Europa fliegt ins All

Von Frank Grotelüschen · 30.05.2005
Raumfahrt – bei diesem Stichwort fällt einem spontan die NASA ein, die amerikanische Weltraumbehörde. Immerhin war sie es, die erstmals einen Menschen zum Mond brachte, und zwar Neil Armstrong am 21. Juli 1969. Die Europäer hingegen hatten stets ihre Probleme, sich im Orbit gegenüber den USA und auch gegenüber Russland zu etablieren. Immerhin hatten sie heute vor 30 Jahren ihre eigene Weltraumagentur gegründet, die ESA.
"Vor Ihnen sehen Sie die Gondel der Zentrifuge. Eingebaut ist ein ziemlich fester Sitz, der auch hohe Belastungen aushält. Man wird in der Zentrifuge angeschnallt, dass man nicht nach vorne fällt."

Die Zentrifuge, sagt der Techniker, simuliert den Start einer Rakete. Wie ein Karussell wirbelt sie im Kreis herum. In ihr wird man mit mehrfacher Erdbeschleunigung in den Sitz gepresst – wie beim Abheben des Spaceshuttles. Die Zentrifuge steht in Köln, und mit ihr testet die ESA, die Europäische Weltraumorganisation, ob ein Astronautenanwärter nun für die Raumfahrt taugt oder nicht.

"Wir wollen ganz normale Menschen, die gesund sind. Wir brauchen absolut keine Schwarzeneggers. "

Der Traum von der bemannten Raumfahrt ist eine der Triebfedern für die Europäer, eine eigene Weltraumagentur ins Leben zu rufen. Am 30. Mai 1975 unterzeichnen zehn Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, das Übereinkommen zur Gründung der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Doch eigentlich beginnt die Geschichte schon früher, in den 60er Jahren. Zwischen den USA und der Sowjetunion läuft das Wettrennen ins All auf vollen Touren, da will auch Europa nicht zurückstehen – und startet im Frühjahr 1964 zwei Programme. ESRO, so heißt das eine, soll die Weltraumforscher des Alten Kontinents zusammenführen. Und ELDO soll sich um die Entwicklung einer eigenen Trägerrakete kümmern.

"Wir waren total abhängig von den Amerikanern und ihrem guten Willen. Und manche Europäer hatten zu dieser Zeit gesagt: So geht es nicht! Europa braucht auch eine richtige Rakete. "

erinnert sich ESA-Sprecherin Jocelyne Landeau. 1975 verschmelzen die beiden Programme ESRO und ELDO zur ESA. Vier Jahre später feiert die Raumfahrtbehörde der Europäer ihren ersten Erfolg.

Heiligabend 1979. In Südamerika, vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana, startet zum ersten Mal eine Ariane-Rakete. Durchaus der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Seit vielen Jahren befördert die Ariane, kommerziell vermarktet von der Arianespace, in schöner Regelmäßigkeit Wetter- und Kommunikationssatelliten in den Orbit.

"Wenn man heute weiß, dass die Ariane-Rakete ungefähr 55% des Marktes heutzutage hat, war das wirklich eine sehr gute Entscheidung. "

Das Ariane-Programm und einige Satellitenmissionen stehen für die Erfolge der ESA. Doch ihre Geschichte ist auch geprägt von gescheiterten Megaprojekten. So legt die ESA 1987 ein 60 Mrd.-Euro-Programm auf für die bemannte Raumfahrt. Das Ziel: Neben Amerika und Russland solle sich Europa endlich als dritte Kraft im All etablieren. Die Pläne sind hochgesteckt, etwa für eine eigene europäische Raumstation, Columbus genannt.

"Wir werden mit der Station und ihrer Größe ein Labor oder eine Stadt im Raum haben, die nicht nur ein Forschungslabor, sondern eine ganze Forschungslandschaft ist, und die mit Sicherheit Bedingungen bietet, die bislang bei weitem nicht möglich waren. "

so einst Jörg Feustel-Büchl, ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt. Doch Streitereien zwischen den Mitgliedsländern und die einbrechende Konjunktur nehmen den Schwung aus der Sache. Im Wesentlichen bleibt es für die ESA-Astronauten bei einigen Besuchen auf der russischen MIR-Station und...

... bei der Zulieferung des Weltraumlabors "Spacelab" für die Spaceshuttles der NASA. Doch ein eigener bemannter Zugang ins All existiert bis heute nicht. Und Columbus wird nun abgespeckt gebaut – als Anhängsel der Internationalen Raumstation ISS.

Doch in diesem Jahr machte die ESA auch wieder positive Schlagzeilen: Im Januar landete ihre Raumsonde Huygens auf dem Saturnmond Titan – und dokumentierte das sogar per Mikrofon.

"Das hat ganz ausgezeichnet geklappt. Das war eines der letzten großen Erlebnisse, die man im Sonnensystem haben konnte, mit Überraschungen und Aha-Effekten. "

freute sich Horst Uwe Keller vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. Die Aufnahmen zeigen Fließkanäle, Seen, Sümpfe, Nebelbänke aus Methan – ein Triumph für die ESA. Dennoch: Ob die Behörde fit ist für die Zukunft, daran zweifelt mancher Experte. Komplizierte Regeln sollen sicherstellen, dass jeder der heute 15 Mitgliedsstaaten genau das an Aufträgen zurückbekommt, was er eingezahlt hat. Das mache die Organisation träge, meinen die Kritiker – und fordern eine Strukturreform der Behörde. Denn künftig muss sich Europa im All nicht nur mehr mit der NASA messen und mit Russland, sondern immer mehr auch mit China, Indien und Japan.