"Europa hat wieder mal nicht geliefert"

Barbara Fabian im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 12.11.2013
Europas Regierungschefs beraten derzeit in Brüssel über Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Barbara Fabian von der Deutschen Industrie- und Handelskammer kritisiert die Diskrepanz zwischen "politischen Gipfelreden" und der Realität in Ländern wie Spanien und Italien.
Korbinian Frenzel: "No future" - keine Zukunft. Wer mal Punk war, kennt das Motto, wer es nicht war, kennt es auf jeden Fall als Graffiti oder als Zeile von den Sex Pistols. "No future", das ist, auf eine ganz andere existenzielle Weise, heute das Problem von mindestens sechs Millionen jungen Leuten in Europa, in der EU, um genauer zu sein. Sechs Millionen sind ohne Arbeit, das sind fast 25 Prozent aller Jugendlichen, und das ist nur der Durchschnitt. Im Süden, in Griechenland, Spanien und Italien zum Beispiel, da reden wir von 40 bis 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit.

Heute treffen sich Europas Staats- und Regierungschefs in Paris, um diese tickende Zeitbombe zu entschärfen. Kann das gelingen? Wenn ja, was muss passieren? Fragen, die uns hoffentlich Barbara Fabian beantworten kann, sie ist die Expertin im Brüsseler Büro des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, des DIHK.

Einen schönen guten Morgen nach Brüssel!

Barbara Fabian: Ja, einen schönen guten Morgen auch aus Brüssel zurück!

Frenzel: Bevor wir auf die Lösung kommen, ist ja erst mal die Frage spannend, wie kann es sein, dass so viele junge Leute ohne Job dastehen? Gibt es einfach nicht genug Arbeit, vor allem auch wegen der Krise, oder sind die Jugendlichen nicht fit für den Arbeitsmarkt?

Fabian: Sowohl als auch. Natürlich hat die Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2008, 2009 bis heute die Zahl dramatisch nach oben getrieben. Man spricht etwa von 1,8 Millionen Jugendlichen, arbeitslosen Jugendlichen, die noch hinzugekommen sind.

Aber wir können feststellen, dass die Jugendarbeitslosigkeit insbesondere in den EU-Krisenländern wie Spanien, Griechenland auch vorher schon sehr hoch war, 20 bis 30 Prozent. Also die Krise hat Katalysatoreffekt gehabt noch.

Frenzel: Woran liegt das, dass sie auch schon vorher so hoch war? Wenn man sich anguckt, die Studierendenquote in Spanien, die ist ja jetzt nicht geringer, die ist ja eher höher als in Deutschland zum Beispiel. Also die Ausbildung ist ja formal gut.

Fabian: Das kann man so und so sehen. Man muss allerdings feststellen, dass der Übergang vom Bildungssystem, sagen wir im Beispiel Spanien Universität, in den Arbeitsmarkt offensichtlich nicht klappt, dass das Bildungssystem nicht auf eine Beschäftigung vorbereitet, dass die Unternehmen, die Wirtschaft, die ja die Arbeitsplätze schafft, offenbar die Absolventen nicht einstellt. Das muss ja Ursachen haben.

Frenzel: Das heißt, wir bräuchten mehr Berufsausbildung, weniger theoretisches Uni-Wissen?

"Zu viel Akademiker, zu wenig Handwerker"
Fabian: Ja. Sie sagten zu Recht, Spanien, einerseits eine hohe Zahl der Universitätsabsolventen. Jetzt lassen wir mal das Thema Qualität dieser Universitäten, da kann man auch noch was dazu sagen, außen vor, aber wenn die am Arbeitsmarkt nicht ankommen, wenn man zum Beispiel zu viele Geisteswissenschaftler hat, zu wenig handwerklich oder betrieblich Ausgebildete, technisch Ausgebildete, dann klappt es nicht und man spricht von einem sogenannten "Mismatch", also Angebot und Nachfrage, was nicht erfüllt wird.

Frenzel: Heute treffen sich ja die EU-Spitzen in Paris, nicht zum ersten Mal, es gab vor dem Sommer einen ersten großen Gipfel zur Jugendarbeitslosigkeit in Berlin. Da gab es so eine Art Aufgabenliste für alle Mitgliedsstaaten. Ich hab da mal reingeschaut und mich ein bisschen gewundert, ehrlich gesagt. Da steht zum Beispiel, dass schon in der Schule über Berufe und Ausbildungswege informiert werden soll, oder ein anderer Punkt, dass freie Stellen transparent, am besten online landesweit einsehbar sein sollen in einer Datenbank.

Das sind ganz schön banale Selbstverständlichkeiten, oder?

