Ihr könnt mich mal!"
... konstatiert Rafael Veldeza. Wenn man so will, ist der Spanier mit dem norddeutschen Akzent Erikas Godfather: Er hat Erika und die anderen in Südspanien ausgewählt – und ins Emsland begleitet.
"Das sind mehr ihre Eltern, die geweint haben, als sie abgeholt wurden mit dem Bus. Dann waren sogar Großeltern dabei. Und die haben alle geheult. So weit weg! DIE haben nicht geheult selber. Ich kann da beide verstehen. Weil ich mit jungen Leuten viel zusammen bin. Und die Eltern auch in meinem Alter sind. Meine Töchter selber sind im Ausland."
Die Ältere von Veldezas Töchtern arbeitet als Elektro-Ingenieurin in Frankreich, die Jüngere geht bald für ein Auslandssemester nach Deutschland, nach Ilmenau. Veldeza schaufelt in der Kantine der Begegnungsstätte zwei Kartoffeln und ein graues labbriges Etwas auf seinen Teller, das sich bei näherem Hinsehen als ein Stück Braten entpuppt. Deutsche Hausmannskost: Das kennt er schon – aus den 70ern.
"Ich bin per Anhalter gefahren, mit 17 und durch ganz Europa, bis Nordafrika. Mit 17, 18 Jahren."
Später hat Veldeza in Bremen und Hamburg Betriebswirtschaft studiert. Alles auf eigene Kappe.
"Keine Stipendien. Da muss man also: Friss oder stirb! Und heute bekommen die mehr Hilfen. Dafür haben sie es vielleicht schwerer sich durchzusetzen. Aber: Die werden umgeben von Maßnahmen, damit es ihnen gelingt, sich einzugliedern und Pipapo."
Die EU finanziert eine Hälfte der Initiative, die Unternehmen den Rest
Maßnahmen wie die "Internationale Ausbildungsinitiative" der Ems-Achse: Vor vierzig Jahren, zu Veldezas Sturm- und Drangphase, wäre so etwas noch undenkbar gewesen. Doch die EU macht's möglich. Brüssel finanziert zur Hälfte die Initiative, den Rest steuern die beteiligten Unternehmen der Region bei – kleine und mittelständische Betriebe, die zwar in der Regel wirtschaftlich erfolgreich sind, zunehmend aber Schwierigkeiten haben, junge Fachkräfte anzuwerben. Allein im Emsland sind in den letzten zwei Jahren mehr als 400 Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben. Eine No-Name-Firma im Nirgendwo der norddeutschen Tiefebene – das zieht immer weniger. Hinzu kommt der demografische Wandel. Aufgrund des Bevölkerungsrückgangs werden bis 2025 zwischen Ostfriesland und der Grafschaft Bentheim 35.000 Fachkräfte fehlen. Muss also dringend etwas passieren. Die jungen Spanier kommen da wie gerufen.
Rafael Veldeza: "Ich sage auch denen, dass das hier, die Gegend, auch nicht Berlin oder München ist. Da könnten sie die Mieten sowieso nicht bezahlen. Auch nicht Hamburg. Jeder muss wissen, was er will. Du kriegst einen Beruf, näh?! Und damit bist du überhaupt in der Lage dich anzubieten: dem Markt. Die sind ja geboren um zu arbeiten, verdammt noch mal. Weil: Die haben doch kein weiches Bett, wo sie hinfallen können."
Suche Job, biete frisches Blut: Die Gewichte zwischen Spaniern und Deutschen sind ungleich verteilt. Rafael Veldeza wischt sich mit der Serviette den Mund ab, ehe er den Nachtisch links liegen lässt. Vanille-Pudding. Nicht so seins. Er sieht das mit dem Ungleichgewicht nüchtern. So ist das halt, wenn der eine am Tropf hängt – und der andere vor lauter Exportüberschüssen aus den Vollen schöpfen kann.
