"Europa hat wieder Fuß gefasst"

Alexander Alvaro im Gespräch mit André Hatting · 22.07.2011
Der Europaabgeordnete Alexander Alvaro (FDP) zeigt sich zufrieden über das vereinbarte Rettungspaket für Griechenland. Wichtig sei jedoch, dass begonnene Strukturreformen innerhalb des Landes vorangetrieben werden. Ohne sie "wird der Schuldenabbau alleine nicht helfen".
André Hatting: So, jetzt ist es raus: Der Rettungsplan für Griechenland steht. Nach monatelangem Zögern gibt es jetzt Zahlen, Daten, Fakten. So sieht das Ganze aus: Erst einmal gibt es mehr Geld, 109 Milliarden Euro nämlich, und diese Hilfe flankieren die Euroländer mit einem Mix aus Laufzeitverlängerung der Anleihen, niedrigeren Zinsen bei Krediten und der Beteiligung des Privatsektors. Am Telefon ist jetzt Alexander Alvaro, er sitzt für die FDP im Europaparlament und ist dort stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsausschusses. Guten Morgen, Herr Alvaro!

Alexander Alvaro: Schönen guten Morgen, Herr Hattinger!

Hatting: Sind Sie zufrieden mit den Brüsseler Beschlüssen?

Alvaro: Ich bin soweit zufrieden, dass sich gezeigt hat, dass Europa wieder Fuß gefasst hat, dass es wieder in Tritt kommt und vor allen Dingen in der Lage ist, auch als Eurozone gemeinsam zu handeln. Es gibt sicherlich noch weitere Schritte, die ich mir auch persönlich gewünscht hätte, aber für eine Übereinkunft dieser 17 Eurostaaten ist das ein guter Anfang.

Hatting: Die FDP hat immer gefordert: drastischer Schuldenschnitt – jetzt gibt es Entschuldung light. Ist es das, was Sie meinen mit weiteren Schritten, die fehlen?

Alvaro: Also ich kann nicht verhehlen, dass ich es langfristig für sinnvoller halten würde, wenn die Entschuldung noch stärker ausgefallen wäre als das, was sich jetzt aus diesem Rettungspaket abzeichnet, aber andererseits muss man natürlich auch sagen, dass die FDP-Position alleine unter 27 Euro-Mitgliedsstaaten immer auch eine Verhandlungsposition ist und man nicht erwarten kann, mit 100 Prozent dieser Forderung rauszukommen. Insofern bin ich wirklich froh, dass da wesentliche Punkte übernommen worden sind.

Hatting: Finden Sie die Beteiligung des Privatsektors mit 37 Milliarden Euro ausreichend?

Alvaro: Ausreichend wird sich natürlich auch erst im Laufe der Zeit zeigen, es ist im Vergleich zu dem, was vorher war, nämlich auch die klare Weigerung von Mitgliedsstaaten wie Frankreich, diesen Schritt zu gehen, ist es ein beachtlicher Fortschritt, und ich glaube, es ist auch eine Größenordnung gemessen am Gesamtpaket und auch an der Gesamtverschuldung Griechenlands, das erst mal zu einer Erleichterung beitragen dürfte.

Hatting: Es gab einen Tabubruch, es wird nämlich das Risiko eingegangen, dass die Zahlungsfähigkeit von Griechenland besteht, weil die Ratingagenturen die Beteiligung der Banken, die wir gerade angesprochen haben, so eventuell werten könnten. Fühlen Sie sich damit wohl?

Alvaro: Also ich glaube, es war vor allen Dingen erst mal ein mutiger Schritt, auch den Versuch zu wagen, sich von Ratingagenturen zu emanzipieren, die ja nun im Grunde genommen auch nicht mehr und weniger bewerten als das, was man über Staaten auch so in Erfahrung bringen kann, und um zu einer Lösung auch des Problems der griechischen Verschuldung zu kommen, ist glaube ich diese Emanzipierung erst einmal auch notwendig und wichtig. Wie die Märkte reagieren werden, werden wir dann jetzt ja auch in den nächsten Tagen sehen, aber dass sich Politik nicht weiterhin zu Getriebenen auch der Märkte macht, ist denke ich auch ein wichtiges Signal.

Hatting: Sind Sie denn der Meinung, dass Griechenland damit jetzt gerettet ist?