Fabian: Das ist aus unserer deutschen Sicht selbstverständlich, es ist aber leider die bittere Realität in nicht wenigen, insbesondere den EU-Krisenstaaten. Ich hab, was ich gehört habe von der deutschen Bundesagentur für Arbeit, die dort eine Art Unterstützung und Aufbauhilfe in Spanien leistet, es gibt keinen gesamtspanischen Arbeitsmarkt, wo ein Spanier im Süden im Norden das abrufen kann.

Oder auch in den Schulen, dass gezielt Betriebspraktika stattfinden, dass es wie in Deutschland eine Kooperation zwischen Schulen und Betrieben schon in der Pflichtschulzeit gibt, dass die mal eine Woche reinschnuppern, dass deren Interesse - das gibt es alles nicht.

Das liegt sowohl am Bildungssystem, aber auch an den dortigen Unternehmen, muss man sagen. Dass die dort nicht inspiriert sind, so etwas anzubieten, dass die Mentalität, ich muss auch selber was tun, um mir gute Fachkräfte zu besorgen, und Fachkräfte sind das A und O auch für meinen wirtschaftlichen Erfolg, das ist eine Denke, die in anderen Ländern bei den Unternehmen nicht unbedingt vorherrscht.

Frenzel: Das Treffen heute hat ja quasi zum Ziel, die Hausaufgaben zu kontrollieren, die man sich letztes Mal gegeben hat. Wie gut die einzelnen Mitgliedsstaaten also vorangekommen sind im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit oder in der Umsetzung dieser ersten Maßnahmen.

Wie fällt denn Ihre Note aus, Frau Fabian, wenn Sie auf das schauen?

"Das sind ja leider Peanuts"
Fabian: Also zunächst ein Blick in die Statistik zeigt, es gibt leider immer noch keine Trendwende am Arbeitsmarkt. Also die Zahl ist nicht dabei, zu sinken. Und wir haben einerseits große politische Gipfelreden, andererseits - gucken Sie sich die Situation in Italien an, da ist es schon eine Leistung, überhaupt eine Regierung zu stellen.

Andauernd wechseln die Spitzen der Arbeitsverwaltung, der Arbeitsministerien - also ich bin leider nicht besonders optimistisch, dass wir dort sehr gute Ergebnisse haben. Anderes Beispiel ist noch das Thema Reform in der Berufsbildung. Das Thema praxisnahe betriebliche Ausbildung ist ja auch hervorgehoben worden in der Berliner Konferenz, aber auch dort kommen wir nur mit ganz, ganz kleinen Schritten voran, weil die Gesetzgebung noch nicht erlassen ist oder weil eben auch die Betriebe, die Wirtschaft es nicht unterstützt.

Wieder Beispiel Spanien: Vonseiten der Wirtschaft gibt es Widerstände sowohl der Unternehmen oder auch der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften sagen, ja, das sind ja nur billige Arbeitskräfte. Die Einzigen, die das Thema hochhalten, sind die Kammern in Spanien, aber im Ergebnis hat man vielleicht innerhalb eines Jahres tausend betriebliche Arbeitsplätze neu mal geschaffen, das sind ja - das sind ja leider Peanuts nur.

Frenzel: Immerhin gibt es ja eine schöne Zahl: Sechs Milliarden Euro will die EU einsetzen im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Reicht das aus Ihrer Sicht, und reicht Geld sowieso in so einer Frage?

Fabian: Also, das Geld wird natürlich nicht reichen, es kann nur eine kleine Anschubfinanzierung sein. Es muss ja auch erst mal abgerufen werden. Das wird ja nicht einfach überwiesen, die Mitgliedsstaaten müssen Voraussetzungen erfüllen.

Ich bin mir sicher, es wird weitere Wünsche nach Brüssel geben, in das Thema Jugendarbeitslosigkeit zu investieren. Und wir müssen auch aufpassen, dass nicht falsche Erwartungen gesetzt werden. Wir haben eine sogenannte Jugendgarantie, dass jedem Jugendlichen innerhalb von vier Monaten eine Ausbildung oder eine Arbeit angeboten werden soll.

Wir sehen das sehr kritisch, weil eine Garantie kann ja von den betroffenen Krisenstaaten gar nicht erfüllt werden. Und dass hier leider falsche Erwartungen geschaffen wurden mit dem Ergebnis, dass die jungen Leute sich noch mehr von Europa abwenden. Europa hat wieder mal nicht geliefert.

Frenzel: So sieht es Barbara Fabian, die Referatsleiterin für EU-Bildungspolitik beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag in Brüssel. Ihnen ein großes Dankeschön für das Gespräch und einen schönen Tag!

Fabian: Ja, einen schönen Tag zurück. Wiederschauen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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