"Sie haben halt Aufträge. Ist die Frage der ökonomischen Potenz, die man da hat. Deswegen wurden die Programme ja auch gemacht, glaube ich. Die Gesellschaft regenerieren. Und sei es, dass von zehn, die kommen, fünf bleiben. OK! Das sind immer Risikofaktoren. Aber einfach regenerieren. Die sind ja bemüht, die Südländer hier reinzubringen. Andererseits wird dadurch geholfen, die Arbeitslosigkeit runter zu drücken. Und das stimmt. Weil einfach weniger Leute da sind. Nicht, weil viel mehr Arbeitsplätze geschaffen worden sind."
Sandra Fahrendorf (l), Auszubildende zur Industriekauffrau, erklärt der Spanierin Silvia Gómez Bernal am Donnerstag (19.04.2012) in den Büroräumen der Firma Hermann Paus Maschinenfabrik GmbH in Emsbüren (Landkreis Emsland) die Inhalte eines Aktenordners. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel startet das Wirtschaftsbündnis Ems-Achse eine internationale Ausbildungsinitiative
Sandra Fahrendorf, Auszubildende zur Industriekauffrau, erklärt der Spanierin Silvia Gómez Bernal die Inhalte eines Aktenordners.© picture alliance / dpa
In Spanien. Jeder vierte Erwachsene hat keinen Job, unter jungen Leuten sogar jeder zweite.
"Na ja. Und Deutschland hilft sich selbst. Deutschland übernimmt eine Führungsrolle in der Hinsicht. Und eine Absorptionsfähigkeit, die Deutschland hat, die deutsche Industrie. Jeder tut, was er kann."
Das Emsländer Pilotprojekt hat Schule gemacht: Mehr als zweihundert deutsche Initiativen versuchen inzwischen, spanische Arbeitskräfte anzulocken. Lüneburg, Nürnberg, die Region rund um den Bodensee: Alle wollen etwas abbekommen vom spanischen Kuchen."
Mehr als tausend Spanier werden sich dieses Jahr bewerben
Dieses Jahr werden Jens Stagnet kann es nur Recht sein. Schließlich ist der Mann von der Ems-Achse einer der Gründerväter der Ausbildungsinitiative. 2012 kamen die ersten Spanier in den Norden. Dieses Jahr, hat der Anzugträger hochgerechnet, werden sich mehr als tausend bewerben. Stagnet reißt die Augen auf: tausend! Mögen andere darin ein Indiz für die Perspektivlosigkeit junger Spanier sehen: Für den Mann, der laut Visitenkarte "Fachkräfte managt", steht die Zahl für eine Erfolgsgeschichte, nach dem Motto: Wir in der niedersächsischen Pampa haben es auch drauf. Nicht immer nur Hannover, Hamburg, Berlin. Wir tun etwas gegen den Fachkräftemangel.
"Dass sie danach auch als Fachkräfte erhalten bleiben. Ob das dann auch so sein wird, das wird sich zeigen. Wenn die ersten ihre Ausbildung beendet haben. Aber: Es ist nicht nur für die reine Ausbildung gedacht, sondern dauerhaft hierbleiben. Deshalb haben wir uns auch hauptsächlich auf Auszubildende und nicht auf Fachkräfte eingelassen."
Stagnets letzter Jahrgang – der von 2013 – hat mit 45 Spaniern angefangen. Übrig geblieben sind 30. Der Rest hat das Handtuch geworfen. Gerade der Einstieg sei wichtig. Meint Stagnet. Deshalb auch die Eingewöhnungswoche – als Teil der "Willkommenskultur". Beim letzten Jahrgang ging es sofort ins Praktikum. Jetzt haben Erika, Antonio und Co Zeit, sich gemeinsam zurechtzufinden in der niedersächsischen Provinz, wo es schon mal mehr Hühner und Kühe geben kann als Menschen. Letztere lassen fast nichts unversucht, die Spanier willkommen zu heißen.
"Mit Gutscheinen: zum Frisör. Ins Kino. Oder ganz verschiedene Dinge. Oder was ich von einem Lokal ganz interessant fand: ein Gutschein für ein Getränk, aber dann nicht für einen selbst, sondern für eine andere Person."