Alvaro: Das wird sich abzeichnen, und vor allen Dingen glaube ich nicht, dass es alleine ausreicht. Griechenland muss auch dort weitermachen, womit es angefangen hat, nämlich die Strukturreformen innerhalb des Landes, und entscheidend ist ja, dass sie in der Lage sind, auch eine Wettbewerbsfähigkeit und eine Wirtschaftlichkeit Griechenlands herzustellen, denn ohne dieses wird auch der Schuldenabbau alleine natürlich nicht helfen.

Hatting: In den EU-Verträgen steht ausdrücklich, dass das Bündnis eben nicht für die Verschuldung einzelner Länder aufkommen darf. So eine Transferunion sollte eigentlich vermieden werden. Jetzt sind wir auf dem besten Weg dorthin.

Alvaro: Das ist richtig. Es zeigt sich, dass die Entwicklung seit dem Mai letzten Jahres, bei dem das Ganze und die ganzen Ausmaße erkennbar geworden sind, auch zur Veränderung des Verhaltens der Mitgliedsstaaten untereinander geführt hat. Allerdings bin ich auch der Auffassung, dass, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, es auch nicht zielführend ist, stur am Text festzuhalten, sondern man muss sehen, was in der jeweiligen Situation das Machbare und vor allen Dingen auch das Notwendige ist. Hier Griechenland alleine zu lassen, hätte langfristig mehr Konsequenzen für unsere Volkswirtschaft in Deutschland bedeutet, als dann tatsächlich jetzt hier Beistand zu leisten.

Hatting: Die jetzt vorliegenden Ergebnisse zeigen: Es geht doch gemeinsam. Das haben Sie eingangs ja auch gelobt. Wäre jetzt der Zeitpunkt, Herr Alvaro, einen vielzitierten Konstruktionsfehler der EU zu korrigieren und endlich eine gemeinsame Wirtschaftsregierung zu schaffen?

Alvaro: Natürlich wäre es nicht nur jetzt so angezeigt, sondern es hätte viel, viel früher angegangen werden müssen, den Webfehler der Währungsunion, nämlich die mangelnde wirtschaftliche Koordinierung, anzugehen. Unabhängig davon, dass man das vor einem Jahr hätte machen sollen, bin ich froh, auch in dem vierseitigen Bericht oder in der vierseitigen Stellungnahme der Euroländer zu sehen, dass es nun auch ein wesentlicher Bestandteil ist, nämlich also die Finanzen und wirtschaftlichen Bedingungen aneinander anzunähern, um die entsprechende Stabilität der Eurozone auch über eine wirtschaftliche Zusammenarbeit und Koordinierung zu erreichen. Dieser Schritt ist schon lange überfällig. Ich hoffe vor allen Dingen auch, dass das, was sich als Absichtserklärung in der Stellungnahme findet, dann auch reell umgesetzt wird. Ansonsten hat es natürlich nicht sehr viel Mehrwert.

Hatting: Sollte am Ende ein europäischer Wirtschaftsminister stehen?

Alvaro: Ich glaube nicht, dass wir einen europäischen Wirtschaftsminister brauchen. Viel, viel wichtiger ist, dass der politische Wille der Staats- und Regierungschefs besteht, diese wirtschaftliche Koordinierung voranzutreiben. Die europäische Kommission ist dann als neutraler Dritter auch wirklich in der Lage, diese Koordinierung zu überwachen und zu gestalten, aber entscheidend ist, dass der bekundete politische Wille in der Stellungnahme auch tatsächlich umgesetzt wird und nicht, wie bisher, auf die lange Bank geschoben wird.

Hatting: Auf dem Gipfel wurde auch beschlossen eine Art Marshall-Plan, also konkrete wirtschaftliche Aufbauhilfe für Griechenland zu leisten. Der Bundeswirtschaftsminister Rösler hatte gestern schon einen eigenen vorgelegt. Warum macht er das nicht gemeinsam mit den anderen Ländern?

Alvaro: Ich denke, wenn man natürlich von einem Land wie Deutschland als größte Volkswirtschaft auch Impulse erwartet, ist es nun die natürliche Aufgabe auch des deutschen Wirtschaftsministers, dann mit eigenen Vorschlägen zu kommen, die in die Verhandlungen einfließen werden. Insofern denke ich mal wird das eine Stimme derjenigen sein, die sich hier einbringen. Aber ohne unseren Beitrag als Deutschland würde man sich zu Recht fragen, welche Rolle wir eigentlich in der Europäischen Union spielen.

Hatting: Alexander Alvaro war das, FDP, Mitglied des Europaparlaments und dort stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsausschusses. Herr Alvaro, ich bedanke mich für das Gespräch!

Alvaro: Herzlichen Dank, Herr Hatting!

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