"Mein Name ist Marlene Hofhalter. Mein Mann und ich sind die Gasteltern von Aron und Antonio."
Nach den Spaniern sind die Deutschen an der Reihe – bei der Vorstellungsrunde.
Bernhard Hofhalter: "Ich schließe mich den Ausführungen an. Und hoffe, dass wir 'ne gute Zeit zusammen haben."
Gastfamilien kümmern sich um die jungen Südeuropäer
Bei Hofhalters unterm Dach. Antonio und Aron bekommen die obere Etage. Steht so oder so leer, seitdem die Kinder aus dem Haus sind.
"Zwei Söhne habe ich, die auch schon im Ausland waren und sehr gut aufgenommen worden sind. Ich selber war früher sehr viel unterwegs und war immer glücklich, wenn jemand da war, wo ich Hilfe erfahren habe. Das hat mir viel geholfen und das will ich jetzt etwas weiter geben."
Der Rentner mit den lustigen Augen war im Exportgeschäft tätig. Hat ihn geprägt. Bis heute. Zusammen mit seiner Frau beherbergt er in den Sommerferien Kinder befreundeter französischer Ehepaare. Vor ein paar Jahren haben die beiden Spätaussiedler unter ihre Fittiche genommen, um ihnen die Integration in Sögel zu erleichtern. Jemand wie Hofhalter schaut über den Tellerrand. Kann man schon mal ins Grübeln kommen – angesichts der "Umstände", wie er das nennt. Auch bei Antonio und Aron.
"Es ist natürlich, empfinde ich, ein etwas zweischneidiges Schwert. Man holt die Jugendlichen da raus, es ist auch sehr gut, dass die dann hier eine Ausbildung bekommen."
Nur:
"Um die Entwicklung im Lande, in Spanien, auch weiter aufrecht zu erhalten, werden da auch eines Tages Fachkräfte fehlen. Und dann werden die natürlich auch wieder hier abgezogen. Für uns ist es jetzt erst mal hier in Deutschland sehr gut. Für Spanien ... für die Spanier selber muss dann ein Weg gefunden werden. Und jeder muss das für sich selbst entscheiden. Geht er zurück? Bleibt er hier?"
Ausbildungsmeister Karl Schomaker (r) erklärt dem Spanier Daniel Marín Carmona am Donnerstag (19.04.2012) in einer Werkshalle der Firma Hermann Paus Maschinenfabrik GmbH in Emsbüren (Landkreis Emsland) die Funktionen eines Bergfahrzeugs. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel startet das Wirtschaftsbündnis Ems-Achse eine internationale Ausbildungsinitiative.
Ausbildung an der Maschine: Im Emsland werden Fachkräfte gesucht.© picture alliance / dpa
Bleiben oder zurückgehen: Für Antonio, Bernhard Hofhalters Schützling, stellt sich die Frage noch nicht. Darüber wird er sich frühestens nach dem Praktikum Gedanken machen. Da ist Jorge Meso Marero schon weiter.
"Ich mache eine Ausbildung als Hotelfachmann."
Seit einem Jahr ist Jorge im Emsland. Heute hat er sich extra freigenommen, um die Leute von der Ems-Achse und die neuen Spanier zu treffen, darunter eine alte Schulfreundin. War eine ziemliche Umstellung vor einem Jahr: Der 24jährige kommt aus Teneriffa. Die Sommer auf der Kanaren-Insel sind lang, die Winter kurz. Am Ufer der Ems, hat er die Erfahrung machen müssen, ist es genau umgekehrt. Jorge hebt die Hände. Gewöhnt man sich dran, auch wenn sein erster Winter "krass" war, wie er auf Deutsch sagt. Aber Bange machen gilt nicht. Schließlich hat der schlaksige Typ mit dem schwarzen Haar einen Plan.
"Vielleicht nach Teneriffa zurück? Vielleicht reisen?"
"Wenn ich fertig bin mit meiner Ausbildung, in zwei Jahren, will ich in Deutschland bleiben. Um mein Deutsch zu verbessern. Und danach? Vielleicht werde ich irgendwann einmal nach Teneriffa zurückkehren. Keine Ahnung wann. Eigentlich würde ich gerne was von der Welt sehen, reisen, irgendwo arbeiten. Mit meinem deutschen Ausbildungsdiplom sollte ich doch gute Chancen haben."
Flexibel, wissbegierig, einsatzbereit – Jorge entspricht ziemlich genau dem Ideal des jungen Spaniers, das der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy gerne propagiert. Um rauszukommen aus "la crisis" – der Wirtschaftskrise. Eigentlich könnten sie jemanden wie Jorge in Spanien gut gebrauchen – spätestens zu dem Zeitpunkt, wenn auch dort irgendwann einmal Fachkräfte fehlen. Jorge schaut entgeistert. "Fach-Kräfte-Mangel"?! – komisches Wort. Der Mann, der die Zukunft seines Landes sein könnte, hat davon noch nie gehört.
"Wenn wir tatsächlich die Zukunft Spaniens wären, müsste die Regierung doch alles tun, damit wir blieben. Tut sie aber nicht. Im Gegenteil: Sie tut alles, damit wir abhauen. Solange die Jugendarbeitslosigkeit so hoch bleibt, haben wir gar keine andere Wahl als zu gehen. Und nicht zurückzukehren. Wir helfen uns eher untereinander. Eine Freundin vor mir aus Teneriffa ist gerade hier angekommen, um eine Ausbildung zu machen. Der habe ich Tipps gegeben und geholfen - mit dem ganzen Papierkram. Spanien bietet uns einfach keinerlei Perspektive, keinerlei Entfaltungsmöglichkeiten."
Meint der junge Spanier, der sich vor fünf Jahren nicht hätte träumen lassen, einmal in der tiefsten deutschen Provinz zu landen. Aber das war, bevor die spanische Wirtschaft ins Trudeln geriet – und Jorge die Perspektive raubte. Dann lieber Deutschland. Sein Deutsch ist besser geworden, aber immer noch nicht gut genug. Meint er selbstkritisch, ehe er sich in der Begegnungsstätte auf die Suche macht nach seiner Schulfreundin, der spanischen.
"Die Deutschen. Na ja. Es ist nicht unbedingt einfach, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, wenn du die Sprache nicht richtig beherrschst. Oder Freundschaften zu knüpfen. Auch bei der Arbeit: Wenn du nicht hundertprozentig die Sprache verstehst, können dir Fehler unterlaufen. Deutsch und Spanisch sind so verschieden. Ein paar Kollegen im Hotel nehmen Rücksicht auf mich - andere weniger. Die haben keine Geduld."
Vorstellungsrunde, Gottesdienst, Kartoffelsalat mit Würstchen
Es ist Abend geworden. Die Vorstellungsrunde ist zu Ende gegangen, auf Antonio und die anderen warten noch ein Gottesdienst – und danach, am Buffet, zwei kulinarische Highlights der deutschen Küche: Grillwürstchen mit Kartoffelsalat.
"Ich habe schon vor, hierzubleiben. Wenn es klappt. Ich will mich aber nicht unnötig unter Druck setzen. Ich meine, wer weiß schon, was alles passieren kann. Keine Ahnung: Ich kann es mir plötzlich anders überlegen. Oder mein Arbeitgeber. Aber mein Plan ist erst einmal in Deutschland zu bleiben. Ich will hier arbeiten, viel lernen und mein Deutsch verbessern. Das ist mir wichtig. Ich will nicht die ganze Zeit mit meinen spanischen Freunden abhängen. Ich will mich nicht verschließen, sondern offen sein."
Montag fängt Antonios Praktikum an. Wenn alles glatt läuft, wird er ab dem ersten August mit seiner Ausbildung zum Koch beginnen – und damit nicht nur sich selbst einen Gefallen tun, sondern auch zwei Ländern: Seiner alten Heimat Spanien - indem er aus der Arbeitslosenstatistik verschwindet; und seiner neuen Wahlheimat Deutschland – indem er eine Lücke füllt. Ganz schön selbstlos.
"Auf Wiedersehen. Bis bald. Hasta luego."